Ethik von Nacktheit und Sexualitaet in der Oeffentlichkeit

Mitglied #60238

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Ausgehend von dem Parallelthread ueber einen Mann, der im Pleschingersee masturbiert (angeblich, waehrend er Kinder betrachtet) und der Frage nach allfaelligen Konsequenzen habe ich versucht, mir ueber ein paar einfache ethische Grundaussagen dazu eine Meinung zu bilden (der theoretische Unterbau ist allerdings nicht wirklich fundiert, ich hoffe auf rege Kritik).

Der Thread wirft wieder einmal einige spannende Fragen zu Genderinteraktion, dem Umgang mit Sexualitaet, Erziehung und der Einstellung zu Sexualitaet auf. Ein Versuch, aus Axiomen zur konkreten Fragestellung eine Antwort zu erarbeiten, koennte fuer mich so aussehen:

  1. was verbinden wir mit Nacktheit? Ist Nackt sein boese? Sollte es verboten werden? Warum erregt es oeffentliches Aergernis?
  2. was verbinden wir mit Sexualitaet? Ist Sexualitaet boese? Sollte sie verboten werden? Warum erregt sie oeffentliches Aergernis? (sowohl alleine als auch zu zweit)
  3. wer ist das Subjekt, wer "muss als Objekt herhalten"? Ist es respektvoller, an einen Mann oder eine Frau beim masturbieren zu denken? Fuer wen? Welchen Alters (bzw. hat das Alter darauf einen Einfluss)? Welchen soziooekonomischen Status'? Warum benoetigen wir ueberhaupt ein Objekt? Ist Sexualitaet nicht etwas, das nur zwischen Subjekten passieren kann? ist dabei ein Machttransfer vorhanden/notwendig?
  4. ist es herabwuerdigend, wenn ich das "Objekt der Begierde" (Wichsvorlage) sehe? ist es herabwuerdigend, wenn ich das "Objekt der Begierde" nicht sehe?
    ist es herabwuerdigend, beim masturbieren an eine Person zu denken, die davon weiss? - die davon nicht weiss? - die davon weiss, es aber grauslich findet? - die davon weiss, es aber erregend findet?

Ein Versuch der Beantwortung (weder Fragen noch Antwort erheben Anspruch auf logische und ethische Vollstaendigkeit):
  1. Nackheit ist natuerlich und gut. Sie erregt oeffentliches Aergernis, weil sie mit Sexualitaet in Verbindung gebracht wird.
  2. Sexualitaet (alleine oder zu mehrt) ist natuerlich und gut. Sie erregt oeffentliches Aergernis, weil es ein Dispositiv (~ unbewusste gesellschaftliche Uebereinkunft) gibt, das den oeffentlichen Diskurs ueber Sexualitaet (und damit Nacktheit) scheinbar unterdrueckt und weil sie mit Gewalt/Beherrschung/Herrschaft in Verbindung gebracht wird.
  3. Sexualitaet ist etwas, das nur zwischen Subjekten passieren kann (fuer mich ein Axiom). Macht und Gewalt (und darunter faellt fuer mich auch die Objektifizierung) haben mit Sexualitaet direkt nichts zu tun, sondern mit Unterdrueckung. Aber: Unterdrueckung als Spiel kann lustvoll sein (BDSM, "Perversionen", ... In A Perversion, There Is No Freedom, Only A Rigid Conformity To A Gender Stereotype - ohne Wertung)
  4. eine Person als Objekt zu betrachten, ist grundsaetzlich herabwuerdigend (siehe Mistkuebel-Thread). Das kann lustvoll fuer beide Seiten sein (s. Punkt 3). Wenn es das nicht ist und eine Person damit belaestigt wird, die das nicht interessiert, ist es sexuelle Belaestigung. Phantasien sind davon natuerlich nicht betroffen.

Daraus schliesse ich (wobei mir klar ist, dass die Axiome 1, 2 und 3 vermutlich nicht von allen geteilt werden), dass Nacktheit und Sexualitaet (grundsaetzlich auch in der Oeffentlichkeit) frei nach Humboldt gut, wahr und schoen sind, so lange es sich um konsensuelle "erwachsene" Sexualitaet handelt (Jarvis_Cocker: ohne "erwachsen" hier einer legistischen Definition unterwerfen zu wollen, das ist ein anderes Thema), die nicht auf die Herabwuerdigung einer der beteiligten Personen abzielt. Das ist bei SpannerInnen grundsaetzlich nicht der Fall, wenn es nicht abgesprochen ist. Andererseits kann ich kein Argument gegen Masturbation in der Oeffentlichkeit finden, so lange die masturbierende Person dabei keinEn belaestigt (tatsaechlich scheinen die Parkplatz- und Kinotreffs ja auf diesem Prinzip zu beruhen. Die Berufung auf "oeffentliches Aergernis" diesbezueglich ist eine erst zu beweisende Anschuldigung der Gewaltausuebung, ansonsten eine Verleumdung - alles andere wuerde die Freiheit der masturbierenden Person gegenueber den anderen einschraenken und ist vergleichbar mit der Forderung "Dicke duerfen keine Bikinis/Shorts tragen"). Allerdings sehe ich in der urspruenglichen Fragestellung des Threads "schon irgendwie" ein Problem, wenn die betreffende Person offensichtliche "sexuelle" Gewaltphantasien gegen anwesende Personen hegt (egal, ob es sich um "Maenner", "Frauen" oder "Kinder" handelt), nicht aber, wenn sie - sozusagen - abstrakt masturbiert.

