Alltags-Action für Hartgesottene
Die Zeiten sind nicht besonders gut, die Einkommen gehen zurück, alles wird teurer.
Die Attraktionen im Wurstelprater kosten mittlerweile nicht wenig, ein Besuch im Euro-Disney sowieso eine Lawine.
Kinokarten für Actionfilme gehen ja noch, aber jede Woche? Das läppert sich auch.
Karten für Kabarett oder Theater sind für die meisten längst unerschwinglich.
Doch zum Glück haben wir eine Regierung, die sich für die Bürger, ihre Unterhaltung und Kurzweil stets etwas einfallen lässt. Wenn auch in dem Fall nur für besonders Unerschrockene, die sogar "Ich weiß, was du nächsten Sommer getan hast" komplett mit geöffneten Augen verfolgen können - oder ohne größerem Grausen sogar eine Übertragung aus dem Nationalrat.
Bungeejumping war einmal!
Wer heute etwas auf sich hält, als echt cooler Typ, ....
.......... FÄHRT RETTUNGSGASSE !!!
Gut, ich muss zugeben, dass ich schon bei den ersten Anflügen von Geistesblitz dazu meine Bedenken gehabt habe: Ob das denn so wirklich eine besonders kluge Idee ist, Leuten, die vielleicht gerade unter schwierigsten Bedingungen wie Glatteis, Schnee, Nacht, Nebel, Regen, Aquaplanning, ... versuchen, ihren Wagen zum Stillstand zu bringen, weil es vor ihnen gekracht hat, dann noch aufzuerlegen, dass sie gleichzeitig extrem nach links steuern sollen, bis knapp an die Leitschienen heran. Oder doch nach rechts? Oder schon nach links? Und das alles im Gottvertrauen darauf, dass der Lenker unmittelbar neben oder hinter einem das genauso sieht und tut!
Aber nachdem klein Gerhard ja immer schon als Schwarzseher verschrien war, der doch der Praxis eine Chance geben soll - weil es ja dann vielleicht doch ... oder vielleicht doch nicht so ...
Gut, er gab, der Gerhard, die Chance - just heute.
Gegen 15 Uhr - auf der A2 unterwegs nach Wien, vor Vösendorf.
Der Unfall gerade voraus war eh schon im Radio durchgegeben worden. Auch die große Überkopf-Leuchttafel sagte zur Vorwarnung und Orientierung brav "Tempo 60 - Unfall - Stau - RETTUNGSGASSE!".
Was es ja bei solchen Situationen nicht immer tut - oder eher selten. Irgendwie unspannend, dass bei meiner Premiere die Antwort auf die entscheidende rettungsgassende Gretchenfrage vorweggenommen wurde: "Ist das jetzt ein Stau? Wird's noch einer?"
Als sich die Wagenkolonne verdichtete, entschied sich klein Gerhard daher - bereits vorgewarnt und übergenial wie sowieso immer - ausnahmsweise und politisch unpräjudiziell für die ganz rechte Variante, also pannenzustreifen.
Was dazu führte, dass ebendieser Gerhard gut einen Kilometer lang an den ziemlich verdutzen StauteilnehmerInnen (und -Außen, obwohl nur innen - ich hasse das Binnen-I) vorbeizog, die sich wohl fragten, was der Idiot da rechts daneben wohl zu Mittag gegessen haben könnte (Tirolerknödelsuppe, um das Rätsel zu lösen). Oder ob zuviel gesoffen, an Absinth oder ähnlich sinnesverwirrendem Zeug.
Gar selten hat klein Gerhard eine mehrfach-kolonnierende Verkehrssituation so zügig hinter sich gelassen.
Es war jedoch, zugegeben, ein komisches Gefühl: Links neben einem der Megastau - und vor sich eine Aussicht bis zum Horizont.
Aber das währte - Ende der Genialität - nur etwa eine knappe Minute lang.
Dann nämlich dämmerte es den Staubrüdern und -schwestern nebenan, dass es ja eigentlich Zeit für eine Rettungsgasse wäre. Und folglich reagierten sie unverzüglich, gewissenhaft, bürgerpflichtig korrekt und standen bzw. fuhren ...
... IRGENDWO !
Es gab keinen asphaltierten oder fast asphaltierten Bereich der Autobahn, der dem Planer, Erbauer oder Erhalter eingefallen wäre, der nicht von irgendwem zur Bildung der Rettungsgasse benutzt worden wäre: Am Pannenstreifen, der 0,5. Spur, der 1. Spur, der 1,5. Spur, der 2. Spur, der 2,5. Spur, der 3. Spur, der 3,5. Spur, der 4. Spur und der linken Leitplanke fast entlang schrammend bewegte oder weniger bewegte sich etwas, das Räder hatte und dabei anderen im Weg sein konnte.
Nicht einmal eine Ringelnatter hätte es geschafft, sich durch dieses Blechgewurl im Zickzack einen Weg zu bahnen. Steigt man bei einer Sommerwanderung im Wald irrtümlich in einen Ameisenhaufen: Das Mikro-Gewusel unter dem Schuh wäre dagegen ein leuchtendes Beispiel gesitteter Ordnung.
Instinktiv schickt man als mitfühlender, mitdenkender Zeitgenosse bei diesem Anblick und eingesetzter Vorstellungskraft, warum es sich wohl hier gerade zusammenstauen könnte, ein Stoßgebet zum Himmel, dass es da vorne keine Verletzten gibt - oder die aus der Luft versorgt werden - oder noch besser: Weggebeamt.
