Sexueller Missbrauch Folgen - Informationen - Lichtweg.de - Hilfe für traumatisierte Menschen
Reinszenierung als Versuch der Verarbeitung von sexuellem Missbrauch
Wer aus schlechten Erfahrungen nichts lernt, muss sie wiederholen. Wer andererseits aus schlechten Erfahrungen lernen will, muss sie vorher seelisch verarbeiten und sie dazu ebenfalls wiederholen, diesmal jedoch auf der symbolischen Ebene - im Gespräch, nachts in Traumgeschichten, nach Art der Kinder im Spiel oder gestalterisch wie Künstler.
Sexuell missbrauchte Menschen jeden Alters, die ihre seelisch traumatisierende Erfahrung noch nicht verarbeitet haben, wiederholen diese Erfahrungen in der Realität. Dies führt nicht zur notwendigen Verarbeitung, sondern kann im Gegenteil erneut zu seelischen Verletzungen führen. Die neue Verletzung ist dennoch eine Erleichterung gegenüber den sonst unausweichlichen Erinnerungen an das frühere Trauma, denn sie ist selbst gewählt, besser kontrollierbar und oft weniger gravierend.
Die Reinszenierung traumatischer Erfahrungen ist eine Möglichkeit, Rückerinnerungen und damit verbundene Gefühle zu vermeiden, also ein Abwehrmechanismus.Sie setzt die Dynamik seelischer Verletzung fort, anstatt sie zu heilen. Und in dieser Dynamik sind immer wieder die- selben Rollen zu finden: Täter, Opfer und Helfer. Erwachsene, die entgegen ihrer Überzeugung Gewalt ausüben, sich Gewalt aussetzen oder sich zur Hilfeleistung innerlich gezwungen fühlen, tun dies unter anderem, um belastende Gefühle abzuwehren.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene, welche sexuell missbraucht worden sind und die damit zusammenhängenden Gefühle nicht ertragen können, haben zur Reinszenierung zunächst die Wahl zwischen den drei Rollen: Opfer-, Täter- oder Helferrolle. In unserer Gesellschaft nutzen Frauen dazu häufiger die Opfer- und die Helferrolle, Männer öfter die Täter- und die Helferrolle. In wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt sich die gesellschaftspolitische Bedeutung der
Reinszenierung traumatischer Erfahrung:
In der Opferrolle
Nach sexuellem Missbrauch verdoppelt sich das Risiko von Gewalterfahrungen in der Ehe und von Vergewaltigung, wie zwei entsprechende Untersuchungen zeigen.
In der Täterrolle
Unter Kriminellen ist der Prozentsatz derer, die als Kind sexuell missbraucht wurden, deutlich erhöht. Es gibt Untersuchungen, welche feststellten, dass sexuell missbrauchte Jungen eher kriminell oder drogenabhängig werden als andere.
In der Helferrolle
Die meisten Opfer sexuellen Missbrauchs werden jedoch später weder zu Opfern noch zu Tätern, sondern engagieren sich für dessen Beendigung aus eigener Betroffenheit heraus besonders nachdrücklich, so dass sie dabei manchmal selbst vergessen, sich wirksam von ihren traumatischen Erinnerungen zu befreien.
Wenn sexueller Missbrauch gesellschaftlich bekämpft und zukünftig verhindert werden soll, können diese Reinszenierungen von Gewalt nicht einfach als gegeben hingenommen werden. Auch kann es nicht erstrebenswert sein, etwa Situationen, in denen Männer (als Väter oder Stiefväter) allein in engen Beziehungen mit ihren abhängigen Kindern leben, gesellschaftlich stärker zu kontrollieren oder gar zu unterbinden, weil sie sexuellen Missbrauch begünstigen könnten. Vielmehr ist es längerfristig notwendig, darauf hinzuwirken, dass fürsorgliche Verantwortung und zärtliche, nicht-sexuelle Zuwendung auch für Männer positiv bewertete Verhaltensweisen werden, die sie in ihrer Männlichkeit nicht in Frage stellen.