Danke für diesen Thread. Genau diese Frage stelle ich mir hin und wieder mal. Und mein Standpunkt ist beweglich.
Wenn ich mir überlege, wie ich
jetzt lebe und wie ich mir mein "Erwachsen-Sein" als Kind oder Jugendliche vorgestellt habe ... nun ja, das eine hat mit dem anderen nicht viel gemeinsam.
Was ich aber merke ist, dass es ein langer Weg ist, die vorherrschenden Moralvorstellungen kritisch zu reflektieren, einen guten Umgang mit eingenen Wünschen, Bedürfnissen, Träumen und Phantasien (und denen des Lebens- und/oder Sex-Partners) zu finden und die eigene(-n) Beziehung(-en) so zu gestalten, dass alle gut damit leben können. Oder bereit zu sein, die Konsequenzen zu tragen.
Werten und urteilen über andere, das überlasse ich gern anderen. Ich muss nicht alles nachvollziehen, verstehen oder mögen. Seien es Lebensstile, Sexpraktiken oder Beziehungsformen. Allerdings ist mir
Ehrlichkeit gegenüber meiner/meinem Partner*in und auch mir selbst gegenüber wichtig. Ich selbst bin für die Gestaltung meines Lebens verantwortlich. Ich muss mein Lebensglück nicht von anderen abhängig machen. Das ein oder andere habe ich abgelehnt, weil ich mir - gerade in sehr "überschwenglichen Situationen" - diese Frage gestellt habe:
Wenn ich das jetzt mache, kann ich mir morgen noch aufrichtig in den Spiegel schauen?
Auch jetzt aktuell: Ich spüre eine tiefe Verbundenheit zu einem Menschen, der mit sich selbst und seinen Wünschen und Zielen nicht eindeutig ist (und sein
kann, was ich in diesem Falle total verstehe). Macht es mich trotzdem glücklich, Zeit mit ihm zu verbringen - nicht wissend, wie sich er selbst und diese "Beziehung" sich weiter entwickeln? Was fühle ich, wenn ich sehe, dass er auf Dating-Plattformen angemeldet ist? Möchte ich diese Form von "Beziehung" fortsetzen - nicht wissend, was er wirklich will und kann?
Auch einzuschätzen, wenn ich in einer Partnerschaft
und Lebensgemeinschaft mit
einer Person zusammenleben würde und er/sie "aushäusige"
Kontakte zu professionellen Dienstleister*innen suchen würde, eine Affaire/Liebschaft/Freundschaft+ pflegen würde, wie ich damit umgehen würde, das kann ich nicht. Vielfach ändert sich die eigene Perspektive, wenn man beispielsweise in eine "gefürchtete" Situation gerät. Man gewinnt an innerer Stärke, man reflektiert, man spürt in sich hinein, man entdeckt neue Wege (#Resilienz).
Was ich kenne, ist selbst die "Affaire" zu sein, obwohl ich auch Kontakt mit seiner 'sie' habe und 'sie' einerseits wirklich schätze und zudem noch sehr attraktiv finde. Zugleich war in den ersten Wochen mir schon klar, dass deren Beziehung tot ist und es nur eine Frage der Zeit war, wann wer einen Schlussstrich ziehen würde. Nach meiner Erfahrung (und auch der Fachliteratur) "passieren" keine Affairen
einfach so. Das erst einmal für sich selbst zu akzeptieren und dann offen für die Begegnung zu sein, meine ich mit "Ehrlichkeit gegenüber sich selbst". Erst dann bin ich auch frei zu entscheiden, was ich möchte, die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen und auch die Konsequenzen zu tragen. Tragen - nicht zu
er-tragen!
Resumee:
Ich denke, jedeR sollte selbst frei entscheiden können, wie er/sie leben möchte. In welcher Form von Beziehung auch immer - so lange es für alle Beteiligten ok (und im rechtlichen Rahmen) ist. Was ich wichtig finde: Bei allem verantwortungsbewusst zu handeln, ehrlich zu sein, miteinander im Gespräch zu sein und zu bleiben (auch über Wünsche, Phantasien, Grenzen) und sich gleichberechtigt auf Augenhöhe zu begegnen.