Eure Lieblingsgedichte/Texte

Tagesprogramm

Heute will ich
aus dem Rahmen fallen
und weich landen,
dann zu der Musik
in meinem Kopf
schön aus der Reihe tanzen,
mich zum Ausruhen
zwischen die Stühle setzen,
danach ein bißchen
gegen den Strom schwimmen,
unter allem Geschwätz wegtauchen
und am Ufer der Phantasie
so lange den Sonnenschein genießen,
bis dem Ernst des Lebens
das Lachen vergangen ist.


H. Kruppa
 
Für einen Freund

Hab dich noch nie gesehen
und doch kenne ich dich.
Kann dich auch sehr oft verstehen,
ohne dir in die Augen zu sehen.

Lache auch sehr oft mit dir,
wenn du auch nicht bist bei mir.
Du bist wie der Vollmond in eisiger Nacht
nur dein Lächeln berührt mich ganz sacht.

Erzähl mir was dir auf der Seele brennt,
den Kummer den sonst keiner kennt.
Du bist mein Freund, so fern und doch so nah,
ich denke an dich und bin für dich da.

Freundschaft mit Worten die alles sagen,
so soll es sein in allen Tagen.

(Marion M.)
 
Verklärter Herbst

[...]

Georg Trakl, österreichischer frühexpressionistischer Dichter

Oh, da mag jemand Trakl! Und ein heißer Vulkan bist du noch dazu ... warte mal, ich muss mal eben schnell zum Juwelier!

In der Zwischenzeit, bis ich wieder zurück bin, kannst du ja das hier lesen:


Musik im Mirabell

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

(Georg Trakl, eh klar)
 
Und weil's gerade zufälligerweise thematisiert wurde zwischen Kollegen, hier mein Favorit von Heine. Ich liebe ja diesen derb-trockenen Humor. :)

Clarisse

1

Meinen schönsten Liebesantrag
Suchst du ängstlich zu verneinen;
Frag ich dann: ob das ein Korb sei?
Fängst du plötzlich an zu weinen.

Selten bet ich, drum erhör mich,
Lieber Gott! Hilf dieser Dirne,
Trockne ihre süßen Tränen
Und erleuchte ihr Gehirne.

2

Überall, wo du auch wandelst,
Schaust du mich zu allen Stunden,
Und je mehr du mich mißhandelst,
Treuer bleib ich dir verbunden.

Denn mich fesselt holde Bosheit,
Wie mich Güte stets vertrieben;
Willst du sicher meiner los sein,
Mußt du dich in mich verlieben.

3

Hol' der Teufel deine Mutter,
Hol' der Teufel deinen Vater,
Die so grausam mich verhindert,
Dich zu schauen im Theater.

Denn sie saßen da und gaben,
Breitgeputzt, nur seltne Lücken,
Dich im Hintergrund der Loge,
Süßes Liebchen, zu erblicken.

Und sie saßen da und schauten
Zweier Liebenden Verderben,
Und sie klatschten großen Beifall,
Als sie beide sahen sterben.

4

Geh nicht durch die böse Straße,
Wo die schönen Augen wohnen -
Ach! sie wollen allzugütig
Dich mit ihrem Blitz verschonen.

Grüßen allerliebst herunter
Aus dem hohen Fensterbogen,
Lächeln freundlich (Tod und Teufel!)
Sind dir schwesterlich gewogen.

Doch du bist schon auf dem Wege,
Und vergeblich ist dein Ringen;
Eine ganze Brust voll Elend
Wirst du mit nach Hause bringen.

5

Es kommt zu spät, was du mir lächelst,
Was du mir seufzest, kommt zu spät!
Längst sind gestorben die Gefühle,
Die du so grausam einst verschmäht.

Zu spät kommt deine Gegenliebe!
Es fallen auf mein Herz herab
All deine heißen Liebesblicke,
Wie Sonnenstrahlen auf ein Grab.

Nur wissen möcht ich: wenn wir sterben,
Wohin dann unsre Seele geht?
Wo ist das Feuer, das erloschen?
Wo ist der Wind, der schon verweht?

