Hi Wasserleiche,
ich hab für mich, merkwürdigerweise, fast die gleiche Begrifflichkeit gefunden: Genschrott. Bei mir ist es auch diese Show: 32 Jahre, arbeite als Programmierer, klein, hässlich. Im Allgemeinen sage ich: die Natur ist eben der größte aller Faschisten: sie hat qua Konstruktion das Leben so eingerichtet, dass 90% der Mitglieder einer Gesellschaft unverdientermaßen über ihre zufällig verteilten genetischen Eigenschaften dem Mindeststandard genügen, der es ihnen erlaubt, ein erfülltes Leben zu führen. Und Menschen wie du und ich haben bei diesem Lottospiel eben Pech gehabt. Wir werden für etwas bestraft, was wir nicht verbrochen haben und wir sind eigentlich nur dafür da, den genetisch höhergestellten Übermenschen ihr eigenes Glück durch den prickelnden Vergleich mit unserem armseligen Elend noch ein wenig zu versüßen. Denn darum geht es im Leben - das wissen wir seit Rousseau: sich an der eigenen Überlegenheit zu erfreuen.
Klingt hart und verbittert, oder? Aber man gewöhnt sich dran. Und ich denke: diese Härte und Verbitterung muss ich mir auch nicht von denen vorwerfen lassen, die nicht ansatzweise verstehen, wie sinnlos ein Leben ist, das von Geburt an dazu bestimmt ist, minderwertig zu sein - von Leuten, die schon rumjammern, wenn sie mal zwei Monate lang keinen Sex oder keinen Partner haben.
Man wird ja mittlerweile in jeder Zeitung regelmäßig daran erinnert, dass die Wissenschaft längst weiß, wie wichtig Liebe und Sexualität für Gesundheit, seelisches Gleichgewicht und ein glückliches Leben sind. Ja, wie schön. Dann gehen wir doch mal zur Krankenkasse und lassen uns alimentieren dafür, dass die Gesellschaft uns wegen unverschuldeter Umstände unser seelisches Gleichgewicht vorenthält, weil sie der Meinung ist, glücklich dürfen nur schöne Menschen sein.
Es ist allerdings auch nicht nur schlecht. Der Vorteil ist, dass man sich leichter damit tut, Dinge rational zu sehen und ohne den zwanghaften Trieb, alles vergöttlichen und romantisieren zu wollen. Das rückt die Perspektive zurecht, wenn es mal wieder um die angebliche "Schönheit der Natur" geht, die es unbedingt zu bewahren gilt. Die Natur ist nicht schön, sondern durch und durch grausam und rücksichtslos und es ist völlig wurscht, ob sie bewahrt wird. Oder die Angst vor dem Designer-Baby? Warum wohl finden die ganzen Heuchler diese Vorstellung so schrecklich? Wäre endlich DIE Möglichkeit, von Beginn an Chancengleichheit herzustellen: alle neuproduzierten Menschen werden nach vorgegebenem Schema gestaltet. Das wäre gerecht. So wie die Natur es macht, ist es prinzipiell ungerecht. Und auch die Liebe, nach der ich mich früher und in schwachen Momenten auch heute noch tierisch sehne bzw. gesehnt habe, verliert ihren "romantischen Zauber", da sie ja doch nur das Werkzeug von Stiefmutter Natur ist, die wertvollen über die wertlosen Geschöpfe zu erheben.
Ich versuche manchmal, mich irgendwie zu rächen. Einem veranzten heruntergekommenen Bettler in der U-Bahn gebe ich gern fünf Euro oder mehr. Zur dicken verschwitzten Verkäuferin an der Kasse im Supermarkt bin ich betont höflich. Ist die Verkäuferin dagegen attraktiv, dann erwidere ich nicht ihr lebhaftes "Hallöchen" und ich wünsche ihr beim Fortgehen keinen "schönen Tag noch". Am meisten widern mich diese attraktiven Touristinnen an, die mich sehen und glauben, sie täten mir - dem hässlichen Vogel - einen generösen Gefallen damit, mich nach dem Weg oder sonst irgendeinem Mist zu fragen. Diesen Personen helfe ich grundsätzlich nicht und wenn sie zu blöde sind, einen Stadtplan zu lesen, dann sollen sie halt zu Hause bleiben. Wenn sie aber hässlich sind - dann helfe ich gern. Hehe.
