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Gast
(Gelöschter Account)
Auch 15 Jahre nach dem Ende des Kommunismus ist Moskau noch lange nicht Berlin. FOCUS-Online-Korrespondent Boris Reitschuster berichtet über Alltägliches, Skurriles und den ganz normalen Wahnsinn in der russischen Hauptstadt.
Was? Ein Frühstück? Die Bedienung in der hautengen schwarzen Bluse schaut mürrisch an mir vorbei auf den Tisch: Haben wir heute nicht. Irgendetwas anderes zum Essen? Gibt es auch nicht. Die junge, hübsche Frau blickt mich so böse an, als ob ich ihr gerade ein unsittliches Angebot gemacht hätte: Was wollen Sie überhaupt von mir? Der Koch ist heute früh nicht gekommen! Solange er nicht da ist, gibt es gar nichts. Wann er kommt? In einer halben Stunde, gegen 11 Uhr. Vielleicht.
Die Szene aus dem Restaurant Monterosso am staubigen Moskauer Taganka-Platz ist alles andere als eine Ausnahme. Auch wenn sich die einst triste Sowjet-Metropole Moskau in eine glitzernde Boom-Stadt verwandelt hat: Wie der Rest des Landes ist auch die Hauptstadt eher Service-Notstandsgebiet als ein Paradies für Kunden.
Unter den Kommunisten hatten Verkäuferinnen, Bedienungen und Tankwarte als Verwalter des Mangels den Status von Fürsten: Sie entschieden, wem sie die begehrte Ware abgaben, wie das sowjetische Wort für verkaufen hieß. Freundlichkeit war nur Sache der Kunden wenn sie überhaupt Kunden werden wollten. Die alte Mentalität sitzt bis heute tief.
Solange man nicht in Kontakt mit der Bedienung kommt, könnte man sich das Restaurant Monterosso genauso gut in Berlin, Paris oder Rom vorstellen:
Schicke Designermöbel, breite Sofas mit dicken Kissen vor den Fenstern, modische Lifestyle-Fotos in Schwarz-Weiß und angesagte Discjockeys.
Auch die Preise sind westlich: 400 Rubel, ca. 13 Euro, kostet ein Hauptgericht. Im Vergleich zu anderen Moskauer Restaurants fast umsonst einerseits. Andererseits aber bei einem Durchschnittslohn von 200 bis 300 Euro dennoch eine stolze Summe. Aber das ist für kaum jemand ein Hindernis. Wenn man Geld in der Tasche hat, legt man es in Russland nicht etwa auf die hohe Kante man gibt es so schnell wie möglich aus. Das liegt nicht nur an der sprichwörtlichen Großzügigkeit der Russen, sondern auch an ihrer Lebenserfahrung: Im Sozialismus verlernten die Menschen, auf den Preis zu sehen. Es fehlte stets mehr an Waren als an Geld. Sobald es einmal etwas zu kaufen gab, langte man zu.
Zu Perestroika-Zeiten verwandelten Inflation, Geldreformen und Banken-Krachs den Rubel mehrmals in wertloses Papier. Die Lektion: Lieber heute ausgeben denn morgen als Altpapier entsorgen. Nur so ist zu erklären, warum die Packung Schimmelkäse in Moskau im Laden sechs Euro kostet, warum für eine Ein-Zimmer-Bruchbude 400 Euros Miete fällig sind und in Restaurants Weinflaschen für den gleichen Preis an den Mann gebracht werden. Zwar lebt immer noch ein Großteil der Russen am Rande des Existenz-Minimums. Doch zumindest in der Zehn-Millionen-Stadt Moskau ist die Zahl der Reform-Gewinnler groß genug, um den Dollar rollen zu lassen.
Doch so verwöhnt das zahlungskräftige Publikum in Moskau inzwischen in Sachen Stil und Einrichtung ist so wenig empört man sich über schlechten Service. Als die Uhr schon 11.15 zeigt, fehlt im Café Monterosso immer noch jede Spur vom Koch und auch die Bedienung ist inzwischen verschwunden. Geduldig sitzen die Besucher an ihren Tischen und schweigen. Gegen 11.30 taucht die Bedienung wieder auf. Es mag am sehnsüchtigen Warten liegen jedenfalls scheint mir ihre Bluse jetzt noch enger zu sitzen. Doch sie läuft schweigend an meinem Tisch vorbei.
