Selbst wenn ich mich der Sehnsucht nicht entziehen kann.. kann ich doch auch gegen die Sehnsucht handeln, ihr nicht nachgeben.
Eine Zeit lang wird das vermutlich gehen, aber es wird sicher nicht auf Dauer gehen. Die Sehnsucht wird zunehmen, an Intensität, das Begehren wird größer und schließlich übermächtig werden, und es wird Dich genau dahin führen, wo Du nicht hin kommen willst: nicht scharf genug zu sehen, nicht genau genug zu hören, den falschen Menschen zu glauben, kurz: in die nächste Enttäuschung zu laufen.
Vielleicht werde ich glücklicher, wenn ich nach etwas anderem als Liebe suche. Vielleicht finde ich meine Erfüllung anderswo...
Naja, schon ..... aber wo und wie? Du solltest die Affinität zwischen Mensch und Liebe nicht unterschätzen. Worin immer Du Deine Erfüllung suchen magst, es wird Dir nicht ohne Liebe gelingen. Nicht nur in der Beziehung zu Menschen, auch zu Tieren, ja selbst zu Berufen und Hobbys bedarf es eines Minimums an Liebe, um darin Erfüllung zu finden. Sogar im extremsten aller Extreme, wenn Du Dich ganz auf Dich zurückziehen willst, wirst Du ohne Liebe zu Dir selbst nicht an Dein Ziel kommen.
"Liebe ist alles. Ohne Liebe ist alles nichts." Ein Satz, der leider sehr oft phrasenhaft gebracht wird, und doch steckt eine sehr tiefe Weisheit in ihm.
Richtig tief getroffen kann ich doch nur werden, wenn ich es zulasse, in den Tiefen meines Herzens verletzbar zu sein. Wenn ich mein Innerstes so offenlege, dass ich Angriffsfläche biete.. ja, das wär meine Logik.
Da darf ich Dir aus meiner Erfahrung sagen, dass in Lebens- und vor allem in Gefühlsfragen Logik und Rationalität nicht immer die besten Berater sind. Denn was bewirkt denn Deine Logik? Vordergründig die Bewahrung vor Verletzung, das ist richtig. Aber wenn Du den Gedanken in die Tiefe entwickelst, dann merkst Du sehr schnell, dass Du damit Deinen Gefühlen eine Zwangsjacke anlegst, denn jedes wie immer geartete Gefühl
kommt aus der Tiefe Deines Herzens, Deiner Seele wenn Du willst, und nur dannkann es als echt erlebt, und vor allem
nur dann kann es von dem Menschen als echt empfunden werden, dem es entgegengebracht wird.
Dass man dadurch leichter verletzbar wird, liegt auf der Hand. Die Frage ist nur, ob der Schutz vor Verletzungen wirklich lohnt, auf seine Gefühle verzichten zu wollen.
Es mag ein ungeschickter Vergleich sein: aber wer würde denn aus der Angst vor Verletzungen sein gesamtes Leben nur in den eigenen vier Wänden verbringen wollen? Schiene Dir das ein vernünftiges und zielgerichtetes Verhalten? Wäre es wirklich eine Garantie für ein Leben ohne Verletzungen, oder gibt's nicht auch innerhalb einer Wohnung genug Möglichkeiten, sich eine Verletzung zuzuziehen? Siehst Du, und nicht anders verhält es sich mit der Verletzlichkeit der Seele.
Ich bin ein Mensch mit ganz extremen Verlassensängsten. Das ist nicht "normal", das ist mir klar.. aber trotzdem das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.
Ach Gott, nicht normal ..... die Angst vor dem Verlassenwerden schlummert doch in jedem Menschen, sie ist quasi ein integrierter Bestandteil seiner Sehnsucht, zu lieben und geliebt zu werden. Das ist nicht das Problem. Zu einem Problem wird es erst dann, wenn man meint, dass man als Verlassener nicht fähig wäre, weiter zu leben, dass man es quasi nicht "wert" wäre, für sich selbst zu leben, und sei es nur für den Anfang oder den Übergang. Auch daran kann man arbeiten, auch das kann man lernen.
Du hast doch schon Erkenntnisse für Dich gezogen:
Einer meiner Fehler war bestimmt, dass ich zu viel geglaubt habe.
Das ist ein Fehler, der an Gefährlichkeit verliert, wenn man sich dessen bewusst ist.
Ich weiß, was ich mir vom Leben erwarte, von den Menschen, die in mein Leben treten, ich weiß, was ich mir wünsche und welche Hoffnungen ich hege. Ich habe Ziele, die auch nicht ganz unrealistisch sind.
