Natürlich war es unvermeidlich, dass die schöne Zeit auch einmal zu Ende gehen musste, und obwohl vier Wochen ja nicht gerade kurz zu nennen sind, kam doch viel zu schnell der Tag, an welchem mein Vater die Koffer hervor holte, um langsam mit dem Packen zu beginnen. Natürlich war die dafür vorgesehene Zeitspanne nicht so lang bemessen wie vor der Abreise von daheim, aber am Mittwoch meist wanderten die ersten Stücke, welche nicht mehr gebraucht werden würden, in die Koffer.
Da begann gleichzeitig jene Zeit, welche mir schon als Kind auf die Nerven ging: mein Vater war ein Meister im Zelebrieren von Abschieden, und seine andauernden Hinweise ("schau dir das genau an, da werden wir lange nicht mehr her kommen" oder "schau dort, dort sind wir auch gewesen") versetzten die gesamte Familie schon wesentlich früher in eine sentimentale Abschiedsstimmung, als dies eigentlich notwendig gewesen wäre. War aber ned zu ändern. Das Packen ging interessanterweise wesentlich schneller vonstatten als daheim, auch wurde nicht mehr diese Sorgfalt aufgewendet - wichtig war nur, dass alles untergebracht werden konnte. Einzig das Verschließen der Gepäckstücke war vom Kraft- und Zeitaufwand her gleichwertig.
Der allerletzte Tag vor der Abreise war quasi mehr oder weniger einem umfassenden Rückblick über die Ferien gewidmet, und anstatt noch einmal einen Tag abseits vom Alltag zu genießen, hingen die Eltern und die Großmutter schon an Ort und Stelle wehmütigen Erinnerungen nach, welchen sich schließlich auch die Kinder nicht mehr entziehen konnten, und so war die Stimmung des letzten Abends der bei einer Beerdigung vergleichbar. Zum Glück war es erforderlich, beizeiten schlafen zu gehen, weil der nächste Tag wieder sehr früh beginnen würde.
Nach dem Aufstehen und dem Waschen wurden die letzten Utensilien im Gepäck verstaut, dann gab es ein improvisiertes Frühstück, wo alle lustlos ihr Butterbrot aßen und ihren Kaffee tranken, zum Teil schon mit Tränen in den Augen. Nach dem Frühstück stellte sich die Bäuerin mit einem Jausenpaket ein, welches mit ein paar dankbaren Tränen entgegen genommen wurde, und dann ertönte meist schon ein Hupen vom Hof, wo sich der Chauffeur für die Fahrt in den Ort eingefunden hatte. Das Gepäck wurde so gut es ging verstaut, wobei interessant war, dass meist ein Stück mehr vorhanden war, als bei unserer Ankunft. Alsdann hob ein ergreifender Abschied an, wo die Frauen endgültig den Tränen freien Lauf ließen, sogar die Bäuerin, welche doch ohnehin dableiben musste, und schließlich fanden sich in den Augen der Männer auch die einen oder anderen Tränen. Die Kinder heulten ohnehin wie die Schlosshunde.
Schließlich wurde es dem Fahrer zu bunt, er drängte auf die Abfahrt, und nach unzähligen Umarmungen waren endlich alle im Auto untergebracht, der Motor wurde gestartet, und es ging los. Noch ein paar Mal Winken, ein letztes unterdrücktes Schluchzen, und das ärgste war fürs erste überstanden.
Am Bahnhof wurde das Gepäck mit Hilfe des Fahrers gleich im Waggon untergebracht, Türnitz war ja eine Endstation, und das Zügle stand noch vom Vorabend da. Dann erfolgt ein relativ kurzer Abschied von unserem Chauffeur, der es allerdings auch auffallend eilig hatte, weg zu kommen. Wahrscheinlich hatte er an diesem einen Morgen mehr Tränen zu sehen bekommen, als sonst das ganze Jahr über, Trauerfälle ausgenommen.
Wenn der Zug endlich abfuhr, galt es noch, die erste Kurve zu meistern, wo der Vater noch einmal mahnte, "noch einmal zurück zu schauen", aber danach stellte sich meist relativ schnell wieder allgemeine Beruhigung ein, spätestens dann, wenn das Jausenpaket der Bäuerin seiner Bestimmung zugeführt wurde.
