Lieblingsgedichte

Finde den Text jetzt nirgends online, aber zum beeindruckendsten zählen sicher die nur neun Seiten der Hamletmaschine von Heiner Müller.

@ Kassiopeia: :daumen:
 

Ja! :bussal:

Vor allem der Schluß:

Hier spricht Elektra. Im Herzen der Finsternis. Unter der Sonne der Folter. An die Metropolen der Welt. Im Namen der Opfer. Ich stoße allen Samen aus, den ich empfangen habe. Ich verwandle die Milch meiner Brüste in tödliches Gift. Ich nehme die Welt zurück, die ich geboren habe. Ich ersticke die Welt, die ich geboren habe, zwischen meinen Schenkeln. Ich begrabe sie in meiner Scham. Nieder mit dem Glück der Unterwerfung. Es lebe der Haß, die Verachtung, der Aufstand, der Tod. Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen.


Großartig, aber sehr beklemmend...
 
Ahhh, jetzt wo du elektra erwähnst, fäält mir doch eine geniale stelle aus dem opernlibretto von Hugo v. Hoffmannsthal ein...

Elektra
Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.
gegen den Boden
Agamemnon! Agamemnon!
Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft,
dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
Es ist die Stunde, unsre Stunde ist's!
Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
in deinem königlichen Bette schläft.
Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
rann über deine Augen, und das Bad
dampfte von deinem Blut, da nahm er dich,
der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
die Beine schleifend hinterher: dein Auge,
das starre, offne, sah herein ins Haus.
So kommst du wieder, setzest Fuss vor Fuss
und stehst auf einmal da, die beiden Augen
weit offen, und ein königlicher Reif
von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
aus des Hauptes offner Wunde.
Agamemnon! Vater!
Ich will dich sehn, lass mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort
im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
Vater! Agamemnon, dein Tag wird kommen! Von den Sternen
stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
aus den gebunden Mördern fliessen,
und in einem Schwall, in einem
geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
aus ihnen stürzen -- und wir schlachten dir
die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
den Tod und wiehern in die Todesluft
und sterben, und wir schlachten dir die Hunde,
die dir die Füsse leckten, die mit dir gejagt, denen du
die Bissen hinwarfst, darum müss ihr Blut
hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, wir,
dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
wir drei, wenn alles dies vollbracht und Purpur-
gezelte aufgerichtet sind, vom Dunst
des Blutes, den die Sonne nach sich zieht,
dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:

und über Leichen hin werd' ich das Knie
hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
von weiten nur so werden tanzen sehn,
die werden sagen: einem grossen König
wird hier ein grosses Prunkfest angestellt
von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
so königliche Siegestänze tanzen!
Agamemnon! Agamemnon!
 
Marie von Ebner-Eschenbach

Einschlafen

Der Tag ist aus, und nun - wie himmlisch wohl wird's tun,
Vergessend seine Müh'n in sanftem Schlaf zu ruhn.
- Es war ein harter Tag. Vorüber und vorbei!
Gott gebe, daß, der kommt, ein minder harter sei;
Wenn nicht - nun denn, nun denn! - zu leiden und zu streben,
Ob mit, ob ohne Lohn, das nennen wir ja leben.
Die oft ersehnte Stund', sie bleibt nicht aus am Ende,
Da man zu ew'ger Rast darf kreuzen seine Hände.
Erlösungbringer Tod! wer hat nicht dein gedacht,
Als er sich hingestreckt zum Schlaf in stiller Nacht?
Der Schlaf ist kurzer Tod, wir können Probe halten
Vom dunkeln Schicksalsstück, darin als Held zu walten
Jedwedem einst bestimmt. - Wär's jedem auch beschieden,
Mit sich und mit der Welt dahinzugehn in Frieden.
In sel'gem Frieden ... Ach, braucht' ich zu wünschen nur,
Die Menschen hätten ihn, ihn hätte die Natur,
Kein Wesen fühlte Qual, selbst nicht der kleinste Wurm,
Ich schafft' auch Ruh dem Meer, der Wolke und dem Sturm ...
Ein sonderbares Wort hab' ich dereinst vernommen
Und konnt darüber nie zu voller Klarheit kommen.
- Nirwana war das Wort. Das heißt ... o Müdigkeit! -
Nicht denken jetzt, nicht mehr - es ist ja Schlafenszeit,
Willkommen, holde Zeit; sei gnädig mir, entrücke
Mich allem Leid.
Ich wollt', ich fänd' einmal die Brücke,
Die aus dem wachen uns, dem vollbewußten Sein
Ins halbbewußte Reich des Traumes führt hinein.
Ein zarter Wunderbau, ein rätselhafter Steg,
Nur das geschloss'ne Aug' entdeckt zu ihm den Weg. - - -
Ei horch, wie's summt und klingt: - die Spieluhr regt sich wieder
Und bringt ihr Liedchen vor vom muntren Seifensieder ...
Der es so gerne hört, mein ferner Liebling, du,
Wann endlich kehrst du heim? wann jauchzt dein Gruß mir zu? ...
Viel Zeit muß noch vergehn, und Sommer muß es sein,
Und linde Luft muß wehn durch unsern Fichtenhain ...
Da steht er ja, er selbst - umhaucht von Harzesduft,
Die Wipfel ragen schlank und schimmernd in die Luft. -
Ich seh' die Wiesen rings im Frühlingsglanz sich breiten
Und durch das junge Grün ein junges Kindlein schreiten.
So komm! - wo bist du nun? ... gar nirgends zu entdecken -
Beim ersten Wiedersehn spielt schon das Kind Verstecken - -
Mit ihm verschwand der Tag; schneeweiße Nebel wallen,
Die qualmend sich zerstreun, die sich zusammen ballen -
Und jetzt - o Seligkeit - o Himmelsblumen: Sterne!
Erhebt sichs wie Gesang so mild und rein -
Ich schlafe nicht, noch lange nicht - o nein - - -
 
es gibt so viele... zuerst mal Kurt Tucholsky als Theobald Tiger mit "Der Graben":

Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.

Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Junge, für den Graben.

Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
in dem einen großen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
für das Grab, Kameraden, für den Graben!

Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz.
Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen -
das ist dann der Dank des Vaterlands.

Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.
Wollt ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben -!


und dann Francois Villon:

Eine verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Das will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.
Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart,
für mich so tief im Haar verwahrt...
Ich such ihn schon die lange Nacht
Im Wintertal, im Aschengrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Beerenkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei,
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
...ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!
 
Mein Lieblingsgedicht, Begleiter seit vielen Jahren: Rainer Maria Rilke

Es verwirrt uns, die wir Seiend heißen,
immer so zu leben. Nur von Bildern.
Und wir möchten manchesmal mit wilder´n
Griffen Wirklichkeiten in uns reißen.
Stücke, Abzufühlendes. Ein Sein.

PS: Ein schöner Thread :) Danke!
 
und noch eines von Erich Kästner... was zum Schmunzeln ;)

Sogenannte Klassefrauen

Sind sie nicht pfui teuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die "Klassefrauen",
weil es Mode ist, die Nägel rot!
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen
tun sie's auch. Und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben
oder, falls man die nicht hat, den Bauch...
Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelbzugerben,
bis sie Handschuhn ähneln, tun sie's auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren...
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren...
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie's.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen
und die Nasenlöcher zuzunähn
und die Schädeldecke zu entfernen
und das Bein zu heben an Laternen -
morgen könnten wir's bei ihnen sehn.

Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn's doch Mode würde, zu verblöden!
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.
Wenn's doch Mode würde, diesen Kröten
jede Öffnung einzeln zuzulöten!
Denn dann wären wir sie endlich los.

und dann noch:
King Crimson "Neurotica":

Good morning, it's 3am in this great roaring
city full of garbage eaters ravaging parking
spots beneath my plaza window I see cheetah in their
tight skins and tired heels all-night hippo in
the diner crossing the street swarthy heards of young
impala flambastic gibbon even a struggling monza
and over there that brilliant head ornament on that
Japanese macaque but look closely at the hammerhead hand
in hand with the mandrill, it's a sight you're
unlikely to see anywhere else on the planet...

the stench and noise, yes, yes, the howler's
resonating repertoire is not too bad when mixed with
the more musical twern of the tropical warbler but the
impatient taxi blare the squawking elderly ibis and
the glass-eye snapper hawking papers I can certainly
live without also be cautious of the poisonous
boomslang laughter social droppings of the fruit bat
and purple queen fish and who's that babbler conversing
with a magazine stand? evidently he's getting a good
reply...

arrive in neurotica
through neon heat disease
I swear at the swarming heards
I sweat the foul terrain
I rove the moving scenery
I have no fin
no wing no stinger
no claw no camouflage
I have no more to say...

Say...isn't that an elephant fish on the corner over
there look at that blush baby mud puppy noolbenger
rhinoderma marmoset spring peeper shingleback skink
siren skate starling sun-gazer spoonbill and suckers,
they seem to be everywhere, well it's a live revue
random animal parts now playing nightly right here in neurotica...
so long...
 
"Auf meinen Wänden /
blühen Bilder /
Poeten dichten /
im Regal /
Ich schaue, lese /
spreche mit den /
schaffenden Gefährten /
Mein kleines Zimmer /
ist ein Riesenreich /
Nicht herrschen will ich /
Dienen."
 
@mylene :winner: murderballads - was für ein held :mrgreen:

@Johnny Fontaine aha lcrimosa ;) oder? sollt ich mich schwer täuschen.

eines meiner absoluten lieblingsliebesgedichte:

Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
eine Kachel aus meinem Ofen schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei--verjährt--
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.
Die Zeit entstellt alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache in einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.

und ein zotiger brecht :mrgreen:

komm, mädchen, lass dich stopfen,
das ist für dich gesund,
die dutten werden grösser,
der bauch wird kugelrund
 
mit dir möchte ich alles teilen –
müsst ich auch laufen viele meilen.

möchte mit dir lachen –
mit dir erleben tausend sachen.

möchte mit dir weinen –
mich im schmerz mit dir vereinen.

im sommer über blühende wiesen laufen –
das glück mit dir kann man nicht kaufen.

im winter den ersten schnee entdecken –
sich nachts mit dir im bett verstecken.

den sonnenuntergang mit dir erleben –
mit dir gehen durchs ganze leben.

ein gutes tröpfchen mit dir genießen –
ein feuerwerk zum himmel schießen.

mit dir hand in hand im regen spazieren –
in deinen armen mich verlieren.

möchte dich riechen-fühlen-spüren –
am meer die wellen unsere haut umspülen.

kein hindernis ist mir zu groß –
DICH lass´ ich nie wieder los

*******************************************************
 
Zurück
Oben