Ferner ist es damit muessig, ueber Kleidungsempfehlungen zu diskutieren: das Problem ist die Person, die in der anderen ein zu beherrschendes Objekt sieht, nicht jene, die sich anzieht, wie sie will (sei das jetzt Lorelays "Schlampenoutfit", ein Bikini oder gar nichts. Andererseits bedeutet das auch, dass ich dem "Schlampenoutfit" jede Sinnhaftigkeit jenseits persoenlicher aesthetischer Praeferenzen abspreche. Ich mag Lorelay und ihre Geschichten im uebrigen sehr gerne, sie steht hier nur exemplarisch ;))

Offene Fragen:
  • Was ist "erwachsen"? Welcher Umgang ist mit kindlicher Sexualitaet zu ueben? Fuer manche ist 16, auch 14 sicher zu spaet, fuer andere zu frueh
  • Welchen Einfluss hat die Genderproblematik (Maenner als Spanner/Gogln/Johns, Frauen als Objekte)? In welchem Ausmass existiert das Phaenomen auch in umgekehrter Richtung und warum ist maennliche Gewalt (sexueller/pornographischer oder verbrecherischer Natur) viel praesenter (keine Biologismen, bitte ...)?
  • Welche moralischen Vorstellungen fuehren hier zu einem Impasse, bzw verstaerken den Status quo (z. B. Tabuisierung verschiedener Arten von Sexualitaet)?

Literatur:
Michel Foucault, Ueberwachen und Strafen, stw 184, Frankfurt am Main 1976
Michel Foucault, Der Wille zum Wissen - Sexualitaet und Wahrheit 1, stw 716, 1983
Charles Bukowski ("Richard Waite was jerking-off, a salute to Miss Gredis' thighs and legs ...", Ham On Rye, 1982)

Links:
http://www.masturbateforpeace.com/ http://www.masturbate-a-thon.com/ und aehnliches (auch im TV)
In A Perversion, There Is No Freedom, Only A Rigid Conformity To A Gender Stereotype
Cindy Lauper, She Bop
Spencer Tunick: 20.000 Nackte beim Foto-Shooting
 
[*] Sexualitaet ist etwas, das nur zwischen Subjekten passieren kann (fuer mich ein Axiom).

Dann kann Masturbation kein sexueller Akt sein. Siehe Autoerotik, Masturbationsmaschinismus. Also Axiom ändern oder präzisieren.

»Der Masturbationsmaschinist verachtet die üblicherweise kürzeste Verbindung zwischen Reiz und Reaktion und ersinnt anstatt dessen eine bewegungsmechanische Verkomplizierungstrategie.
Diese kann (...) höchst
einfacher Natur sein, eine
primitive Verkomplizierung sozusagen.«
Fritz Ostermayer


Quelle:
Fritz OSTERMAYER:
Gott ist ein Tod aus der Steckdose. edition selene 1994. 85 S.

Mehr morgen oder übermorgen, zur Zeit bin ich arbeitstechnisch leider ziemlich gestresst...
 
Habs mir jetzt noch mal durchgelesen, bin jetzt aber hundsmüde und werde zu Bett gehen, daher nur kurz:

Syllogistisch hauts schon hin, allerdings sind die Prämissen sehr diskussionswürdig (wie das meiste bei Monsieur Foucault). Aber das erledigen wir demnächst. ;)
 
Dann kann Masturbation kein sexueller Akt sein. Siehe Autoerotik, Masturbationsmaschinismus. Also Axiom ändern oder präzisieren.
Also letzteres, Masturbation gehoert fuer mich schon eindeutig in den Kontext der Sexualitaet. Ich wuerde den Bogen spannen, indem ich ein oder mehrere virtuelle Subjekte oder Objekte einfuehre. Falls vorhanden, sind diese dann ohnehin im Bereich der Phantasie angesiedelt und haben im Optimalfall keinen Einfluss auf die externe Wahrnehmung.

Allerdings waere hier auf der anderen Seite auch (da bin ich gestern dann quasi beim Schreiben eingeschlafen) die Frage nach dem Bild aufzuwerfen, das wir uns vom Gegenueber machen (Projektion) - ein beliebtes Motiv fuer Sex ist ja "Masturbation zu zweit", das Ignorieren der/des tatsaechlichen PartnerIn zu Gunsten eines Phantasiebildes (und die klischeehaft beliebteste Manifestation ist es, den falschen Namen zu schreien und damit der/dem PartnerIn versehentlich mitzuteilen, dass sie/er nur als Objekt gebraucht wird) ...
 
ein beliebtes Motiv fuer Sex ist ja "Masturbation zu zweit", das Ignorieren der/des tatsaechlichen PartnerIn zu Gunsten eines Phantasiebildes (und die klischeehaft beliebteste Manifestation ist es, den falschen Namen zu schreien und damit der/dem PartnerIn versehentlich mitzuteilen, dass sie/er nur als Objekt gebraucht wird) ...

also sei mit bitte nicht böse, wenn dieses (angenommene) allgemeine bild von sex auch auf dich zutrifft, dann ist dein sexualleben total im a....
glaubst du wirklich das es so viele leute gibt die beim sex mit der freundin/frau/ons an eine andere denkt?
und was noch viel schlimmer ist, beim sex BEWUSST den falschen namen zu schreien (um dem sexpartner "weh" zu tun)

und wenn das wirklich so beliebte und verbreitete motive für sex sind, dann wäre das wirklich traurig
 
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