S.P.O.N. - Die Spur des Geldes: Bitte, bitte, lasst uns das Bargeld!
Eine Kolumne von Wolfgang Münchau
Eine Welt ohne Bargeld - davon träumen viele Ökonomen. Angeblich lassen sich dann Steuerhinterziehung und Deflation besser bekämpfen. Doch in Wahrheit geht es um etwas anderes.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Modellbauer. Vielleicht bauen Sie Modelle von Flugzeugen oder abstrakte Modelle, zum Beispiel meteorologische. Und jetzt stellen Sie plötzlich fest, dass ihr Modell nicht mehr funktioniert. Was machen Sie?
Es gibt zwei normale Reaktionen, die typisch wären. Die erste ist die sture Weigerung, die neuen Fakten zu akzeptieren. Sie sind nicht der Typ, der ein geliebtes Modell aufgibt, nur weil Flugzeuge inzwischen anders aussehen als früher oder weil ihre Wetterprognosen nicht mehr stimmen.
Eine etwas reifere Reaktion wäre es, die neuen Fakten zu akzeptieren und ihr Modell entsprechend anzupassen.
Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit, unter Ökonomen beliebt. Sie passen Ihr Modell nicht der Realität an, sondern umgekehrt. Die Wirtschaft muss sich ändern, damit das Modell wieder stimmt. Auf diese Idee muss man erst mal kommen.
Ein gutes Beispiel aus jüngster Zeit ist der Vorschlag des amerikanischen Ökonomen Kenneth Rogoff, das Bargeld abzuschaffen. Bargeld ist aus der Sicht eines modellierenden Ökonomen lästig. Man kann es fälschen, man kann damit Steuern hinterziehen, weil es keine elektronischen Spuren hinterlässt.
Vor allem stört Bargeld eine wichtige Annahme der meisten ökonomischen Modelle - dass Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik Kontrolle über die Zinsen haben. Das haben sie nämlich nur dann, wenn die Zinsen und die Inflation positiv sind. Wenn die Inflation fällt, dann können Zentralbanken die Zinsen nur bis auf Null senken und nicht weiter. Einer der wichtigsten Gründe ist das Bargeld. Denn bei negativen Zinsen würden Sparer das Sparkonto plündern und das Geld unter die Matratze stecken. Die Matratze zahlt dann höhere Zinsen als die Bank.
Das ist im Übrigen auch der Grund, warum die Commerzbank und andere Banken die Privatkunden von ihrer Negativ-Zinspolitik ausnehmen. Sie funktioniert bei Normalsparern einfach nicht. Bei größeren Vermögen ist es hingegen einfach, negative Zinsen durchzusetzen, weil die Matratzen schlicht nicht groß genug sind.
Wir mögen das Bargeld
Jetzt fragen Sie sich einmal: Wo wären die Zinsen heute, wenn es kein Bargeld gäbe. Ich würde schätzen: bei minus zwei Prozent. Wir bräuchten dann auch über Wertpapierkäufe der Zentralbanken nicht zu streiten. Die Standardmethode der klassischen Geldpolitik, nämlich die Veränderung der kurzfristigen Zinssätze, würde wieder greifen. Und so ganz nebenbei würden wir Geldwäsche und Steuerhinterziehung beenden. Und am allerwichtigsten überhaupt: Rogoffs ökonomisches Modell wäre gerettet.
Jetzt gibt es da nur einen kleinen Haken. Der sind Sie und ich, liebe Leserinnen und Leser. Wir mögen das Bargeld aus einer ganzen Reihe von Gründen, nicht alle krimineller Natur. Natürlich wollen wir unsere Ersparnisse beschützen, ohne dabei gleich in riskante Wertpapiere investieren zu müssen.
Ohne Bargeld wäre auch die Möglichkeit des Staates, Vermögen zu besteuern, um ein Vielfaches größer. Und Flohmärkte, auf denen fast immer bar gezahlt wird, gäbe es auch nicht. Ohne Konto bei Ebay läuft dann nichts mehr.
Die Entwicklung elektronischer Zahlungssysteme schreitet voran. Sie könnten irgendwann in der Zukunft die Nachfrage nach Bargeld tatsächlich verschwinden lassen. Doch es ist die Nachfrage, die darüber entscheiden wird und kein Ökonom, der sein Modell retten will.
Ein anderer Vorschlag, der in die gleiche Richtung zielt, ist zum Beispiel die Erhöhung des Inflationsziels von den üblichen zwei Prozent auf vier Prozent oder noch höher - was auch den nominalen Zinssatz nach oben treiben würde. Je höher das Inflationsziel, desto länger der Weg zu der gefürchteten Nulllinie, der Punkt, an dem die gängigen ökonomischen Modelle nicht mehr funktionieren. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, die Inflationsziele nach Belieben hin- und herzuschieben. Wir sehen doch gerade die Schwierigkeiten, die die Europäische Zentralbank (EZB) damit hat, ihr gegenwärtiges Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen. Wenn man Inflationsziele beliebig verschiebt, verlieren sie schnell an Glaubwürdigkeit. Die Menschen würden zu Recht vermuten, dass man die Ziele bald wieder verändert, wenn es kommod ist.
Anstatt zu versuchen, die Inflationsziele zu verändern oder das Bargeld abzuschaffen, sollten wir unsere existierenden Probleme ernster nehmen. Die EZB hätte viel früher und viel energischer mit der geldpolitischen Lockerung anfangen müssen. Heute stellt sich die vordringliche Frage, wie wir ein Abdriften in japanische Verhältnisse vermeiden. Wir sollten uns von diesen wichtigen Themen nicht durch störende Scheindebatten ablenken lassen. Die Abschaffung des Bargeldes wird unsere Probleme nicht lösen.
Quelle:
Spiegel Online