Haltung zu Frauen und Sklaven in der römischen Gesellschaft
Manches in Senecas philosophischen Schriften passt nach Villy Sørensen zum Horizont der städtischen westlichen Gegenwartszivilisation. Andererseits lassen seine Äußerungen öfters die spezifischen Prägungen der antiken Kultur erkennen, der er angehörte: "Missgeburten löschen wir aus, Kinder auch, wenn sie schwächlich und missgestaltet geboren worden sind, ertränken wir; und nicht Zorn, sondern Vernunft ist es, vom Gesunden Untaugliches zu sondern."
Die Haltung Senecas gegenüber dem anderen Geschlecht war ambivalent. Der geistigen Hauptströmung seiner Zeit entsprechend bezeichnete Seneca Frauen als minderwertig. Dabei ging er so weit, sie − wenn sie ohne Bildung waren − mit Tieren auf eine Stufe zu stellen. „Manche sind von solchem Irrsinn befallen, dass sie glauben, sie könnten durch eine Frau Herabsetzung erfahren. Was spielt es schon für eine Rolle, wie schön sie ist, wie viele Sänftenträger sie hat, welcher Art ihr Ohrschmuck oder wie bequem ihr Tragsessel ist? Sie ist ein immer gleich unvernünftiges Geschöpf, und wenn sie nicht über Kenntnisse und Bildung verfügt, nichts als ein wildes Tier, seiner Begierden nicht mächtig.“[128] Von diesem Ansatz her wird auch der Zorn als eine „weibische und kindische Schwäche“ klassifiziert, die aber auch Männer befalle: "Denn auch Männern wohnt kindische und weibische Veranlagung inne."[129]
Während an dieser Stelle die abwertende Tendenz gegenüber Frauen klar überwiegt, geht Seneca in seinen Trostschriften an ihm vertraute Frauen von gemeinsamen Anlagen beider Geschlechter aus. In diesen Trostschriften, die er für Marcia und für seine Mutter verfasst hat, zeigt er sich deutlich weniger misogyn. So schrieb er an Marcia:
„Wer sollte denn gesagt haben, dass die Natur bei der geistigen Ausstattung von Frauen bösartig verfahren sei und ihre Vorzüge eng beschränkt habe? Glaube mir, sie haben die gleiche Kraft, die gleiche Fähigkeit zum sittlich Guten, wenn sie nur wollen; Schmerz und Anstrengung ertragen sie genauso gut, wenn sie es nur gewohnt sind.[130]“
Und in der Trostschrift für seine Mutter Helvia nahm er explizit gegen das von seinem Vater vertretene und innerfamiliär durchgesetzte herkömmliche Frauenbild Stellung:
„Ich wünschte, dass mein Vater, der vortreffliche Mann, sich weniger an die Tradition der Vorfahren gehalten und vielmehr den Wunsch gehabt hätte, dass du in den Lehren der Philosophie gründlich ausgebildet, nicht nur flüchtig eingeführt worden wärest. Dann brauchtest du die Hilfen zum Ertragen deines Schicksals nicht jetzt erst mühsam aufzubauen, sondern sie nur hervorzuholen. Er hat dir weniger Freiheit für Studien gewährt, da es auch solche Frauen gibt, die sie nicht mit dem Ziel der Weisheit betreiben, sondern nur zur Befriedigung ihrer Eitelkeit.[131]“
Damit erkennt Seneca zwar die Macht seines Vaters als pater familias an, über seine Mutter Entscheidungen zu treffen, bemängelt aber, dass er ihr den Zugang zu Bildung erschwerte und ihr wissenschaftliche Arbeit untersagte. Indirekt unterstützt er damit die Forderung nach Frauenbildung und erweist sich wiederum als Philosoph, der überkommene Denkschablonen verlässt.
Wie die nachrangige Stellung der Frauen gehörten auch Sklaverei und Sklavenhaltung zu den charakteristischen Merkmalen der antiken Gesellschaftsordnung. Rechtlich waren Sklaven dem Sachbesitz gleichgestellt, über den der Besitzer nach Gutdünken verfügen konnte. Senecas Einstellung zu diesen auch zu seiner Zeit noch nahezu Rechtlosen war von humaner Zuwendung bestimmt.
„Ich will mich nicht auf ein unerschöpfliches Thema einlassen und die Behandlung der Sklaven diskutieren, denen gegenüber wir so arrogant, grausam und herablassend sind. Doch kurz zusammengefasst lautet meine Lehre folgendermaßen: Du sollst mit deinem Untergebenen so leben, wie du wünschst, dass dein Vorgesetzter mit dir lebe. […] Sei gütig und höflich zu deinem Sklaven, beziehe ihn in die Unterhaltung ein, gib ihm Zutritt zu deinen Besprechungen und Gelagen. […] Einige mögen deine Tischgenossen sein, weil sie dessen würdig sind, doch andere sollten es noch werden. Denn sofern sie aufgrund ihres rohen Umgangs noch das Verhalten von Sklaven zeigen, wird das Tischgespräch mit Gebildeteren sie dieses Verhalten ablegen lassen. Es stimmt nicht, lieber Lucilius, dass du nach einem Freund bloß auf dem Forum oder in der Kurie suchen kannst; wenn du sorgfältig und aufmerksam bist, wirst du ihn auch in deinem Haus finden. Guter Stoff bleibt oft ungenutzt, weil der Bildner fehlt. Versuche es, und du wirst es erleben.[132]“
Mit dieser Auffassung gehörte Seneca zu den wenigen Denkern der Antike, die sich kritisch mit der Sklaverei auseinandergesetzt haben. Diese Einstellung wurde von der römischen Elite wohl nicht geteilt.[133]
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