Jim O'Brian:
Die Todesstrafe bestraft auch die Familien der Opfer
Meine Tochter Deirdre war 25, als sie ermordet wurde. Sie war eine Künstlerin, sie malte. Sie hoffte auf eine Anstellung in einer Kunstgalerie. Ihre Bilder hängen noch überall in unserem Haus. Sie sind verdammt gut. Und das sage ich nicht nur, weil es meine Kleine war, die sie gemalt hat.
Eine beide Seiten vertretende Kommission führte vergangenes Jahr eine Untersuchung zur Todesstrafe in New Jersey durch. Einer der Aspekte dabei war die Frage, was Leuten wie mir am meisten helfen würde, also Familien, deren Leben durch einen Mord auf den Kopf gestellt worden ist.
Sie kam zu der weisen Entscheidung, der Staat New Jersey solle die Todesstrafe abschaffen und durch lebenslänglich ohne Möglichkeit der Bewährung ersetzen. Der Gesetzgeber sollte dieser Empfehlung folgen.
Ich sage das nicht, weil ich der Meinung wäre, dass diese Menschen es verdienen, am Leben zu bleiben. Doch ich erlebte den gesamten Verlauf, als der Staat sich bemühte, einen von ihnen zu töten, und ich kann ohne zu zögern sagen, es lohnt nicht die Seelenqualen, die die Hinterbliebenen durchleiden müssen.
Wenn Sie es nicht selbst erlebt haben, können Sie nicht wissen, wovon ich spreche. Ich habe es erlebt. Und ich weiß, wovon ich spreche.
Ein Serienmörder hat Deirdre 1982 aus unserer Mitte gerissen. Damals wusste meine Familie noch nicht, dass das erst der Anfang unserer Tortur sein sollte. Wir wussten nur, dass das Allerschlimmste passiert war und dass der Täter dafür den höchsten Preis zahlen sollte – er erhielt die Todesstrafe.
Von 1982 bis 1990 lebte ich von einem Tag zum andern, von einem Antrag zum nächsten, von Entscheidung zu Entscheidung. Jeden Morgen fragten wir uns beim Aufwachen, was dieser Tag bringen werde. Vielleicht einen neuen Antrag? Eine neue Eingabe? Welche neue Entscheidung erwartet uns heute?
Meine Familie und ich haben ungeheuerlich darunter gelitten.
Und mit meinen Erfahrungen stehe ich nicht allein da. Eine Untersuchung des Justizministeriums ergab, dass 70% der Eheleute in unserer Situation sich scheiden lassen, sich trennen oder zu Alkohol und Drogen greifen.
Die Einstellungen zur Todesstrafe sind innerhalb einer Familie oft unterschiedlich, und das Verfahren strapaziert alle und bringt Menschen auseinander.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, kam 1990, acht Jahre nach dem ersten Prozess. Wieder einmal saßen wir in einem Verfahren zur Urteilsfindung. Der Richter hatte den potentiellen Geschworenen während der Auswahl die Frage gestellt: 'Können Sie fair und unparteiisch sein, auch wenn Sie wüssten, dass dieser Mann in Florida einen weiteren Mord begangen hat? Selbst wenn Sie wüssten, dass er einen Mord 12 Tage vor seinem ersten Prozess begangen hat? Selbst wenn Sie wüssten, dass er in diesem Fall bereits wegen Mordes verurteilt wurde?'
Ich hörte mir diese Fragen an und dachte, mein Gott, selbstverständlich muss dieser Mann getötet werden. Und im Verlauf des Prozesses kam es mir vor, als hätten wir es bald, in Kürze ist alles vorbei. In dem Maße, wie mein Vertrauen auf das Urteil sich festigte, wurde ich immer zuversichtlicher. 3 Stunden später kamen die Geschworenen ergebnislos zurück, sie hatten sich festgefahren und der Mann, der meine Tochter ermordet hatte, wurde erneut zu lebenslänglich ohne Bewährung verurteilt.
Der Schock dieses Augenblicks war unbeschreiblich groß. Zum ersten Mal seit langem weinte ich.
Acht Jahre mit Prozessen und neu aufgerollten Verfahren haben meine Ansichten über die Todesstrafe verändert. Auf die harte Tour lernte ich, dass die Todesstrafe für die Angehörigen von Opfern nur hinderlich ist.
Ich höre Befürworter der Todesstrafe oft sagen, dass man diese benötigt, damit die Familien von Opfern mit dem Ereignis abschließen können.
Und dann sind da die Opferangehörige, die die Todesstrafe aus moralischen Gründen ablehnen, und die sagen, so etwas wie einen Abschluss gebe es nicht.
Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Wenn der letzte Antrag und die letzte Wiederaufnahme des Verfahrens vorbei sind, wirklich und wahrhaftig vorbei sind, ist man dem Abschluss so nahe wie nur möglich.
Aber es wird immer wieder Artikel, Szenen, Erfahrungen geben, die einen wieder an alles erinnern. Allein im Jahre 2005 gab es zwei Dokumentationen über unseren Fall.
Und der Mensch, den man verloren hat, kommt nie mehr zurück.
Und so ist es niemals völlig vorbei.
Doch es ist anders, wenn man nicht mehr mittendrin steckt.
Unter diesem Aspekt gibt es vielleicht doch einen Abschluss, und von allen Formen der Bestrafung treibt die Todesstrafe diesen Abschluss in immer weitere Ferne.
Für Mörder habe ich keinerlei Sympathie übrig. Demjenigen, der mir meine hübsche, mitfühlende, wundervolle Tochter weggenommen hat, werde ich sicher niemals vergeben. Aber die Strafe, von der ich mir die größte Gerechtigkeit versprochen hatte, hat meine Qual nur verschlimmert. Deutlich verschlimmert.
Der Staat New Jersey könnte sicherstellen, dass keine Hinterbliebenen mehr das Gleiche wie ich durchmachen müssen. Ich habe es auf die harte Tour lernen müssen. Mögen die Gesetzgeber – wie schon zuvor die Kommission – von mir lernen: Schaffen Sie die Todesstrafe ab. Lebenslänglich ohne die Möglichkeit der Bewährung ist wirksam, schnell und sicher. Und das brauchen die Familien der Opfer am allernötigsten.