Aber dem bei weitem nicht genug. Bei weitem nicht!
Plötzlich begann sich nämlich dieses Durcheinander mit mehr als 10 km/h zu bewegen. Darf man jetzt noch? Muss man noch? Oder nimmer? Und die Frage aller Fragen: Wer macht jetzt wem zum Einordnen Platz? Diese Frage allerdings löst der g'lernte Automobilist am schnellsten: KEINER - NIEMANDEM!
Wer bisher sein Gefährt noch einigermaßen unbeschädigt durch das Wirrwarr gesteuert hatte: Jetzt wurde es so richtig eng!
Aber, ätsch, es war eh nur falscher Alarm! Schon sind wir wieder im Schrittchentempo unterwegs - also flugs zurück ins verordnete Chaos! Das ist die Strafe für übereifrige Optimisten!
Immer noch extrem rechtsend auf dem Pannenstreifen unterwegs, wartete ein Stückchen weiter, hinter der nächsten Kurve auf klein-genial Gerhard die nächste Herausforderung: Der Stau zog sich an einer Ausfahrt vorbei. Vor oder mitten in dieser hielten die ersten Rettungsgassenbilder an, die nicht wussten, was sie jetzt weiter tun sollen. Die wollten ja nach Wien - nicht nach Vösendorf, Graz, Linz, Eisenstadt, Nowosibirsk oder gar St. Pölten. Gibts ein Leben auf dem Pannenstreifen hinter dieser Ausfahrt? Und wenn ja: Wo? Zugegeben: Eine Frage, die mangels Leitlinien in der Tat gar nicht so leicht zu beantworten ist. Und dieses zweitgrößte Rätsel des Universums sorgte natürlich auch dafür, dass jene Glücklichen, die hier tatsächlich die Autobahn verlassen wollten bzw. durften, weiterhin unglücklich nur auf der Warteliste der Rettungsgasseüberstanden-Ordensträger verharren konnten, weil vor ihnen eben nix weiterging.
Doch immer noch war eine Steigerung möglich: Nach jeder Ausfahrt kommt nämlich auch eine Auffahrt - meistens. Und wenn die kommt, dann tust du, lieber Rettungsgassen-Bilder gut daran, dich nicht auf dem Pannenstreifen herumzutreiben. Solltest du wirklich nur im Entferntesten daran denken, auf den Vorrang bauend und die Macht des Schicksals, dem ins Nichts mündenden Streifen weiter zu folgen: VERGISS ES! DENK NICHT MAL DRAN! Kein Schwein (oder gar BMW-, Audi- oder LKW-Fahrer) rechnet dort mit dir. Da bist du Flunder-flach! Wellblech! Wurmfutter!
Fast, lieber garnichtmehrsogenial Gerhard, hättest Du es sonach überstanden gehabt. Fast!
Würdest Du nicht dort angekommen sein, was ein Stau vor einem Unfall normalerweise als Endpunkt hat: Bei der Unfallstelle nämlich. Das klitzekleine Problem dort ist: Wurde der verursachte Blechsalat einmal auseinander sortiert und beiseite geräumt (sic.), dann schleppen die eingesetzten Kräfte alle zerdepschten Vehikel ja komischerweise nicht in die Fahrbahnmitte, wo die Rettungsgasse entlang führt - oder besser: führen sollte, sondern ... erraten: Auf den Pannenstreifen!
Was natürlich dazu führt, dass die Pannengestreiften auch zu Pannengestraften werden, denn der zwangsneurotisch zu benutzende Pannenstreifen - und zumindest die halbe erste Spur noch dazu - endet in Aufräumarbeit-Restbeständen.
Da die Einsatzkräfte mit dem Unfall sowieso alle Hände zu tun haben, sind sie wenig erfreut, gewillt oder bemüht, das Rettungsgassenchaos auch noch zu entflechten. Die Leute haben ja wirklich und wahrlich gerade Besseres zu tun.
Daher trug der letzte Akt der Tragikkomödie für die jetzt Unglücklichen - wo doch anfangs scheinbar Genialen - den Untertitel: Wir schauen den anderen beim Vorbeifahren zu. Wenn die nicht stehenbleiben ... aber nicht, um dem Reißverschlusssystem und damit Dir eine einigermaßen faire Chance zum Weiterkommen zu geben, sondern nur, um als echte Österreicher die Überbleibsel des Unfallgeschehens zu begaffen.
Dann endlich hat sich der Vorhang geschlossen. Mit - vorsichtig gesagt - verhaltenem Applaus.
Abschließend wünschte klein Gerhard im Stauauflösen dem Erfinder aller Rettungsgassen nix Böses., ...
... nur, dass er monatelang rund um die Uhr Rettungsgasse fahren muss.
Damit er nie wieder auf so eine blödsinnige Idee verfällt!
Ebensogut hätte das Überdrüber-Ausdenker-Hirn dieses Geniestreichs verordnen können, die Rettungskräfte sollen sich aus der anderen Richtung der Unfallstelle nähern - weil durch die Blockade ja theoretisch eh keiner entgegenkommen kann. Das wäre ebenso praxisnah und ungefährlich gewesen.
Ah ja, apropos!
Wo zog das Polizeiauto - mit Mühe, aber doch - an dem ganzen Chaos vorbei, dem Unfallort entgegen?
Auf dem Pannenstreifen. Wie immer!
Wo denn sonst?