Gibt es immer noch nichts zu essen?, frage ich sie. Offenbar nicht demütig genug. Nein, bescheidet sie mir missmutig im Vorübergehen. Und wann ist es soweit? Sie sieht mich an, als wolle ich sie gerade gewaltsam in der Küche anbinden: Woher soll ich denn wissen, wann der Koch kommt. Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen! Nein, nicht etwa, dass ich so naiv gewesen wäre, eine Entschuldigung zu erwarten, nur weil es nichts zu essen gibt. Aber der Wink auf die Ausgangstür ist doch etwas ungalant.
Als ich verärgert gehen will, wartet die nächste Überraschung:
Der Garderobier ist mit Fortbildung beschäftigt offenbar zumindest, denn er löst an einem der Tische ein Kreuzworträtsel. Als er sieht, dass ich mit meiner Garderobenmarke vor den Kleiderständern stehe, um meinen Mantel abzuholen es hat gerade einmal vier Grad in Moskau an diesem Mai-Tag und am Morgen fiel sogar Schnee blickt er nur kurz verächtlich herüber und vertieft sich wieder in sein Heft. Wäre ja auch noch mal schöner, wenn er wegen dieser lästigen Kunden aufstehen müsste. Ein typischer Fall von unaufdringlichem Service, wie die Russen den Totalausfall von Freundlichkeit ironisch nennen.
Ich wühle mich durch die Kleiderbügel und kann es mir nur mit Mühe verkneifen, aus Rache die Garderobenmarke mitgehen zu lassen. Zumindest habe ich nun einen Verdacht, was die Besucher trotz des allzu unaufdringlichen Personals in Wirklichkeit hierher lockt ins Monterosso: Der falsche Spiegel, zwischen Damen- und Herren-Toilette, der den Männern einen geheimen Blick auf die Geschäfte des schwachen Geschlechts erlaubt ein kleiner Gag des Besitzers, wie einmal eine Bedienung ausnahmsweise gut gelaunt verriet.
Emanzipation ein Schimpfwort
Für westliche Verhältnisse nicht gerade politisch korrekt und in den USA wohl gar ein Fall für den Staatsanwalt. Nicht so in Russland. Zwischen Kaliningrad und Wladiwostok ist Emanzipation noch ein Schimpfwort. Die Rollen in den meisten Familien sind klar verteilt: Der Mann auf dem Sofa, die Frau in die Küche.
Der russische Durchschnitts-Mann erwartet von seiner Frau wie selbstverständlich, dass sie ihm morgens, mittags und abends das Essen auf den Tisch stellt. Und das ist, wie könnte es anders sein, nicht zuletzt eine Folge des schlechten Services: Man wird zwar auch außer Haus satt aber selten mit einem Lächeln bedient. Das jedoch ist für viele russische Männer wichtig wie eine Nachbarin erfahren musste, als ihr Göttergatte ihr die frisch kredenzte Suppe über den Kopf schüttete, weil sie das Gericht ohne Lächeln aufgetragen hatte.
Auch Auswege wie ein Pizzaservice funktionieren nur bedingt.
Natürlich darf man hier auf ein Lachen nicht einmal hoffen, und man sollte deswegen dem Kurier nicht die Pizza über den Kopf schlagen. Es kommt vor, dass die heiß begehrte Ware einfach ausbleibt. Wenn man nach zwei Stunden mit knurrendem Magen oder beleidigten Gästen nachfragt, wo das Abendessen geblieben ist, erklärt die Dame in der Leitung mit Unschulds-Stimme: Oh, uns sind die Oliven ausgegangen und wir haben Ihre Pizza Vegetarianskaja deshalb streichen müssen. Zumindest Bescheid zu geben oder eine andere Pizza zu liefern, kam niemanden in den Kopf.
Dass der Kurier stundenlang im Moskauer Stau feststeckt oder ohne Wechselgeld ankommt, ist eher Regel als Ausnahme. Zuweilen bekommt man die falsche Pizza geliefert was besonders erfreulich ist, wenn der Schichtleiter sich weigert, sie umzutauschen: Sie können das doch gar nicht unterscheiden, ob da Fleisch drauf ist oder nicht.
