Es gibt neben der Sehnsucht nach einem konkreten Menschen auch eine ganz unbestimmte, ja beinahe grundlose Sehnsucht. Und diese grundlose Sehnsucht kann selbst dann unser Herz umtreiben, wenn es in einen bestimmten Menschen verliebt ist und diese Liebe darin Erfüllung findet. Die grundlose Sehnsucht hört damit nicht auf. Denn in ihr regt sich der mystische Eros, in dem das Leben zu sich selbst beziehungsweise in die ihm eigene Wahrheit finden möchte. In ihr regt sich die Sehnsucht der Seele nach dem Einswerden mit Gott. Augustinus, der große Denker der Antike, hat dies in einem von allen Liebesmystikern der Christenheit gerne zitierten Wort auf den Punkt gebracht: Unruhig ist unser Herz, Gott, bis es ruht in dir. (Confess, I.1).
So gesehen ist die grundlose Sehnsucht ein Geschenk Gottes an die Menschen. Es gibt niemanden, in dem sie nicht wirksam wäre. Sehnsucht ist gleichsam der schlafende Eros in uns, der durch die Erfahrung der Schönheit in einem für sie empfänglichen Herzen auferweckt wird. Aber auch wenn er schläft, ist der Eros lebendig. Etwa darin, dass er uns unablässig dazu anhält, Menschen, Orte, Erfahrungen aufzusuchen, von denen wir uns ein höheres Maß an Lebendigkeit versprechen: von denen wir wissen, dass sie uns guttun und uns der Wahrheit unseres Lebens näherbringen.
(aus: Christoph Quarch, Die Erotik des Betens)