Ob der vielen Gerüchte von wegen Zusperren und nachlassender Qualität ließ sich der Genießer nach längerer Abstinenz zu einem Lokalaugenschein überreden. Die Tatsache, dass er eingeladen war, ändert nichts an der Objektivität des nachstehenden, aktuellen Erlebnisberichts.
Beim Betreten des Etablissements die erste mittlere Überraschung. Geöffnet hat nur das kleinere Penthouse, an den schwächeren Samstagen seit längerem üblich, Freitags aber doch ungewöhnlich Auswirkungen der Wirschaftskrise? Begründet wird dies auf Nachfrage mit dem Fenstertag, den viele eben zu einem Kurzurlaub nützen. Soll auch recht sein, das intimere Ambiente dort oben hat ohnehin noch immer gepasst. Ein erster besorgter Rundblick an der Bar: Ja, sie sind alle da. Beruhigend. Ich entscheide mich zunächst für etwas Blondes, Bier gegen den Durst. Dann wandern meine Augen über das weitere Angebot, die Wahl fällt trotz geübten Blickes schwer, es wird schließlich ein Single Malt, in des verwöhnten Gaumens durchaus gerecht werdender Reife. Einen Vodka hart, aber herzlich später werde ich an der Hand, ein Service, der nicht in jedem Speiselokal selbstredend ist, zu Tisch geführt. Nicht nur meine Augen erfreuen sich am zartrosa gebratenen Hüftsteak mit Pfifferlingen auf einer Art Erdäpfel-Gratin gebettet, die passende Gesellschaft ein vorzüglicher Weißwein aus der Wachau, der Name des mir nicht bekannten Winzers ist leider entfallen trägt ebenfalls zur guten Laune bei. Dann passiert mir, was wohl schon fast jedem in solch einem Lokal passiert ist. Ich sehe SIE. Am Nebentisch. Fast unverschämt lächelt sie mich an, hatte ich mich falsch entschieden? Ich werde unsicher, sie hat auch wirklich etwas Reizvolles, diese Seezunge, serviert in Kapernsauce mit Zitrone und Butterkartoffeln. Ob ich gar später noch einmal...?
...aber dann käme womöglich das Süße zu kurz. Ich frage vorsichtig nach dem Angebot: Eine Komposition aus dunklem und hellem Schokomousse oder Kaiserschmarrn mit Zwetschkenröster sowie alternativ Eis bzw. Fruchtsalat werden angeboten. Letztlich entscheide ich mich rund zwei Stunden später, nachdem mir als Mitternachts-Snacks noch Carpaccio vom Rind, Shrimps-Cocktail oder eine Spargelcremesuppe offeriert wurden, doch für ein bodenständiges Paar Sacherwürstel mit Senf, Kren und einem letzten kleinen Bier. In der Zwischenzeit hatte ich noch zwei oder drei Vodka Lemon, das erfrischt, weckt Erinnerungen und die Gläser sind gut am Rand des Whirlpools abzustellen.
Abschließend resümiere ich beim Verlassen des Hauses mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, dass zumindest ich nach meinen subjektiven Erfahrungen in Wien nach wie vor kein Lokal kenne, in dem man in einen gelungen Abend in dieser Art und Weise genießen kann.
Ach ja, weil mancher vielleicht danach fragen wird: Gezählt habe ich knapp über 30, vornehmlich junge Damen jeden Geschmacks, die sich um das Wohl von - Wirtschaftskrise oder Fenstertag? - weit weniger Herren kümmerten.
Genießer