Nicht ganz reibungslos funktioniert auch der Getränke-Lieferservice. Wenn der die falsche Limonade bringt die mit Zucker statt der Light-Version, darf man nicht etwa auf eine Entschuldigung hoffen und den prompten Austausch der Ware. Nach fünf Anrufen bei den verschiedensten Instanzen gibt es bei der Beschwerde-Abteilung endlich eine Antwort: Das ist Ihr Problem, nicht unseres. Erst die sehr laut ausgesprochenen Worte Generaldirektor und Skandal sorgen für Bewegung: An welcher Adresse sollen wir die Limonade umtauschen?
Doch nicht nur bei Essen und Trinken herrscht der Service-GAU. Viele Devisen-Wechselstuben in Moskau erinnern heute noch an die Grenzübergänge zu Sowjetzeiten als die Gesichter der Grenzer hinter dunklem Spiegelglas allenfalls zu erahnen waren. Die moderne Kassiererin versteckt sich hinter Jalousien, die so weit herunterhängen, dass man gerade noch die Hand mit dem Geld durchstrecken kann.
Hose von Bud Spencer
Fehlender Durchblick ist auch anderweitig zu beklagen. Als ich kürzlich vor dem Spiegel stehe und mich selbst nicht mehr wieder erkenne, liegt das nicht etwa an Farbblindheit oder einer plötzlichen Gewichts-Zunahme (woher auch, bei den Problemen mit Frühstücken und Pizzas) sondern daran, dass meine Hose lila glänzt und eher auf einen Bären passt als auf mich. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Reinigung etwas verwechselt hat und ich die Hosen eines farblich nicht ganz treffsicheren anderen Kunden bekommen habe der Form nach zu urteilen eine russischen Version von Bud Spencer.
Die Mitarbeiterin der Reinigung hat nicht etwa eine Entschuldigung für mich übrig. Wie einem ertappten Dieb reißt sie mir die Hosen aus der Hand: Ah, die suchen wir schon, Sie haben die also, na endlich sind sie zurück, spricht sie und entschwindet. Als sie nach einer halben Ewigkeit zurückkommt und ich sie höflich darauf aufmerksam mache, dass nun auch mir zwei Hosen fehlen, blickt sie mich böse an: Schreiben Sie einen Brief an den Direktor. Den Brief habe ich geschrieben; auf die Hosen oder zumindest eine Entschädigung warte ich seit mehr als einem Jahr.
Manchmal ist es denn auch besser, ganz auf eine Beschwerde zu verzichten. Zumindest in der Metro. Als die Drehscheiben am Eingang plötzlich meine Monatskarte nicht mehr erkennt der Magnetstreifen hatte wohl das Zeitliche gesegnet stelle ich mich brav in die Warteschlange an der Kasse. Als ich nach zehn Minuten endlich dran bin, mache ich in meiner westlichen Unbedarftheit den unverzeihlichen Fehler, die alte, kaputte Karte vorzuzeigen und die alte Dame hinter der Plastikglas-Scheibe, die ihre Hornbrille notdürftig mit Tesafilm zusammengeklebt in die Sturmfrisur gesteckt hat, zu bitten, sie auszutauschen. Da müssen Sie warten, das kann nur unsere Schichtleiterin machen, aber die ist gerade essen; es kann aber höchstens zwanzig Minuten dauern.
Okay, dann kläre ich das mit der Monatskarte ein anderes Mal, verkaufen Sie mir jetzt bitte einen Einzelfahrschein, bitte ich die Kassiererin arglos. Das geht nicht, wir müssen das jetzt klären mit Ihrer Monatskarte, solange kann ich Ihnen keinen Einzelfahrschein verkaufen, eröffnet sie mir. Dabei muss ich dringend zu einem Treffen. Die Rettung: Der miserable Service in Russland wird oft durch herzerweichende Menschlichkeit kompensiert wenn man es nur richtig angeht. Bitte, bitte, sind Sie so lieb ich muss zu einem wichtigen Treffen, säusle ich Richtung Glasfenster. Plötzlich verwandelt sich die faltige Dame mit dem strengen Gesicht in eine lächelnde alte Babuschka: Na gut, hier bitte, mein Söhnchen!
