würd mich sogar sehr interessieren!
Bitteschön:
Woher kommt der Kriminalitätsrückgang in den USA seit Mitte der 1990er?
Für die Faktenlage bitte einfach die Zahlen in Mikes link anschauen. Das der Effekt von Videospielen auf Kriminalität eher gering ist ist meiner Meinung nach auch nicht wirklich umstritten. Das es zu einen Rückgang in der Zeitperiode kam ist auffällig, das aber auch umgekehrt Videospiele nicht zu weniger Gewalt führen ist aus meiner Sicht auch klar. Daher die (bekannten) Theorien dazu:
a) Die Wirtschaftsaufschwungstheorie:
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Wirtschaftslage, steigen die Einkommen und ist die Arbeitslosigkeit niedrig sinkt die Kriminalität, vereinfacht gesagt. Die US Wirtschaft boomt seit Anfang/Mitte der 90er, einer Auswirkung davon ist zurückgehende Kriminalität.
Schaut man sich etwas längere Zeitreihen für die USA an sieht man sofort das dieser Zusammenhang so nicht stimmen kann, die Kriminalität in den USA ist erst in den 1960ern erstmals massiv gestiegen, mitten in einer Zeit der boomenden Wirtschaft. Auch wäre ein massiver Rückgang der Kriminalität durch die etwas geänderte Wirtschaftslage schwer erklärbar. Die wirtschaftlichen Aussichten und die konkrete Lage am Arbeitsmarkt wirken sich zwar sicher auf die Kriminalität aus, allerdings nur bei extremen Schwankungen. D.h. ein bisschen bessere Wirtschaftslage kann schwer eine komplette Trendumkehr bei der Kriminalität auswirken.
b) Die Law and Order Theorie:
Die Kriminalität ist zurückgegangen weil die Ausgaben für Polizei und die Strafandrohungen gestiegen sind. So gibt es in vielen US-Staaten die 3 strikes and out-Regelung, d.h. beim 3 (strafrechtlich relevanten) Vergehen wird unabhängig von der schwere automatisch lebenslänglich verhängt. Der kleine Crack Dealer der schon einmal wegen Körperverletzung und einmal wegen Drogenbesitz verurteilt wurde weiß nun, wird er noch einmal erwischt ist er out. Das senkt die Kriminalität. Außerdem sitzen einfach schon über 2 Millionen Menschen in Gefängnissen, darunter ein großer Teil der potentiellen Gewalttäter, d.h. die echt schweren Jungs sind ausgesiebt, die ein bisschen weniger schweren Jungs trauen sich nicht mehr.
c) 1999 kam das Buch Freakonomics: A Rogue Economist Explores the Hidden Side of Everything (Roughcut) von Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner heraus, Levitt ist seines Zeichen einer der meist beachten Ökonomen der USA, er wurde zB als der beste junge (unter 40) Ökonome der USA ausgezeichnet, Dubner ist ein (ich glaube) New York Times Journalist. Der meistbeachtete Teil dieses Buches (bzw. gab es auch einen wissenschaftlichen Artikel dazu) war der Zusammenhang zwischen Kriminalität und der Legalisierung von Abtreibungen. Seine Grundargumentation: Ungewollte Schwangerschaften führen zu ungewollten Kindern, diese wachsen tendenziell eher in problematischem familiärem Umfeld auf und neigen später dazu eher kriminell zu werden. Getestet wurde das an Hand von empirischen Daten, das Ergebnis sagt aus das etwa 50% des Kriminalitätsrückganges Effekt der Legalisierung von Abtreibungen sind. Diese 50% teilen sich je zur Hälfte in einen Mengen Effekt auf (sprich weniger Personen im kritischen Alter, zwischen 15 und 25 (in etwa, die genauen Zahlen habe ich im Kopf) führt zu weniger Kriminalität begangen von der Altersgruppe) und zur anderen Hälfte, der Kernpunkt der Theorie, in einen Qualitätseffekt auf (d.h. die Kinder/Jugendlichen die nicht abgetrieben wurden sind weniger geneigt kriminell zu werden). Das ganze wurde u.a. dadurch belegt das die Legalisierung von Abtreibungen nicht in allen US-Staaten gleichzeitig statt fand sondern in mehreren Schritten (z.B. in New York früher als anders wo) und der Rückgang bei der Kriminalität folgt der selben zeitlichen Abfolge (ebenso in New York früher als anderswo).
