Ich habe in den letzten 3 Tagen "Frau Paula Trousseau" von Christoph Hein verschlungen. Ich gebe es zu: grundsätzlich stehe ich Büchern sehr, sehr skeptisch gegenüber, die aus der Sicht von einer Frau von einem männlichen Autor erzählt werden. Aber Christoph Hein schafft das bravourös, was mich völlig beeindruckt.
Das Buch beginnt mit dem Selbstmord von Paula Trousseau, einer Malerin, die in den 70er/80er Jahren in der DDR lebt. Sie flüchtet von ihrem tyrannischen Vater und der alkoholkranken Mutter sehr früh in eine lieblose Ehe. Sie zeigt aber großen Mut und Widerstand, verschiebt die Hochzeit, weil am geplanten Termin die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule angesetzt ist. Sie wird aufgenommen, heiratet. Der Mann schwängert sie, indem er einfach einige Pillen mit Placebos vertauscht. Sie studiert trotzdem, sorgt für ihre Tochter, arbeitet hart. Als sie sich von ihrem Mann scheiden lässt, wird ihr ihre Tochter Cordula weggenommen, der Ex-Mann verhindert jeden Kontakt. Diesen Lebensbericht schreibt Paula für ihre Tochter Cordula auf. Die Tochter konnte ihr die Trennung nie verzeihen und gibt konsequenterweise das Manuskript ungelesen zurück.
Paula wird vom schüchternen, ängstlichen Mädchen zur mutigen, widerständischen Frau, die seltsam unpolitisch zu sein scheint. Sie hat kaum FreundInnen, hält nicht viel von der Liebe, lebt eigentlich nur für ihre Malerei. Hein erzählt das Leben dieser Frau psychologisch schlüssig. Sie scheitert mit ihrem Lebensentwurf, wie sie an den Verhältnissen in der DDR scheitert, als Frau und als Künstlerin. Ein für sie wichtiger Freund (wahrscheinlich der wichtigste Freund) hatte sie einst mit der Begründung verlassen, sie sei unfähig zu lieben. Diese Diagnose, nur zu früh gestellt, bewahrheitet sich im Laufe der Jahre immer mehr. Dabei zeigt sich Paula, alles andere als prüde, auch lesbischen Beziehungen gegenüber offen. Sie lebt immer wieder mit Männern, verliebt sich aber nie mehr. Als sie wieder schwanger wurde, trennte sie sich vom Vater ihres Sohnes, ohne diesem von der Schwangerschaft zu erzählen: dieses Kinde würde ihr keiner mehr nehmen. Sie liebte ihren Sohn abgöttisch, suchte eine Vaterfigur für ihn. Als der Sohn sein Studium abgeschlossen hatte, tritt sie ihre letzte Reise an: nach Frankreich, wo sie sich das Leben nahm.
Ein wunderschönes, faszinierendes Buch über das Leben einer besonderen Frau: einer Künstlerin, einer Frau, die immer wieder gebrochen wurde, sich ihren Stolz nie nehmen ließ, aber letztendlich an ihrem Lebensentwurf, an ihren Verletzungen, an den politischen Rahmenbedingungen scheiterte.
Aus ihrem Abschiedsbrief:
"Ich wünschte, ich wäre nur irgendein Mädchen gewesen, nicht hübsch, nicht begabt und vor allem ohne Träume. Es wäre mir leichter geworden, den Nachstellungen und Verleumdungen zu entgegen. Es hätte mir vielleicht die Kraft gegeben, mich zu wehren. Verzeih mir, Michael, verzeih mir, du mein Einziger, aber ich habe mein Leben einige Jahre länger getragen, als ich es ertragen konnte. Das solltest du mir zugutehalten, mein Junge."