Was? Ein Frühstück? Die Bedienung in der hautengen schwarzen Bluse schaut mürrisch an mir vorbei auf den Tisch: Haben wir heute nicht. Irgendetwas anderes zum Essen? Gibt es auch nicht. Die junge, hübsche Frau blickt mich so böse an, als ob ich ihr gerade ein unsittliches Angebot gemacht hätte: Was wollen Sie überhaupt von mir? Der Koch ist heute früh nicht gekommen! Solange er nicht da ist, gibt es gar nichts. Wann er kommt? In einer halben Stunde, gegen 11 Uhr. Vielleicht.
Die Szene aus dem Restaurant Monterosso am staubigen Moskauer Taganka-Platz ist alles andere als eine Ausnahme. Auch wenn sich die einst triste Sowjet-Metropole Moskau in eine glitzernde Boom-Stadt verwandelt hat: Wie der Rest des Landes ist auch die Hauptstadt eher Service-Notstandsgebiet als ein Paradies für Kunden.
Unter den Kommunisten hatten Verkäuferinnen, Bedienungen und Tankwarte als Verwalter des Mangels den Status von Fürsten: Sie entschieden, wem sie die begehrte Ware abgaben, wie das sowjetische Wort für verkaufen hieß. Freundlichkeit war nur Sache der Kunden wenn sie überhaupt Kunden werden wollten. Die alte Mentalität sitzt bis heute tief.
Solange man nicht in Kontakt mit der Bedienung kommt, könnte man sich das Restaurant Monterosso genauso gut in Berlin, Paris oder Rom vorstellen:
Schicke Designermöbel, breite Sofas mit dicken Kissen vor den Fenstern, modische Lifestyle-Fotos in Schwarz-Weiß und angesagte Discjockeys.
Auch die Preise sind westlich: 400 Rubel, ca. 13 Euro, kostet ein Hauptgericht. Im Vergleich zu anderen Moskauer Restaurants fast umsonst einerseits. Andererseits aber bei einem Durchschnittslohn von 200 bis 300 Euro dennoch eine stolze Summe. Aber das ist für kaum jemand ein Hindernis. Wenn man Geld in der Tasche hat, legt man es in Russland nicht etwa auf die hohe Kante man gibt es so schnell wie möglich aus. Das liegt nicht nur an der sprichwörtlichen Großzügigkeit der Russen, sondern auch an ihrer Lebenserfahrung: Im Sozialismus verlernten die Menschen, auf den Preis zu sehen. Es fehlte stets mehr an Waren als an Geld. Sobald es einmal etwas zu kaufen gab, langte man zu.
Zu Perestroika-Zeiten verwandelten Inflation, Geldreformen und Banken-Krachs den Rubel mehrmals in wertloses Papier. Die Lektion: Lieber heute ausgeben denn morgen als Altpapier entsorgen. Nur so ist zu erklären, warum die Packung Schimmelkäse in Moskau im Laden sechs Euro kostet, warum für eine Ein-Zimmer-Bruchbude 400 Euros Miete fällig sind und in Restaurants Weinflaschen für den gleichen Preis an den Mann gebracht werden. Zwar lebt immer noch ein Großteil der Russen am Rande des Existenz-Minimums. Doch zumindest in der Zehn-Millionen-Stadt Moskau ist die Zahl der Reform-Gewinnler groß genug, um den Dollar rollen zu lassen.
Doch so verwöhnt das zahlungskräftige Publikum in Moskau inzwischen in Sachen Stil und Einrichtung ist so wenig empört man sich über schlechten Service. Als die Uhr schon 11.15 zeigt, fehlt im Café Monterosso immer noch jede Spur vom Koch und auch die Bedienung ist inzwischen verschwunden. Geduldig sitzen die Besucher an ihren Tischen und schweigen. Gegen 11.30 taucht die Bedienung wieder auf. Es mag am sehnsüchtigen Warten liegen jedenfalls scheint mir ihre Bluse jetzt noch enger zu sitzen. Doch sie läuft schweigend an meinem Tisch vorbei.
