Ich hab keine Ahnung, ob ein weiterer Teil aus meinem Nähkästchen für diese Diskussion was bringt, ich schreib einfach mal auf, was mir dazu durch den Kopf geht.
Den Ansatz von Morathi (den Schmodder, den die Kids produzieren, von ihnen selbst wegräumen -> Eigenverantwortung) beispielsweise halte ich für sinnvoll, ebenfalls yuccas rigorose Bloßstellung ihrer Tochter beim "Schuhklau". Ich mußte dabei an die Zeit denken, die ich vom 17. - 19. Lebensjahr (das letzte Jahr war ich freiwillig dort, anders hätte ich das Abschlußzeugnis der Handelsschule nicht gekriegt) in einem geschlossenen Heim für schwer erziehbare Mädchen verbracht hab. Hab erst vor etwas mehr als einem Jahr erfahren, daß das ein Heim mit "heilpädagogischem" Ansatz war. Rückblickend hat mich die Zeit dort eigentlich gerettet. Hat mich zwar nicht davor bewahrt, nach meiner Entlassung mehrmals grandios auf die Schnauze zu fliegen, aber bis heute zehre ich von den damals als "total bescheuerten, altertümlichen" Erziehungsmethoden.
Wie gesagt: es waren überwiegend verzweifelte, gestrandete Mädels dort - wer schon mal einen Haufen aggressiver, pubertierender, gewalterprobter Weiber auf engem Raum begegnet ist, kann sich vielleicht vorstellen, daß das nicht unbedingt die einfachste Klientel ist. Inzwischen weiß ich von einigen (natürlich nicht von allen), daß sie ähnlich wie ich ihre Zeit dort aus heutiger Sicht als positive Wende in ihr jetziges Leben sehen.
Gewalt war dort tabu. Das galt auch für die Schwestern - unserer Gruppenschwester ist mal die Hand ausgerutscht, sie hat ein Mädel wg. einer motzigen Antwort geohrfeigt. Das wurde geahndet, die Schwester mußte sich entschuldigen und wurde von der Erziehungsleiterin gestraft (weiß zwar nicht wie, aber das spielte für uns keine Rolle). Ergebnis war: wir haben uns mit der Schwester solidarisiert, darüber hinaus hat uns das auch gezeigt, daß man das Ding mit der Gewaltfreiheit absolut ernst meinte. Schimpfwörter waren verboten, jedes Schimpfwort kostete uns 5 Mark vom Taschengeld, das an Misereor gespendet wurde. Es gab feste Zeiten für alles - jede noch so kleine Übertretung wurde bestraft (kein Fernsehen, keine Zigarette und ähnliches - was eben begehrt war). Es spielte der Grund für Unpünktlichkeit dabei selten eine Rolle, es ging darum, das Ziel "Pünktlichkeit" zu erreichen.
Wir bekamen Aufgaben übertragen, die jede zu erfüllen hatte. Es gab wöchentliche Gruppensitzungen - Gruppendynamik ist nicht zu unterschätzen, ich glaube, vor den anderen gut dazustehen ist für die meisten Jugendlichen fast noch wichtiger als vor den Erwachsenen gut dazustehen. Jedem neuen Mädel wurde eine "Patin" zugeteilt - das waren immer die Mädels, die schon länger im Heim waren, nicht immer die Bravsten - aber sie mußten sich die Ehre, eine Neue zu begleiten, erstmal verdienen.
Gab noch so einige Dinge, die ich eigentlich ziemlich behämmert fand damals, aber es hat funktioniert. Hinter allem - auch das weiß ich erst jetzt wirklich zu schätzen - steckte vor allem das Ernstgenommenwerden, auch darin, daß wir z.T. wirklich aggressive Mädels waren. Man hat uns zwar sanktioniert, eingesperrt, den Tag komplett durchgeplant usw., aber man gab uns auch immer Gelegenheit, uns zu beweisen. Oft nur durch Kleinigkeiten, auf die man stolz sein konnte. Ich glaube überhaupt, daß "Stolz" einer der wichtigsten Knackpunkte war, man wollte einfach nicht als kläglicher Versager vor den anderen dastehen.
Es hat funktioniert, selbst bei den "ganz Harten".
Keine Ahnung, ob sich sowas auf Schulen übertragen läßt, zumal Schulen nicht in sich geschlossen sind - je stärker der Einfluß von "außen" (Elternhaus, TV, was auch immer) ist, umso weniger dürften gruppendynamische Prozesse greifen (jedenfalls hab ich die in "freien" Schulen immer nur in Ansätzen feststellen können). Und da wird's halt schwierig, weil natürlich die Familie primär als Einheit gilt, in die der Staat nur im Ausnahmefall eingreifen darf.