Die Theorie ist, ins besonders in einem Land mit massiver Abtreibungsgegnerschaft, aus nahe liegenden Gründen umstritten. Die massive Verringerung von Kriminalität durch die Legalisierung von Abtreibungen nimmt doch Abtreibungsgegnern, die gleichzeitig üblicherweise dem konservativen law and order Spektrum anzurechnen sind, einiges an Wind aus den Segeln.
d) Kurz darauf die Antwort:
Testing Economic Hypotheses with State‐Level Data:
A Comment on Donohue and Levitt (2001)
Christopher L. Foote and Christopher F. Goetz
Die sagen u.a. We revisit that paper, showing that the actual implementation of DLs statistical test in their paper differed from what was described. (Specifically, controls for state‐year effects were left out of their regression model. ) We show that when DLs key test is run as described and augmented with state‐level population data, evidence for higher per capita criminal propensities among the youths who would have developed, had they not been abortedas fetuses, vanishes. Oder für nicht englisch und/oder fachkundige: Levitt hat sich verrechnet, alles Quatsch.
Levitt meint dazu, er habe im paper einen (formalen) Fehler gemacht der für ihn peinlich ist, aber die Ergebnisse würden auch bei der richtigen Berechung/Beschreibung die selben bleiben und meint weiterhin die Abtreibungshypothese stimmt.
Ich will beim besten willen Levitts Modell nicht mit eigenen Daten und Regressionen selber auch noch schätzen, der Kernpunkt ist nur: das Modell ist nicht unumstritten.
e) Wenn es nicht die Abtreibungslegalisierung war, was dann?
http://www.isteve.com/abortion.htm
Befasst sich zB mit dem Thema. Auch hier werden (angebliche) Fehler von Levitt aufgezeigt, Kernargument ist das die Abnahme der Kriminalität erst zu spät erfolgte um auf die Theorie zu passen. D.h. die ersten Jahrgänge die nach der Legalisierung geboren wurden und ins relevante Alter gekommen sind sind genau die mit den höchsten Kriminalitätsraten, der Abfall geschah erst später. Argumentiert wird dort das es nur eine Korrelation zwischen den Staaten mit früher Abtreibungslegalisierung und frühen Kriminalitätsrückgang gibt, aber keinen Kausalzusammenhang. Diese Staaten sind alle samt eher liberale und urbane Staaten. Es wird argumentiert das diese die Crack-Welle, die einen extremen Kriminalitätsanstieg mit sich brachte, dort eben auch früher begann und eben auch früher endete, das eben ein Hauptgrund für die Kriminalitätsentwicklung die Verbreitung von Crack und die darauf folgende Kriminalität bzw. das abflachen dieser Entwicklung ist.
Ein weiteres Argument ist, und damit sind wir wieder zurück bei Theorie:
We've all heard a million arguments about why crime fell in NYC in the 1990s, but an overlooked explanation was brought up by Knight-Ridder reporter Jonathan Tilove recently: there are today in NYC, 36% more black women alive than black men. Nationally, among all races, there are 8% more women than men alive. D.h. durch die extreme Kriminalität in den frühen 90ern und den damit verbunden Sterberaten bzw. Inhaftierungen ist einfach die Menge an potentiellen Kriminellen so stark reduziert worden das es zu einen Rückgang kommen muss, ins besonders da ja auch die nachfolgende Generation sieht das ihre Vorgänger fast geschlossen im Gefängnis sitzen. Es gibt tatsächlich Gegenden in den USA in denen von den mittlerweile 20-29 Jährigen mehr als ein 1/3, zum Teil auch in der Gegend von 50%, im Gefängnis sitz.
Soviel zum Kriminalitätsrückgang in den USA, zusammengefasst kann man eines sagen: die Computerspiele sind sicher nicht das Problem. Wenn es in erster Linie Law and Order war, dann zwar erfolgreich, jedoch mit weitreichenden folgen. In den USA sind gewaltige Mengen junger Männer derzeit lebenslänglich inhaftiert, damit mögen im Moment gewisse Probleme gemindert sein, aber was wenn ganze Teile einer Generation im Gefängnis altert? Derzeit geht man davon aus in den nächsten Jahrzehnten massiv Pensionistengefängisse bauen zu müssen, um eben diese Generation im steigenden alter zu betreuen.