Ja, soviel dazu.
Vielleicht ist meine Verbitterung weiter fortgeschritten als deine; dennoch denke ich, dass ich ganz gut verstehe, was dein Problem ist.
Ein Sorry in die Runde, aber der Tip, du solltest aufhören, dich zu verbiegen, weil es dich unecht erscheinen lässt, geht vollkommen an der Realität vorbei. Vielleicht ist es bei dir anders, bei mir kommt aber erschwerend zu meiner Hässlichkeit hinzu, dass ich mich eben nie verbogen habe - hatte ich keine Lust zu. Ich habe mir als Teenager keine einzige Bravo gekauft, Pop-Musik hat mich nicht die Bohne interessiert, ich hab als Student nicht angefangen, Gitarre zu spielen, ich habe mir nie eingeredet, dass Kiffen total toll ist und man angeblich "komische Sachen" sieht. Nicht geraucht, nicht gesoffen, nicht getanzt, nicht von heute auf morgen Fußballfan geworden. All diese Selbstinszenierungen, Selbsterfindungen und das Hinterherrennen hinter der Massenkultur habe ich aus Trotz nie mitgemacht. Naja, nicht nur Trotz. Ich hätte mich einfach völlig unecht und entstellt dabei gefühlt und mich geschämt.
Ich erkenne aber zunehmend, dass zumindest in der intellektuellen Unterschicht es möglich zu sein scheint, in begrenztem Rahmen, eine mangelhafte genetische Ausstattung durch willenlosen Konformismus zu kompensieren. In diesem Milieu finden Frauen es beispielsweise total cool, wenn du dir irgendein blödsinniges Tattoo auf den Arm kratzen lässt. Die sind dann ernsthaft der Meinung, das sei was besonderes und ein Ausdruck von Individualität und Revoluzzertum. Anlässlich feuchtfröhlicher Grillabende musst du einfach mitsaufen und dich an den halbgaren Allerweltsphilosophien der anwesenden Damen und Herren so lebhaft beteiligen, als würde dich das wirklich interessieren. Wenn die Weiber dann besoffen genug sind, musst du auf möglichst primitivem Niveau obszönen Blödsinn rauslallen. Ne Spitzen- Gaudi ist meist der hoch originelle Brückenschlag von einem umgekippten Bierglas zu allem anderen, was sonst noch irgendwie feucht sein könnte. Total lustig.
Absolut tödlich dabei: Ernsthaftigkeit. Du darfst auch kein Interesse an sonderbaren Dingen äußern: Toxikologie, Physik, Philosophie - geht gar nicht. Dann stehst du sofort auf der Abschussliste. Und Zynismus versteht da auch keiner. Richtig angebracht, ist ein Judenwitz immer lustig und in intelligenter Runde weiß auch jeder, dass seine Intention das genaue Gegenteil von Antisemitismus ist. Das funktioniert im intellektuellen Prekariat natürlich nicht. Da ernstest du nur politisch korrektes Kopfschütteln ausgerechnet von denen, die sich sonst darüber ereifern, dass Israel den Arabern das Land "geklaut" habe. Egal.
Ich glaube, wenn man sich an diese Regeln hält, dann kann man auch als hässlicher Mensch in diesem Teich mitfischen. Die Weiber sehen sogar teilweise ganz ordentlich aus. Sie haben halt nichts in der Birne, sind peinlich, vulgär und infantil. Für die große Liebe vielleicht nicht das richtige. Aber fürs Bett?
Aber wie du schon siehst: dazu musst du dich eben verbiegen und verstellen. Und das ist das Problem dabei, und es dürfte auch nur in diesem Szenario klappen.