Neben Weihnachten war Ostern in meiner Familie eine besondere Zeit. Einerseits durch die Gläubigkeit meiner Mutter, welche die Karwoche sehr intensiv mitlebte, was natürlich auch für den Rest der Familie spürbar wurde, anderseits durch das gemeinsame Feiern des Festes im Gefühl einer besonderen Zusammengehörigkeit.
Karwoche ....
Die Karwoche war für meine Mutter ein Gemisch aus Traditionen, Ritualen, und vor allem einer aus dem Glauben kommenden Traurigkeit, welche diese Tage für den Rest der Familie jedenfalls nicht unproblematisch werden ließ. Schon am Montag wurden die Kinder - ich vor allem
- darauf hingewiesen, dass in Hinblick auf die kommenden Ereignisse eine übertriebene Fröhlichkeit nicht angebracht wäre. Im Gegenteil sollte man sich in Zurückhaltung und Besinnung üben, und seine Gedanken auf das bevorstehende Fest konzentrieren.
Einschneidende Auswirkungen hat es auch auf das Essen gegeben. Die Fastenzeit, welche ohnehin schon relativ streng eingehalten worden war, wurde nach dem Palmsonntag noch einmal verschärft. Der Speiseplan wurde auf eine Bescheidenheit eingependelt, welche in jedem Kloster zu Empörung und Revolte geführt hätte, wie mich späterhin die Erfahrungen als erwachsener Mensch gelehrt haben. Aber gegen das Regiment der Mutter in Sachen Karwochen-Kost gab es keine Möglichkeit des Aufbegehrens, jedenfalls nicht von seiten der Kinder - und der Vater hat sich gehütet, den Frieden des Ehelebens für ein paar Mahlzeiten aufs Spiel zu setzen.
Wobei ich natürlich sagen muss, dass es bis zum Mittwoch ohnehin erträglich gewesen ist. Aber mit dem Gründonnerstag ist es streng geworden. Es braucht nicht extra erwähnt zu werden, dass es an diesem Tag Spinat gegeben hat - mit Erdäpfeln und Spiegelei, wobei die Spiegeleier limitiert waren - eines pro Person. Nicht aus Gründen der Sparsamkeit, sondern weil sie gut schmeckten, und meine Mutter der Meinung war, dass der Sinn des Fastens nicht darin besteht, Dinge zu essen, welche man nicht nur gerne, sondern auch noch mit Genuss isst. Erdäpfel dagegen waren nach Belieben erhältlich.
Am Abend des Gründonnerstag war der gemeinsame Kirchgang angesagt, in unserer Pfarre traditionell eine Messe, welche besonders feierlich, fast im Stile eines Hochamtes begonnen wurde, mit dem Höhepunkt des Gloria, bei welchem nicht nur der Organist all seine Kunst für eine klangvolle Improvisation aufbot, sondern wo auch alle zur Verfügung stehenden Glocken noch einmal geläutet wurden, um anschließend nach Rom zu fliegen, und den jährlichen Kurzurlaub bis zum Karsamstag zu genießen. Nach dem Gloria ging es dann sehr ruhig weiter mit einem Wortgottesdienst, gedämpft quasi, im Gedenken an den bevorstehenden Karfreitag. Mag auch daran gelegen haben, dass die Orgel gemeinsam mit den Glocken bis zum Karsamstag schweigen sollte.
Karfreitag war es angebracht, im Haushalt nicht aufzufallen. Auch gab es viele Verbote seitens meiner Mutter, welche streng zu beachten waren, um den Osterfrieden nicht zu gefährden. Lautes Lachen oder gar Singen war verpönt, gar nicht einfach durchzusetzen in einer Familie, welche mit Musikalität und Humor gesegnet war. Aber meine Mutter hat das spielend geschafft, und wenn jemandem ein kleiner Lacher auskam, wurde er durch ein mütterliches "nau?
" sehr rasch wieder zu einem ernsthaften Christen.
Selbstverständlich war es nicht erlaubt, am Karfreitag Radio zu hören. Ich erinnere mich mit Freude an einen Karfreitag, wo mein Vater in Gedanken das Radio einschaltete, um ein wenig seiner geliebten klassischen Musik zu hören. Nach den ersten Tönen stand meine Mutter wie von Zauberhand aus der Küche katapultiert vor ihm, und sagte - liebevoll aber bestimmt -: "Pepi, es ist Karfreitag", worauf mein Vater es tatsächlich fertigbrachte, zu erröten. Sein Argument, dass klassische Musik vom Wesen her eher ernster Natur sei, und man am Karfreitag ja ohnehin nur besonders ernste Stücke spielen würde, fand kein Gehör, und so blieb ihm nichts übrig, als auf seine ernste Musik zu verzichten, um die religiösen Gefühle seiner Frau nicht zu verletzen. Wobei ich dazusagen muss, dass dies eine einmalige Episode aus einer Reihe ungezählter Karfreitage in meiner Familie geblieben ist.
Das Essen am Karfreitag bestand über lange, lange Jahre hinweg aus zwei Mahlzeiten, einem Frühstückskaffee mit Butterbrot, und einem sogenannten Abendessen, welches sich auf Tee mit Butterbrot und Sardinen beschränkte. Also eher kärglich, was durch den Umstand begünstigt wurde, dass mein Vater am Karfreitag seinen zweiten traditionellen Fasttag neben dem Heiligen Abend hielt, und demnach an diesem Tag überhaupt nichts zu sich nahm. Mag sein, dass es an dieser mäßigen Verköstigung gelegen hat, dass am Karfreitag immer eine leichte Unruhe und Gereiztheit in der familiären Luft gelegen ist, welche dann in der Tat zu einer gewissen trübseligen Stimmung geführt hat, welche auch durch den Besuch der Kreuzweg-Andacht nicht wirklich verbessert werden konnte.
