...da wir in einer patriarchalischen kultur leben, geht die strukturelle gewalt der gesellschaftlichen ordnung von den männern auf die frauen. daher ist eine "neutrale" position nicht möglich.
In meinen Augen ist GENAU DAS ein typisches Beispiel für eine ABENDLÄNDISCHE DENKWEISE. Dieser Denkansatz exisitiert in der abendländischen Philosophie seit Heraklit und kommt immer wieder (oft mit der ermüdenden Regelmäßigkeit einer Sommergrippe
). Von Heraklit ist die Aussage "Der Krieg ist der Vater aller Dinge bekannt" - ein Kandidat für den Contest um den Meist-Mißverstandenen-Lehrsatz
Heraklit wollte drauf raus: ein Ding wird erst durch seine Gegenposition existent. Habe ich eine Meinung, ist sie eigentlich SCHEISSEGAL, solange mir niemand widerspricht
SEHR VEREINFACHT. Diese Grundidee zieht sich weiter durch die abendländische Philosophie. Sie findet sich bei Hegels Dialektik, die Marx ja in der ihm typischen (bescheidenen) Art und Weise, wie er sagte, "vom Kopf auf die Beine" gestellt hat
Jedenfalls ist der Gedanke dann in der Weise wirksam: die Geschichte spielt sich auch in einem Ablauf der Gegenpositionen ab. Gibt es Rechtsradikale - na dann muß ich nur ORDENTLICH LINKSRADIKAL SEIN - dann wird alles wieder gut...
Ein Ansatz, der (historisch betrachtet) ja auch super geklappt hat
Die Linke hat Stalin auch in beschämend langer Weise verteidigt, heute tut das nur noch Putin. Im Kern ermöglicht dieser geniale Gedanke, der von Heraklit über unzählige Philosophen, und Hegel und Marx den Weg in unsere Zeit gefunden hat, dass man meint: ein politischer Kampf ist nur dann gescheit geführt, wenn ich FEST GEGEN DIE ANDEREN BIN. Ganz egal, wie vernünftig oder unvernünftig die Position auch ist, die ich einnehme.
Meine Kritik daran ist: durch diese HEILIGSPRECHUNG DER ANTITHESE, mit der ewigen (unhinterfragten) Rechtfertigung, nur so die Synthese zu erreichen, beginnen die beiden Seiten der Konfrontation, sich mehr und mehr zu ähneln. Und, viel mehr noch: sie beginnen sich zu BRAUCHEN. Das ist die Tragik heute. Die Linke BRAUCHT Leute wie Haider oder Strache. Sie gibt vor, diese zu hassen, aber - was wäre sie denn überhaupt ohne diese Leute. Das schlimmste für die Linke, sind Leute, welche sie kritisieren, und die keine alten kryptofaschistischen Nazis sind. Und beim Feminismus ist es ähnlich. Gleichberechtigung ist heute bei uns noch lange nicht erreicht, aber es gibt schon spürbare Erfolge. Und daher besteht die Gefahr, dass der revolutionäre Wille der Frauen erlahmen könnte
Daher BRAUCHEN Feministinnen Feindbilder, sie brauchen einen Fall Brüderle. Und: dieser Fall kann dann auch nicht mit Vernunft und Maß abgehandelt werden. Brüderle muß zu einem Monster gemacht werden. Es ist nicht mehr nur genug, zu sagen, dass er einfach ein älterer, im gestrigen lebender Mann mit einem kruden Frauenbild ist. Er muß zu einem lüsternen, gierigen Sexmonster hochstilisiert werden. Hier in dieser Diskussion wurde z.B. im Zusammenhang mit der Brüderle-Affäre über Grapschen gesprochen. Nur: soweit ich weiß, und da soll mir jetzt einmal wer widersprechen, HAT BRÜDERLE NICHT GEGRAPSCHT, es war ein reiner Austausch von ein paar alkoholgeschwängerten verbalen Fehlschlägen, MEHR WAR NICHT. Der Feind darf aber nicht einfach nur in der Maske des kleinen unmodernen (UND UNINTERESSANTEN) Durchschnittsmenschen daherkommen. Der Feind muß ein BEDROHLICHES MONSTER IN ÜBERGRÖSSE SEIN.
Und, das ist jetzt mein Verdacht, ich bin mir gar nicht sicher, ob alle Feministinnen überhaupt glücklich wären, wenn das Feindbild denn irgendwann ganz weg wäre - was wäre dann aus dem immerwährenden Kampf für die Gerechtigkeit geworden? Die Realität ist viel paradoxer: Feministinnen BRAUCHEN Chauvinisten, denn, die sind eigentlich ihre Existenzberechtigung. Das ist der Pferdefuß und die grundlegende Fehlkonstruktion an der Dialektik. Kommunisten haben vorgegeben, die Kapitalisten zu hassen, sie haben sie aber gebraucht um letztlich sichtbar zu sein. Nach dem Willen der Kommunisten hätte der Kalte Krieg ewig weitergehen können. Und von den Interessen der Arbeiter hat er sich sowieso schon ewig entfernt gehabt.
Und, es ist diese typische europäische Überheblichkeit zu glauben, dass dieses typisch europäische Denkweise der Dialektik ein allgemeines universelles Prinzip sei. In anderen Kulturen ist man schon immer grundlegend andere Wege gegangen. In einigen ostasiatischen Philosophien fehlt die dialektische Denkweise völlig, bzw. und ist durch das "Streben nach Gleichgewicht" ersetzt. Im Grunde sagt man dort, dass eine weltanschauliche Position auch ohne ihre Gegenposition denkbar ist. Der Kreis ist durchbrochen: ich bin sichtbar, auch wenn kein Gegner für mich da ist, dem ich in die Goschen hauen muß. Ich bin trotzdem existent, und von der Pflicht des ewigen Kriegführens und Agitierens befreit.
Eine Position, die für Europäer und Radikale verwirrend und unvorstellbar ist...