Atomaufsicht versucht zu beruhigen
Aus dem havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima I wird ein neuer Vorfall gemeldet. Es bestehe die Gefahr, dass ein Prozess der Kernspaltung eingesetzt habe, teilte die Betreiberfirma TEPCO am Mittwoch mit. Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde und von TEPCO vom Mittwoch wurden in Reaktor 2 Gase gefunden, die bei einer Kernspaltung freigesetzt werden.
Das deutet darauf hin, dass ein Teil der geschmolzenen Brennstäbe noch aktiv sein könnte. Sollte es zu einer Kernreaktion gekommen sein, dürfte das jedoch laut der Atomaufsicht nur vorübergehend und örtlich begrenzt passiert sein. Die Behörde glaubt nicht, dass dabei genug Energie freigesetzt wurde, um die Temperatur und den Druck im Reaktor steigen zu lassen. Die ersten Befunde zeigen aber, dass die stabil geglaubte Lage im AKW doch fragiler sein könnte als angenommen.
Kampf gegen Kettenreaktion
TEPCO leitete am Mittwoch Borsäure in den Reaktor, um eine mögliche Kettenreaktion unter Kontrolle zu haben, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo. Experten gehen davon aus, dass es im März in dem Reaktor wie auch in den beiden Nachbarreaktoren 1 und 3 zu Kernschmelzen gekommen war, als das Kühlsystem infolge des schweren Erdbebens und Tsunami ausgefallen war. Die Folge waren beträchtliche Schäden an den Reaktoren einschließlich der Reaktorgehäuse.
Die unlängst deutlich gesunkene Temperatur und der Druck in Reaktor 2 hätten sich seit der Entdeckung der Gase nicht verändert, hieß es am Mittwoch bei TEPCO. Die Lage sei stabil. Der Betreiberkonzern hatte bei einer Überprüfung der Radioaktivität im Reaktorgehäuse zwei Gase festgestellt, Xenon-133 und Xenon-135. Beide haben nur eine kurze Halbwertzeit von fünf Tagen beziehungsweise neun Stunden. Ihre Existenz deutet laut dem Betreiberkonzern darauf hin, dass kürzlich eine Kernspaltung stattgefunden hat. Das bedeute jedoch nicht, dass auch eine weitere Kernschmelze eingesetzt hat.
APA/Verteidigungsministerium/JMSDFDer Unglücksreaktor 2 auf einem Archivbild
TEPCO spielt Vorfall herunter
Der Befund könnte dennoch laut japanischen Medien die Planung der Regierung und von TEPCO durchkreuzen, die Reaktoren in dem AKW bis Ende des Jahres sicher unter Kontrolle zu bringen; Experten sprechen dabei von einem Cold Shutdown. TEPCO selbst versuchte den Vorfall herunterzuspielen: Man gehe nicht davon aus, dass es zu einer Änderung im Zeitplan kommt, wurde TEPCO-Sprecher Junichi Matsumoto zitiert. Die Atomaufsichtsbehörde wurde um weitere Analysen gebeten. Auch die Atomaufsichtsbehörde schätzt die Situation insgesamt als stabil ein.
Nach Angaben von TEPCO war es in den vergangenen Monaten durch fortwährende Kühlung gelungen, die Temperatur in Reaktor 2 auf unter hundert Grad zu senken - eine der Bedingungen für die angestrebte kalte Abschaltung, bei der die Temperaturen allmählich sinken, ohne dass atomare Reaktionen stattfinden.
Abgeordneter trinkt Wasser aus Fukushima-Lacke
Ein japanischer Parlamentsabgeordneter hat ein Glas mit Wasser getrunken, das aus einer radioaktiven Lacke in Fukushima I stammte. Das japanische Fernsehen zeigte Aufnahmen von einem sichtlich nervösen Yasuhiro Sonoda, der das aus der Anlage entnommene und dekontaminierte Wasser im Beisein von Journalisten schluckte. Er wisse, dass dies nicht die Sicherheit beweisen könne, sagte Sonoda am Montag. Der beste Weg wäre es, der Öffentlichkeit Daten vorzulegen. Er habe das Wasser aber getrunken, da Journalisten ihn immer wieder dazu aufgefordert hätten.
Tausende fordern Entschädigung
Unterdessen demonstrierten Tausende Menschen am Wochenende für eine vollständige Abfindung der Opfer der Atomkatastrophe und eine rasche Entgiftung der Region. Der Nachrichtenagentur Jiji Press zufolge sprachen die Organisatoren von rund 10.000 Demonstranten. Durch das Erdbeben und den anschließenden Tsunami am 11. März starben rund 20.000 Menschen oder wurden als vermisst gemeldet.
Wegen der Atomkatastrophe mussten Zehntausende Menschen ihre Häuser und Geschäfte in einer 20-Kilometer-Sperrzone rund um das AKW verlassen. Es wird erwartet, dass die vollständige Entgiftung der Zone Jahrzehnte dauern wird. Das Atomunglück war das schwerste seit der Atomkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl 1986.
Juristische Hilfe
Zur juristischen Unterstützung der Opfer der Atomkatastrophe gründeten japanische Rechtsanwälte unterdessen ein Beratungsteam. 30 Anwälte sollten Betroffenen aus der Tourismusbranche und der Landwirtschaft helfen, deren Geschäfte wegen der Angst vor erhöhter Strahlung Einbrüche hinnehmen mussten, teilten die Anwälte am Sonntag mit.
Demnach wird die Anwaltsgruppe zunächst rund 50 Mandanten betreuen, die Entschädigungszahlungen von der japanischen Regierung und vom Betreiber TEPCO verlangen. Es ist bereits die zweite Anwaltsgruppe in Fukushima, die die Interessen von Opfern der Atomkatastrophe im März vertritt.
Erstmals wieder Reaktor hochgefahren
In Japan wird erstmals seit der Atomkatastrophe wieder ein abgeschalteter Reaktor hochgefahren. Der Betreiberkonzern Kyushu Electric Power auf der südlichen Hauptinsel Kyushu wollte den Reaktor 4 in der Atomanlage Genkai wieder ans Netz bringen, wie der Konzern am Dienstag mitteilte. Der Reaktor war am 4. Oktober wegen Problemen mit dem Kühlsystem automatisch heruntergefahren worden.
Nachdem die staatliche Atomaufsichtsbehörde den Schadensbericht des Betreibers sowie die Sicherheitsmaßnahmen abgesegnet hatte, gaben der Gouverneur der Provinz Saga, Yasushi Furukawa, und der Bürgermeister von Genkai, Hideo Kishimoto, laut Medien ihre Zustimmung zum Wiederanfahren. Derzeit sind nur zehn der 54 Reaktoren im Land am Netz. Viele Anrainer von AKWs sind durch die Atomkatastrophe in Fukushima verunsichert. Die Gemeinden fordern von der Zentralregierung zunächst schärfere Sicherheitsauflagen. Japan hält bisher grundsätzlich an der Atomenergie fest, hat aber ältere, erdbebengefährdete Reaktoren zur Überprüfung zeitweise stillgelegt.
ORF