(Heinrich Heine, 1797-1856)

PS: Nein, diese Clarisse war nicht Namensgeberin für meine Katze, wäre aber auch keine schlechte Patin gewesen.
 
Ja einer von denen, ich mag Trakl sehr.
Das Gedicht "Musik im Mirabell" ist nicht typisch für den Expressionismus. Es ist sehr melancholisch, um nicht zu sagen beinahe todessehnsüchtig.

Danke für dein "gefällt mir" und ich werde sicher noch mehr von Trakl bringen.
Lg.
 
Ja, absolut typisch ist ja sein "Psalm", wie ich finde. Den habe ich hier in diesem Thread schon mal an anderer Stelle gepostet. Mein Liebling von Trakl, hat mMn alles, was Trakl ausmacht.

Viele Grüße

Einer von denen

PS: Ich habe mich übrigens selbst mal an einem Gedicht im Stile von Trakl versucht zur Geburt meines ersten Neffen. Wenn es dich interessiert, kann ich es ja mal aus den Untiefen meiner Archive hervorkramen.
 
Von Heine ist mein absoluter Favorit : "An meine Mutter", was für mich eine besondere, private
Bedeutung hat!
 
Ja, absolut typisch ist ja sein "Psalm", wie ich finde. Den habe ich hier in diesem Thread schon mal an anderer Stelle gepostet. Mein Liebling von Trakl, hat mMn alles, was Trakl ausmacht.

Viele Grüße

Einer von denen

PS: Ich habe mich übrigens selbst mal an einem Gedicht im Stile von Trakl versucht zur Geburt meines ersten Neffen. Wenn es dich interessiert, kann ich es ja mal aus den Untiefen meiner Archive hervorkramen.

Danke, würde mich wirklich interessieren!
 
Ich muss gestehen, dass ich Heines "An meine Mutter" erst googlen musste, daran habe ich mich nicht mehr erinnert. Aber nun ist es mir wieder eingefallen. Das Gedicht ist wunderbar, aber - wie so oft auch bei Heine - vielleicht einen Tick zu lang. Das erste Sonett finde ich großartig, das zweite dann doch eher ein wenig banal. Ähnlich, aber nicht ganz so klar, geht es mir mit der Clarisse. Es müsste eigentlich nach dem dritten Teil zu Ende sein, finde ich. (Und ich denke, in der Werkausgabe, die ich zu Hause habe, ist es tatsächlich auch so, aber das muss ich erst einmal nachblättern.)

Wegen trakligen Gedichten: Ja, gerne. Ich werde mal stöbern gehen.

Viele Grüße

Einer von denen
 
Okay, gefunden. Hier ist es nun. Das Ganze war eben als eine sehr tiefe Verbeugung vorm Meister gedacht. Die letzte Zeile habe ich dann sogar vom Psalm übernommen und adaptiert. Ein Trakl ist es natürlich nicht und wird es auch nie sein.

[edit]: Habe das Gedicht in den passenden Thread verschoben - siehe Link oben.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Oh, danke für den Hinweis. Gut, dann fahre ich das mal da rüber, kein Problem.

:moped:
 
AN MEINE ROSE

Frohlocke, schöne junge Rose,
Dein Bild wird nicht verschwinden
Wenn auch die Glut, die dauerlos
Verweht in Abendwinden.

So süßer Duft, so helle Flamme
Kann nicht für irdisch gelten,
Du prangst am stolzen Rosenstamm
Verpflanzt aus anderen Welten.

Aus Büschen, wo die Götter gerne
Sich in die Schatten senken,
Wenn sie in heilig stiller Ferne
Der Menschen Glück bedenken.

Drum mich ein Hinübersehnen
Stets inniger umschmieget,
Je länger sich in meinen Thränen
Dein holdes Antlitz wieget.

O weilten wir in jenen Lüften,
Wo keine Schranke wehrte,
Daß ich mit deinen Zauberdüften
Die Ewigkeiten nährte!