Das ist mehr als ein guter Ansatz, das ist schon ein ganz gediegenes erstes Fundament. Und es ist ja noch nicht alles, denn Du bist ja auch einem anderen Geheimnis auf der Spur:
Dass es (lange) dauern kann und wird, ist mir auch bewusst. Ich hab nur keine Ahnung, woher ich die Kraft nehmen soll, die Zeit zu überstehen... wenn die Zeit alles schlimmer macht anstatt besser.
Die Kraft dazu kannst Du nur aus Dir selbst schöpfen. Und es ist wahr, dass es ein langer Weg sein kann, und es ist auch wahr, dass es ein mühsamer und beschwerlicher Weg werden kann. Aber es ist der einzige Weg, der Dich auf Dauer zum Ziel führen wird.
Und ich habe Angst, dass es sich im Endeffekt nicht lohnen wird, so viel Zeit und vor allem Kraft zu investieren wie notwendig wäre.
Doch, es wird sich lohnen, denn Du investierst die Kraft und die Zeit zum Erreichen eines glücklichen Lebens. Was denn würde Aufwand lohnen, wenn nicht dieses Ziel?
Ich wär so gern eiskalt und vernünftig!
Das lass' ich einmal unkommentiert so stehen, ich will Dir zugute halten, dass Du selbst von Dir gesagt hast, dass Du im momentanen Gefühlschaos keinen klaren Gedanken zu fassen vermagst.
Und nun zum anderen:
5 Jahre wechselnde Psychologen, Psychiater, Methoden und Medikamente. 5 verdammte Jahre. Klingt nicht lang, ist aber mehr als ein Viertel meines Lebens. Ich habs wieder auf die Beine geschafft, und plötzlich kommt jemand daher und bringt *schnipp* das Kartenhaus "Leben" wieder zum Einsturz.
Schau, wenn Du sagst, dass Du es wieder auf die Beine geschafft hast, dann zeigt mir das einerseits, dass Du ja in der Tat schon einmal die Kraft aufgebracht hast, Deinen Weg zumindest bis zum annähernden Erreichen Deines Ziels zu gehen. Das verdient Anerkennung, auch wenn Du in dieser Selbsteinschätzung meines Erachtens von ganz falschen Voraussetzungen ausgegangen bist.
Schau, wie erklär' ich's Dir am besten. Wenn Du fünf Jahre Therapie brauchst, um ein Trauma verarbeiten zu können, dann lässt das schon gewisse Rückschlüsse auf die Schwere der Verletzung zu, speziell, wenn man Dein damaliges Alter in Betracht zieht. Es war demnach gravierend, und auch die erfolgreichste Therapie hätte es im günstigsten Fall geschafft, Dich für die Erfordernisse des normalen alltäglichen Lebens halbwegs zu rüsten. Halbwegs!
Und entschuldige, ich sag's einfach gerade heraus, wie's meine Art ist: ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auch nur ein einziger Deiner Therapeuten Dich für gerüstet und gefestigt genug gehalten hätte, dass Du schnurstracks in ein Erotikforum gehst, und Dich dort zu einem willigen Spielzeug machst. Das hat nämlich mit dem normalen alltäglichen Leben aber schon überhaupt nix zu tun. Und dass
Du daran scheitern musstest, war vorprogrammiert.
Du hast es eh selbst erkannt:
Und ja, sexuelle Gschichtln tun zwar dem Ego kurzfristig gut, aber keinesfalls dem Herz. Das musste ich schon lernen.
Jetzt hast Du's also gelernt, und wenn es auch eine schmerzliche Lektion war, so wirst Du daraus für Dein Leben eine weitere wichtige Erkenntnis ziehen können: zu unterscheiden, wo man Dir Achtung und Respekt entgegenbringt um Deiner selbst Willen, und wo man Dich mit Schmeicheleien umgarnt, um zu seinem eigenen Ziel zu kommen, und Dich nachher meist etwas weniger elegant fallen lässt, sobald Du die Erwartungen erfüllt hast.
Wenn Du einen Rat vom Steirer annehmen willst, kannst Du sogar noch eine zusätzliche Lehre daraus ziehen: wenn Du nach Freunden suchst, dann suche sie nicht unter den Menschen, welche Dir schmeicheln und Dich bejubeln. Die können nämlich als Freunde genau nix. Such Dir Freunde unter jenen Menschen, welche Dir kritisch aber
aufmerksam gegenüberstehen. Sie sind diejenigen, welche auch dann noch an Deiner Seite sind, wenn sich die ganzen Schleimer schon verlaufen haben, weil sie irgendwo etwas besseres im Visier haben, von dem sie sich mehr erwarten. Freunde
kann man sich aussuchen. Nutze diese Gelegenheit!