Gibt es immer noch nichts zu essen?, frage ich sie. Offenbar nicht demütig genug. Nein, bescheidet sie mir missmutig im Vorübergehen. Und wann ist es soweit? Sie sieht mich an, als wolle ich sie gerade gewaltsam in der Küche anbinden: Woher soll ich denn wissen, wann der Koch kommt. Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen! Nein, nicht etwa, dass ich so naiv gewesen wäre, eine Entschuldigung zu erwarten, nur weil es nichts zu essen gibt. Aber der Wink auf die Ausgangstür ist doch etwas ungalant.
Als ich verärgert gehen will, wartet die nächste Überraschung:
Der Garderobier ist mit Fortbildung beschäftigt offenbar zumindest, denn er löst an einem der Tische ein Kreuzworträtsel. Als er sieht, dass ich mit meiner Garderobenmarke vor den Kleiderständern stehe, um meinen Mantel abzuholen es hat gerade einmal vier Grad in Moskau an diesem Mai-Tag und am Morgen fiel sogar Schnee blickt er nur kurz verächtlich herüber und vertieft sich wieder in sein Heft. Wäre ja auch noch mal schöner, wenn er wegen dieser lästigen Kunden aufstehen müsste. Ein typischer Fall von unaufdringlichem Service, wie die Russen den Totalausfall von Freundlichkeit ironisch nennen.
Ich wühle mich durch die Kleiderbügel und kann es mir nur mit Mühe verkneifen, aus Rache die Garderobenmarke mitgehen zu lassen. Zumindest habe ich nun einen Verdacht, was die Besucher trotz des allzu unaufdringlichen Personals in Wirklichkeit hierher lockt ins Monterosso: Der falsche Spiegel, zwischen Damen- und Herren-Toilette, der den Männern einen geheimen Blick auf die Geschäfte des schwachen Geschlechts erlaubt ein kleiner Gag des Besitzers, wie einmal eine Bedienung ausnahmsweise gut gelaunt verriet.
Emanzipation ein Schimpfwort
Für westliche Verhältnisse nicht gerade politisch korrekt und in den USA wohl gar ein Fall für den Staatsanwalt. Nicht so in Russland. Zwischen Kaliningrad und Wladiwostok ist Emanzipation noch ein Schimpfwort. Die Rollen in den meisten Familien sind klar verteilt: Der Mann auf dem Sofa, die Frau in die Küche.
Der russische Durchschnitts-Mann erwartet von seiner Frau wie selbstverständlich, dass sie ihm morgens, mittags und abends das Essen auf den Tisch stellt. Und das ist, wie könnte es anders sein, nicht zuletzt eine Folge des schlechten Services: Man wird zwar auch außer Haus satt aber selten mit einem Lächeln bedient. Das jedoch ist für viele russische Männer wichtig wie eine Nachbarin erfahren musste, als ihr Göttergatte ihr die frisch kredenzte Suppe über den Kopf schüttete, weil sie das Gericht ohne Lächeln aufgetragen hatte.
Auch Auswege wie ein Pizzaservice funktionieren nur bedingt.
Natürlich darf man hier auf ein Lachen nicht einmal hoffen, und man sollte deswegen dem Kurier nicht die Pizza über den Kopf schlagen. Es kommt vor, dass die heiß begehrte Ware einfach ausbleibt. Wenn man nach zwei Stunden mit knurrendem Magen oder beleidigten Gästen nachfragt, wo das Abendessen geblieben ist, erklärt die Dame in der Leitung mit Unschulds-Stimme: Oh, uns sind die Oliven ausgegangen und wir haben Ihre Pizza Vegetarianskaja deshalb streichen müssen. Zumindest Bescheid zu geben oder eine andere Pizza zu liefern, kam niemanden in den Kopf.
Dass der Kurier stundenlang im Moskauer Stau feststeckt oder ohne Wechselgeld ankommt, ist eher Regel als Ausnahme. Zuweilen bekommt man die falsche Pizza geliefert was besonders erfreulich ist, wenn der Schichtleiter sich weigert, sie umzutauschen: Sie können das doch gar nicht unterscheiden, ob da Fleisch drauf ist oder nicht.
