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Gast
(Gelöschter Account)
Du musst wissen, dass die Situation, in der Du bist, nicht einfach ist.
Na sowas.
Ja, ich weiß das. Als ich in dem Thread zum Thema Vergewaltigungsfantasien vor einigen Monaten mitdiskutiert hab, erwähnte ich u.a., daß eines der Dinge, die einem Mißbrauchsopfer zugefügt wird, in gewisser Weise auch der Verlust einer "vollständigen Zukunft" ist. Man kann nicht einfach so frei Schnauze erzählen, was einen ausmacht, so wie das jeder tut, wenn er von früheren Erlebnissen erzählt. Man kann über Kindheitserlebnisse erzählen, über Streiche, über nervige Weihnachtsfeiern, aber wenn du so heftige Kindheitserlebnisse hast, kannst du still bleiben oder eben die Leute schockieren. Viel Spielraum bleibt da nicht.
Das soll kein Gejammer sein, du kennst mich ja, so zimperlich bin ich weder in meinen Äußerungen noch im Einstecken (hoffe ich wenigstens). Auf eaglem bin ich "beispielhaft" eingegangen, weil er sich gerade anbot, und weil er eine gewisse "fachliche Kompetenz" angedeutet hat.
Hier im Thread schreiben vergleichsweise wenig Leute, das hat mich kurzfristig sehr verunsichert, aber inzwischen weiß ich, daß sehr viele Leute hier mitlesen, das sehe ich auch an der Resonanz vieler, die sich hier - meist aus eigener Betroffenheit, sei es als früheres Opfer, sei es als jemand, der jemandem helfen will - nicht äußern. Ich verstehe das sehr gut und freu mich, weil bislang kein einziger der Stillen geäußert hat, daß das, was ich hier aufschreibe, zu belastend für ihn wäre. Ist so eine Art "Selbsthilfegruppeneffekt", denke ich. Niemand ist froh, daß jemand anderer ähnlich Schreckliches erlebt hat wie man selbst, aber zu erfahren, daß andere ähnliches erlebt hat und kennt, ist auch erleichternd, man fühlt sich nicht mehr so als "Ausgestoßener" oder Exot. Das ist ein wichtiges Gefühl, finde ich.
Ich hab gelegentlich darunter gelitten, wenn mir von Mitpatienten oder Leuten, die selbst in Schwierigkeiten stecken, gesagt wird: "DU bist aber doch so stark, aber ich kann dies und jenes eben nicht". Gelitten deswegen, weil das sich für mich oft so anhörte, als wäre mein Kummer weniger "wert" als der von Leuten, die zu ihrer Mutter ein schlechtes Verhältnis hatten oder jenen, die sich häßlich fühlen. Objektiv gesehen "kleinere" Probleme als die, die ich zu bewältigen hatte. Subjektiv sind Probleme aber immer belastend, und jeder, der mit etwas Belastendem kämpft, sucht nach Lösungen. Ich mach da inzwischen keine großen Unterschiede mehr, weil ich die Erfahrung gemacht hab, daß mir oft einfach das Erzählen, wie jemand seine Schwierigkeiten gelöst hat, mehr geholfen hat als alles andere.
Mir hat dieser Thread sehr viel gebracht, das Ergebnis übertrifft meine Erwartungen um einiges. Mir sind ein paar Dinge klar geworden, ich konnte einiges geraderücken, ich sehe meinen Bruder endlich in einem realistischeren Licht (wird sich sicher im Lauf der Zeit noch besser einpendeln) und ich hab die Erfahrung machen dürfen, daß mir manche sehr dezent bissl "unter die Arme" gegriffen haben, wenn ich selbst grad nicht klug oder sinnvoll antworten konnte, nicht nur hier im Thread. Finde ich toll, hat mir das Gefühl vermittelt, doch nicht so'n Exot zu sein. Du weißt, was ich gestern gemacht hab, ne? Ich hab angefangen, dieses Thema in mein reales Leben "rüberzuholen", als ich es verlinkt hab. Ob's eine gute Idee war, wird sich zeigen. Ich werd mich nicht mehr verstecken oder verheimlichen.
Diese "Schweigegebote" müssen aufhören. Kindesmißhandlungen, Mißbrauch, familiäre Gewalt sind anders als in meiner Kindheit heute Themen, über die öffentlich gesprochen wird, das schafft Aufmerksamkeit und Schutz. Ich will, daß das noch mehr passiert, weg vom Medienlevel und Kerzerlanzünd-Happenings. Und ich will außerdem, daß nicht ständig davon gefaselt wird, es wäre immer von Tätern die Rede, während von den Opfern keiner redet.