Am Abend war die sogenannte "Pumpermette" vorgeschrieben, welche mir damals sehr zu gefallen wusste. Im Rahmen einer kleinen Andacht wurden von verschiedenen Vortragenden biblische Psalmen gesungen, was an sich mir schon sehr gefallen hat. Nach jedem der vielen Psalmen wurde eine von den Altarkerzen ausgelöscht, auch das Licht im Kirchenraum wurde schrittweise ausgeschaltet - Dimmer gab es damals noch nicht, jedenfalls nicht in unserer Kirche. Nach dem letzten Psalm begab sich einer der Akteure in einen hinter dem Altar gelegenen Nebenraum, worauf dann auch das letzte Licht verlosch, und stilles Gedenken in völliger Dunkelheit angesagt war. In diese Dunkelheit hinein wurde dann aus dem Nebenraum ein leiser Paukenwirbel hörbar, der sich - je nach Ausführendem - mitunter zu einem Furioso steigern konnte, und mit welchem das Erdbeben beim Tod des Erlösers dargestellt werden sollte. Anschließend wurde das Licht wieder eingeschaltet, und man ging ohne ein weiteres Wort auseinander. War für mich als Kind und auch später sehr beeindruckend.
Karsamstag war zwar damals noch strenger Fasttag bis zur Auferstehungsfeier, doch wurden beim Mittagessen schon Anflüge einer gewissen Normalisierung wahrgenommen. An Fleisch war natürlich nicht zu denken, aber immerhin gab es entweder Kaiserschmarrn oder Palatschinken, in späteren Jahren dann sogar panierten Fisch, also durchaus Speisen, mit welchen sich gut fasten lässt.
Krönung des Karsamstag war natürlich wieder der gemeinsame Besuch der Auferstehungsfeier am späteren Nachmittag, welche auf dem Platz vor der Kirche mit der Lichtfeier begonnen wurde. Hier erfolgte die Weihe des Wassers, sowie auch die Weihe und die Entzündung der Osterkerze. Diese wurde dann im Rahmen einer kleinen Prozession in die abgedunkelte Kirche getragen, wobei schrittweise die Beleuchtung im Kirchenraum eingeschaltet wurde, um die Erleuchtung durch die Osterkerze zu symbolisieren. "Lumen Christi", sang der Pfarrer, und "Deo Gratias" antworteten die Gläubigen, ehe es wieder eine Spur heller wurde. Abschluss der Lichtfeier und zugleich Beginn der Messe war das Exsultet, welches vom Diakon gesungen wurde. Das Gloria wurde wiederum mit vollem Orgeleinsatz und dem Läuten aller Glocken gefeiert, und dann die Messe in besonders feierlichem Rahmen fortgesetzt.
Nach der Messe, und nach einem kurzen Tratsch am Kirchenvorplatz mit Freunden und Bekannten, fand sich die Familie zum gemeinsamen Osteressen ein, wo natürlich auch die beiden Großmütter nicht fehlen durften. Es gab zwar nur kalt, aber Geselchtes und Aufschnitt, Käse, und natürlich die unverzichtbaren Eier. Zu erwähnen wäre noch, dass nach der Heimkehr vom Kirchgang auf einem Tischchen im Vorzimmer für jedes Familienmitglied ein Nestchen mit Naschwerk, Osterei usw. vorgefunden wurde, welche - während wir in der Kirche waren - vom Osterhasen gebracht worden waren.
Am Ostersonntag war natürlich wieder Kirchgang angesagt, nach dem Messbesuch ging es dann zur Großmutter, um festzustellen, ob der Osterhase vielleicht auch dort ....
..... und in der Tat fand sich auch dort für jedes Kind ein Nestchen, allerdings nicht auf einem Teller, sondern in einer Manner-Schachtel, und dem kleinen Kind ist in der Freude über den Besuch des Osterhasen gar nie der Gedanke gekommen, dass in genau dieser Manner-Schachtel ein paar Monate vorher schon der Nikolaus seine Gaben hinterlassen hatte.
Dann gab es das gemeinsame Ostermahl, wieder in voller Besetzung, wo dann endlich wieder einmal ordentliches Essen auf den Tisch kam.
Die Übertragung des Segens "urbi et orbi" aus Rom, damals noch im Radio, hat zwar das Essen ein wenig gestört, denn die Frauen des Hauses haben nicht erlaubt, dass während dieser heiligen Handlung weitergegessen wurde
, aber die Unterbrechung hat nicht lange angedauert, und schließlich hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Traditionelle Nachspeisen wurden gereicht, später dann Kaffee und Kranzkuchen, und so saß man den ganzen Nachmittag beisammen, unterhielt sich, spielte miteinander, und der Vater durfte wieder seine klassische Musik hören.
Es war eine herrliche, reiche, kostbare Zeit, die ich nicht missen möchte, die viel dazu beigetragen hat, dass ich der wurde, der ich heute bin. Und die Erinnerung an diese Zeit schenkt mir immer wieder Freude und auch Kraft, gerade mit meinen heutigen Jahren, wo der Kreis jener Menschen, welche damals meine Welt waren, immer kleiner und kleiner wird, und außer mir selbst nur mehr meine Schwester übrig geblieben ist. Alle anderen sind uns schon auf dem letzten irdischen Weg vorausgegangen.
Mögen sie, denen ich so viel zu verdanken habe, in Frieden ruhen.