Nikolaus Lenau
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn du fliegen willst, dann flieg´,
wenn du bleiben willst, dann bleib´.
Wenn du glücklich bist, umarm die ganze Welt.
Wenn du träumen willst, dann träum´,
wenn du weinen willst, dann wein´.
Was dein Herz dir sagt, ist das einzige, das zählt.

Geh´ den Weg, den dir die Sehnsucht zeigt,
bis im Morgenrot nur mehr die Liebe bleibt.
Glaub an dich, wenn du nach den Sternen greifst.
Denn das ist die Kraft mit der du auch den größten Traum erreichst.

Gib nicht auf, fang nochmals von vorne an.
Denk nicht immer daran, was dir weh tun kann.
Vergiß die Angst, manches Lächeln, das heißt Glück.
Geh´ einfach hinaus, schau nicht weg - lach doch mal zurück.


(ist eigentlich ein Song von Alexander Helmer, aber Text hat mir so gut gefallen)
 
ich bin drei schritte vom abgrund entfernt
Und ich kann nicht springen
Und ich kann nicht gehn
Und vor allen dingen
Kann ich hier nicht stehn

- Tocotronic
 
die welt ist eine heilanstalt
Mit lauter schweren fällen
Die alle glauben frei zu sein
In ihren gummizellen

- EAV
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich wandle einsam,
Mein Weg ist lang;
Zum Himmel schau ich
Hinauf so bang.

Kein Stern von oben
Blickt niederwärts,
Glanzlos der Himmel,
Dunkel mein Herz.

Mein Herz und der Himmel
Hat gleiche Not,
Sein Glanz ist erloschen,
Mein Lieb ist tot.


Peter Cornelius
 
Schein und Sein
Mein Kind, es sind allhier die Dinge,
Gleichviel, ob große, ob geringe,
Im Wesentlichen so verpackt,
Daß man sie nicht wie Nüsse knackt.

Wie wolltest du dich unterwinden,
Kurzweg die Menschen zu ergründen.
Du kennst sie nur von außenwärts.
Du siehst die Weste, nicht das Herz.

Wilhelm Busch
 
Wenn einer fortgeht, gibt man sich die Hände,
Am Bahnhof lächelt man, so gut es geht.
Wie oft sind unsrer Sehnsucht Außenstände
Mit einem D-Zug schon davon geweht...

Wenn einer fortfährt, steht man zwischen Zügen,
Und drin sitzt der, um den sich alles dreht.
Man könnte dieses "alles" anders fügen.
Durch einen Blick, ein Wort vielleicht. – Zu spät.

Wenn einer fortfährt geht das Herz auf Reisen
Und treibt sich irgendwo allein herum
Es ist schon manchmal schwer, nicht zu entgleisen.
Die klügste Art zu reden bleibt doch: stumm.

Wenn einer fortgeht, kann man nichts vergessen.
Und jeder Tag ist ein Erinnerungsblatt.
Wenn einer fortgeht, braucht man nichts zu essen.
Man wird so leicht vom Tränenschlucken satt.

Wenn einer fort ist, gibt es Ansichtskarten
Und ab und zu mal einen dicken Brief.
Ein schweres Verbum ist das Wörtchen "warten"
Und "lebe wohl" ein Schluss – Imperativ...


Mascha Kaléko
 
IM HERBST

Der Wald wird falb, die Blätter fallen,
Wie öd und still der Raum!
Die Bächlein nur gehn durch die Buchen
Lind rauschend wie im Traum,
Und Abendglocken schallen
Fern von des Waldes Saum.

Was wollt ihr mich so wild verlocken
In dieser Einsamkeit?
Wie in der Heimat klingen diese Glocken
Aus stiller Kinderzeit -
Ich wende mich erschrocken,
Ach, was mich liebt, ist weit!

So brecht hervor nur, alte Lieder,
Und brecht das Herz mir ab!
Noch einmal grüß ich aus der Ferne wieder,
Was ich nur Liebes hab,
Mich aber zieht es nieder
Vor Wehmut wie ins Grab.

(Joseph von Eichendorff)
 
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