Nicht ganz reibungslos funktioniert auch der Getränke-Lieferservice. Wenn der die falsche Limonade bringt die mit Zucker statt der Light-Version, darf man nicht etwa auf eine Entschuldigung hoffen und den prompten Austausch der Ware. Nach fünf Anrufen bei den verschiedensten Instanzen gibt es bei der Beschwerde-Abteilung endlich eine Antwort: Das ist Ihr Problem, nicht unseres. Erst die sehr laut ausgesprochenen Worte Generaldirektor und Skandal sorgen für Bewegung: An welcher Adresse sollen wir die Limonade umtauschen?
Doch nicht nur bei Essen und Trinken herrscht der Service-GAU. Viele Devisen-Wechselstuben in Moskau erinnern heute noch an die Grenzübergänge zu Sowjetzeiten als die Gesichter der Grenzer hinter dunklem Spiegelglas allenfalls zu erahnen waren. Die moderne Kassiererin versteckt sich hinter Jalousien, die so weit herunterhängen, dass man gerade noch die Hand mit dem Geld durchstrecken kann.
Hose von Bud Spencer
Fehlender Durchblick ist auch anderweitig zu beklagen. Als ich kürzlich vor dem Spiegel stehe und mich selbst nicht mehr wieder erkenne, liegt das nicht etwa an Farbblindheit oder einer plötzlichen Gewichts-Zunahme (woher auch, bei den Problemen mit Frühstücken und Pizzas) sondern daran, dass meine Hose lila glänzt und eher auf einen Bären passt als auf mich. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Reinigung etwas verwechselt hat und ich die Hosen eines farblich nicht ganz treffsicheren anderen Kunden bekommen habe der Form nach zu urteilen eine russischen Version von Bud Spencer.
Die Mitarbeiterin der Reinigung hat nicht etwa eine Entschuldigung für mich übrig. Wie einem ertappten Dieb reißt sie mir die Hosen aus der Hand: Ah, die suchen wir schon, Sie haben die also, na endlich sind sie zurück, spricht sie und entschwindet. Als sie nach einer halben Ewigkeit zurückkommt und ich sie höflich darauf aufmerksam mache, dass nun auch mir zwei Hosen fehlen, blickt sie mich böse an: Schreiben Sie einen Brief an den Direktor. Den Brief habe ich geschrieben; auf die Hosen oder zumindest eine Entschädigung warte ich seit mehr als einem Jahr.
Manchmal ist es denn auch besser, ganz auf eine Beschwerde zu verzichten. Zumindest in der Metro. Als die Drehscheiben am Eingang plötzlich meine Monatskarte nicht mehr erkennt der Magnetstreifen hatte wohl das Zeitliche gesegnet stelle ich mich brav in die Warteschlange an der Kasse. Als ich nach zehn Minuten endlich dran bin, mache ich in meiner westlichen Unbedarftheit den unverzeihlichen Fehler, die alte, kaputte Karte vorzuzeigen und die alte Dame hinter der Plastikglas-Scheibe, die ihre Hornbrille notdürftig mit Tesafilm zusammengeklebt in die Sturmfrisur gesteckt hat, zu bitten, sie auszutauschen. Da müssen Sie warten, das kann nur unsere Schichtleiterin machen, aber die ist gerade essen; es kann aber höchstens zwanzig Minuten dauern.
Okay, dann kläre ich das mit der Monatskarte ein anderes Mal, verkaufen Sie mir jetzt bitte einen Einzelfahrschein, bitte ich die Kassiererin arglos. Das geht nicht, wir müssen das jetzt klären mit Ihrer Monatskarte, solange kann ich Ihnen keinen Einzelfahrschein verkaufen, eröffnet sie mir. Dabei muss ich dringend zu einem Treffen. Die Rettung: Der miserable Service in Russland wird oft durch herzerweichende Menschlichkeit kompensiert wenn man es nur richtig angeht. Bitte, bitte, sind Sie so lieb ich muss zu einem wichtigen Treffen, säusle ich Richtung Glasfenster. Plötzlich verwandelt sich die faltige Dame mit dem strengen Gesicht in eine lächelnde alte Babuschka: Na gut, hier bitte, mein Söhnchen!