Jetzt bin ich etwas abgeschweift
Aber wir haben's gleich .....
Ich weiß nicht, wie ich die Kraft aufbringen soll, diesen Weg noch einmal zu gehen. Und ich weiß nicht, ob ich das will - vielleicht war ja alles "umsonst", wenn der "Erfolg" wieder nicht von Dauer ist. Mir fehlt einfach die Kraft, die ganze Geschichte wieder und wieder aufzurollen, mein Leben komplett einzureißen und nochmal zu versuchen, auf neuem Fundament zu bauen..
Zum einen musst Du nicht "alles" wieder aufrollen, ich kann mir durchaus vorstellen, dass Du gemeinsam mit einem guten und engagierten Therapeuten dort ansetzen kannst, wo Du Dich offenbar allzu sicher "auf den Beinen" gewähnt hast. Es wird trotzdem wieder eine Zeit dauern, und es wird sehr viel vor allem von Dir abhängen,
wie lange es dauern wird.
Hab ich ein Recht, zu leben und zu lieben, wenn ich es allein nicht schaffe?
Ja, das hast Du, das hat jeder Mensch.
Es alleine nicht zu schaffen, bezieht sich ja auf den Weg dahin, und da sollte man jede Hilfe in Anspruch nehmen, welche zur Erreichung des Zieles beitragen kann. Es ist vergleichbar mit einer physischen Erkrankung, welche einen Menschen an einem uneingeschränkten Leben hindert. Welcher Mensch wird da nicht die Hilfe eines Arztes in Anspruch nehmen, wenn er damit wieder zu dem Leben finden kann, das er anstrebt? Wer würde fragen, ob er ein Recht zu leben hat, wenn er seine Lungenentzündung nicht allein auf sich gestellt heilen kann? Den würdest Du im günstigsten Fall auslachen, wahrscheinlich sogar ärgeres.
So, als vorletztes:
Woher wusste ich bloß, dass jetzt wieder mein Alter zur Sprache kommt? *lächel*
Du lächelst? Wer lächeln kann, kann auch lieben!
Und Du weißt schon, dass der Hinweis auf Dein Alter nicht böse gemeint war. Es ist halt schon so, dass ich dreimal so alt bin wie Du, und da bist Du einmal eine junge Frau. Ist doch so. Und das "unsinnig" hat sich auf das Flinte ins Korn werfen bezogen, das würde ich bei einem 50- oder 60-Jährigen genau so unsinnig erachten, um so mehr mit Deinem Alter.
So. Letzter Punkt:
Stellt sich die Frage, wie man "funktionieren" definiert. WANN funktioniert ein Mensch, was muss er dafür tun?
Ein Mensch "funktioniert" meiner Meinung nach dann, wenn er Mensch sein und bleiben will. Und zwar mit all den Facetten, welche zum Menschsein dazugehören. Glück, Unglück, Freude, Schmerz, Liebe, Hass, Erfolg, Misserfolg, Gunst, Missgunst, Freundschaft, Feindschaft usw. Das macht einen Menschen aus.
Das alles anzunehmen in dem Bewusstsein, dass man dabei gewaltig auf die Nase fallen kann, nicht nur einmal - das alles bewusst zu leben und zu erleben, das ist einmal das wichtigste, worauf es im Leben ankommt.
Das zweitwichtigste: sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren, sich seiner Stärken aber auch seiner Schwächen bewusst zu werden und zu sein. In den Stärken nicht überheblich zu werden, an den Schwächen nicht vorzeitig zu verzagen. Sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren, aber auch nicht die Augen verschließen vor den Bedürfnissen anderer Menschen, vor allem jener, welche uns nahe stehen.
Das dritte, was auch nicht unerheblich wäre, ist dann sicher, sich so weit fortzubilden, einen Beruf zu erlernen, mit dem man ein Einkommen zu erzielen vermag, welches jedenfalls auf längere Sicht ausreicht, eine gewisse Unabhängigkeit zu erreichen und auch für das Alter zu bewahren.
Wenn man das alles auf die Reihe kriegt, dann sollte einem glücklichen und erfüllten Leben nichts mehr im Weg stehen.
Du kennst das Ziel, Du weißt den Weg.
Ich wünsche Dir den Mut, den ersten Schritt zu tun.
Am besten noch heute.