Ein m. E. guter Artikel von Florian Klenk aus dem vorwöchigen Falter 4/14
Wenn das Gute über dem Gesetz steht:
die Stadtregierung und die "Volksabstimmung"
Im Dezember 1979 - der Eiserne Vorhang teilte Europa, und von einem EU-Beitritt Österreichs war noch nicht die Rede - hatte der Gemeinderat unter Bürgermeister Leopold Gratz ein bedeutendes Regelwerk beschlossen: das Wiener Volksbefragungsgesetz. Es gab der direkten Demokratie in Wien einen rechtlich verbindlichen Rahmen.
Paragraf eins: "Volksbefragungen sind auf Grund der Stadtverfassung und nach dem Volksbefragungsgesetz durchzuführen.“
Paragraf zwei: Bei einer Volksbefragung sind alle Wiener stimmberechtigt, "die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen“.
Diese Vorschriften sind eindeutig: Wenn Stadtpolitiker das Volk befragen, müssen sie das Volksbefragungsgesetz anwenden. Und dieses schließt EU-Bürger von der Abstimmung aus. So beschloss man es einst in der gemütlichen Ära des Poldi Gratz. An Mitbestimmung von "Gastarbeitern“, wie man Zuwanderer damals nannte, dachte niemand. Leider.
Volksbefragungen, so hat der Gesetzgeber aber auch erkannt, sind nicht irgendwelche Straßenumfragen, an die sich die Verwaltung je nach Tageslaune halten muss oder auch nicht.
Volksbefragungen sind ein sensibles Instrument direkter Demokratie, mit dem eine vergleichsweise kleine Gruppe erstaunlich viel Macht ausüben und die Stadt verändern kann. Dementsprechend missbrauchssicher wird die Volksbefragung in Wien geregelt.
Was machen die Grünen? Der Juniorpartner der SPÖ war stets stolz darauf, die Rechtslage zu achten. Umso überraschender ist es, dass die sonst so verfassungstreuen Grünen - mithilfe von SPÖ und ÖVP - das Volksbefragungsgesetz umgehen und ein neues plebiszitäres Instrument namens "Meinungserhebung“ erfinden, um die wahlentscheidende Gruppe der EU-Bürger an Bord zu holen.
Die Meinungserhebung hat allerdings keine rechtliche Grundlage, denn zu einer Verfassungsänderung reicht die rot-grüne Mehrheit nicht. Mehr noch: Die Grünen ignorieren die Warnungen des sonst gerne zitierten Rechtsgelehrten Heinz Mayer, der ihr steuerfinanziertes Vergehen als Rechtsbruch anprangert. Die ÖVP ist auch verstummt. Sie hat es bei der Parkpickerl-Befragung im konservativen Cottage ja nicht anders gehalten und auch diesmal mitgestimmt.
In internen Rathaus-Papieren wird nun argumentiert, dass jener Passus der Stadtverfassung, der den Bezirken "Öffentlichkeitsarbeit“ erlaubt, als Rechtsgrundlage herangezogen werden solle. Direkte Demokratie als steuerfinanzierte "Öffentlichkeitsarbeit“? Das ist nicht nur juristisch gewagt.
Die "Meinungserhebung Mariahilfer Straße“ ist nicht nur eine bezirkspolitische Posse, das Vorgehen des rot-grünen Stadtparlaments steht ganz generell für einen politischen Stil, der in Musterländern der direkten Demokratie, etwa der Schweiz, undenkbar wäre. Hier zeigt sich diese sehr österreichische Haltung, dass man dem Bürger nichts zutraut und am Ende doch lieber in Gutsherrenart am Gesetz vorbeiregiert - mit einem Wahlvolk, das man sich selbst zusammenstellt.
Man könnte den Fall Mariahilfer Straße noch höher hängen: Österreich erlebt gerade die Schlussphase der Zweiten Republik und der großen Koalitionen. Der Ausbau der direkten Demokratie - samt allen formalistisch anmutenden Regelwerken - könnte (zumindest auf kommunaler Ebene) eine Antwort auf die Krise der Politik sein. Aber eben nicht in der Form halbherziger Straßenumfragen, sondern in verfassungsjuristisch lupenreiner Weise.
Ja, man kann das Ganze auch positiv deuten: Die Grünen wollen in Wien ansässige EU-Bürger politisch "partizipieren“ lassen. Sie bringen zu Recht vor, dass das alte Volksbefragungsgesetz nicht mehr in eine von europäischer Freizügigkeit geprägte urbane Gesellschaft passt.
Da will man ihnen zurufen: Warum habt ihr dann nicht das Gesetz geändert? "Dafür haben wir keine Zeit mehr!“, antwortet einer ihrer Strategen. "Sollen wir deshalb Dienst nach Vorschrift machen?“ Ja. Leider. So ist das im Rechtsstaat. Sonst regiert die Willkür. Siehe Haider, siehe Kärnten.
Es gibt auch noch eine weniger freundliche Deutung des Vorgehens der Grünen: Sie ahnen, dass die Stimmen der (Grün- und Rad-affinen) EU-Studenten aus Neubau und Mariahilf nicht nur für das Projekt, sondern für ihre politische Zukunft ausschlaggebend sind. Daher wird diese Wählergruppe dem gesetzlich vorgesehenen Wahlvolk zugeschlagen, aber die Gruppe der ebenso betroffenen (konservativen, Auto-affinen) Kaufleute ausgeschlossen, weil sie keinen Wohnsitz im Bezirk haben.
Das Vorgehen der Grünen beschädigt en passant auch ihr eigenes visionäres urbanes Projekt, das man ohne Volksbefragung einfach "repräsentativ-demokratisch“ durchziehen sollte: den Durchzugsverkehr aus der Flaniermeile zu verbannen.
Das haben die Grünen vor der Wahl versprochen und nach der Wahl gehalten. Ein schillernd-autoritärer Stadtvater wie Helmut Zilk wäre nie auf die Idee gekommen, nochmal das Volk zu befragen. Er hätte an den Enden der Mahü eine Kette gespannt und die Krone beim ersten Spaziergang mitgenommen.
Die Grünen stehen in einer Tradition mutiger Gestaltung des öffentlichen Raums. Wer möchte sich Wien heute ohne die Donauinsel oder mit Staus auf der Kärntner Straße vorstellen? Viele, die heute dagegen sind, hätten wohl auch gegen diese Projekte gestimmt.
Der Falter hat Maria Vassilakou als "Wienerin des Jahres“ aufs Titelblatt gehoben, weil sie Politik macht. Doch die Grünen werden lernen müssen: Wenn man das Gute über das Gesetz stellt, werden sich auch die politischen Gegner dieser Methoden bedienen. Nicht nur in Kärnten.