Aufregende Momente gab es beim Umsteigen in St. Pölten. Damals fuhren ja viel mehr Menschen mit der Bahn als heute, und die meisten Züge waren gesteckt voll. Das war natürlich besonders erfreulich, wenn man mit hundert Binkeln und Koffern durch einen oder gar mehrere Waggons den Weg zu seinem Abteil finden wollte. Zum Glück hatten wir auf der Rückfahrt wenigstens reservierte Plätze, sonst wär's ein rechter Graus gewesen. Durch das umständliche Abteilsuchen und das Verstauen der Gepäckstücke, was ja alles während der Fahrt geschah, dauerte die Fahrt nach Wien nicht mehr lange, sobald wir es uns endlich gemütlich gemacht hatten, und bald hieß es wieder, alles für den Ausstieg herzurichten. Dieser war, da ja alle Reisenden hier ausstiegen, sehr turbulent, zumal mein Vater nicht die Ruhe hatte, abzuwarten, bis wir so ziemlich die letzten waren. So bildeten wir für die anderen Reisenden wohl das eine oder andere Hindernis, und das zumeist an ohnehin neuralgischen Punkten. Nicht ganz Herr der Situation zu sein, war meinem Vater nicht angenehm, und dieses Gefühl wurde durch die eine oder andere spitze Bemerkung seitens der Mutter oder Großmutter noch verstärkt. Zum Glück holte uns mein Bruder, soweit ihm das möglich war, vom Zug ab, so dass mein Vater wenigstens beim Transport der Gepäckstücke eine effiziente Hilfe hatte.
Das größte Problem war aber, auf dem Vorplatz ein Taxi zu bekommen. Zwar bewegten sich damals bei Ankunft eines wichtigen Schnellzuges Legionen von Taxis in Richtung Westbahnhof, allersinds spie ein langer Zug auch gehörig viele Menschen aus, jedenfalls mit heute nicht zu vergleichen. So war der Gehsteig vor dem Bahnhof mit Menschen überfüllt, welche nicht nur alle ein Taxi wollten, sondern noch dazu meist zu zweit waren, bestenfalls zu dritt, und infolge weniger Gepäcks entsprechend beweglicher waren, wenn es galt, einen Taxifahrer auf sich aufmerksam zu machen. So war es nicht verwunderlich, wenn wir meist zum letzten Viertel der Glücklichen gehörten, welche endlich ein Taxi gefunden hatten.
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Bei der Busfahrt der beiden letzten Jahre war es ein wenig einfacher. Zwar sorgten wir in Türnitz selbst für nicht geringes Aufsehen, da es dort einen sehr schmalen Gehsteig gab, auf welchem wir mit unserem Gepäck sehr viel Platz einnahmen. Und natürlich waren auch andere Reisende da. Aber sobald die Koffer am Dach des Busses verstaut waren, waren wir aller Sorgen ledig, und hatten jedenfalls unsere Ruhe bis Wien. Einzig das Jausnen war im Bus natürlich nicht möglich, und musste auf die "lange Pause" verschoben werde, welche aber für eine richtige Jause auch nicht lang genug war, so dass es mehr ein Schnellimbiss wurde. Auf der anderen Seite entfielen durch die Linienführung des Postbusses die bei meinem Vater so beliebten "Rückschauen", so dass dieser Umstand die verkürzte Jause bei weitem aufwog. Wenn wir endlich in Wien am Schillerplatz angekommen waren, war auch das Auffinden eines Taxis nicht so schwierig wie beim Westbahnhof, weil auch im Falle, dass mehrere Busse gleichzeitig ankamen, das Fahrgastaufkommen mit dem eines Schnellzuges nicht zu vergleichen war.
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Sobald also Gepäck und Familie im Taxi verstaut waren, ging es über die ungewohnten Pflasterstraßen des damaligen Wien heim nach Floridsdorf. Vor dem Haustor wartete schon unsere Mami, und während sich die Frauen tränenreich begrüßten, wurde das Gepäck entladen, der Taxler entlohnt, und endlich machte man sich auf den Weg in die Wohnung, welche damals noch im dritten Stock gelegen war.
Wenn nach viel Ziehen und Schleppen endlich alle Gepäckstücke in die Wohnung gebracht waren, und die Familie wiedervereint um den großen Esstisch saß, dann fielen all die Kümmernisse der langen Fahrt von uns ab, und wir waren wieder eine glückliche Familie und hatten uns alle lieb.
Dann gab es meist eine ausgiebige Jause, sowohl aus Resten der Bauernjause, als auch von Mami zubereitet, und dann wurde erzählt und erzählt, während durch die Fenster die vertrauten Geräusche der Straßenbahnen und Autos drangen.
Wenn der Abend zur Neige ging, die Großmutter nach Hause gegangen war, und wir endlich in unseren Betten lagen, um zu schlafen, stellten sich die Großstadtgeräusche als genau so störend heraus wie die ungewohnte Straßenbeleuchtung, und so lagen wir meist noch lange wach und hingen unseren Erinnerungen an eine schöne Ferienzeit nach, bis endlich die Müdigkeit die Augenlider schwer werden ließ, und wir einschlafen konnten.