Vergebung, Aussöhnung. Verzeihen können. Taucht immer wieder auf im Zusammenhang mit Verletzungen.
Ich wurde kürzlich gefragt, wie es sein könne, daß ich mich mit meiner Pflegemutter habe aussöhnen können, wo doch die Verletzungen durch sie viel massiver, gezielter, bösartiger waren als die durch meinen Bruder. Es ist nach wie vor so: ich hab mich mit ihr ausgesöhnt, in mir drin. Wenn ich an sie denke, dann empfinde ich manchmal so eine Art unpersönliches Bedauern für sie und ihr Leben. Nichts mehr da von all dem Haß, der Verzweiflung und der Angst vor ihr. Nicht mal jetzt, wo alte Erinnerungen hochgekocht sind und ich neue Zusammenhänge erkannt hab.
Ich mußte beim Lesen dieses Themas und jetzt wieder bei deinem Beitrag, @eiskristall, an meinen ersten Psychologen denken. Diesen komischen Vogel, der in einer unserer ersten Sitzungen so darauf bestanden hat, daß ich beim Tod meiner Mutter getrauert haben müsse. Der hat noch mehr so Schoten geliefert. Eine davon war: erklärtes Therapieziel müsse sein, daß ich all den Leuten aus meiner Kinderzeit verzeihen müsse.
Bin dem damals fast an die Gurgel gehüpft. Ich war grad dabei, so nach und nach die Erinnerungen an meine Kindheit überhaupt erst wiederzufinden und das war ziemlich schrecklich. Und der wollte mir was von Verzeihen erzählen.
Aussöhnung, Vergebung, das ist ja auch im Verlauf dieses Threads öfter aufgetaucht. Ich weiß, daß es diese Aussöhnung gibt, weil ich sie nicht nur meiner Pflegemutter gegenüber gefunden hab.
Und ich war gottfroh, daß es Stimmen gab (die wollen nicht gelobt werden, also laß ich das jetzt
) die dagegengehalten haben, daß das letzte, was ich grad brauchen kann, Verständnis oder Verzeihen gegenüber meinem Bruder wäre. Mein Kopf hat da gleich selbst Jaaa, aaaber! sagen wollen, aber sie haben Recht. Meine Pflegemutter hab ich gehaßt, ich hätte sie zerfleischen können, verbrennen, häuten, vierteilen! Irgendwann hörte das auf. Irgendwann kamen Tränen, ich hab nicht richtig weinen können und identifizieren konnte ich das Ganze auch nicht. Denk mal, das war Trauer.
Wie auch immer, irgendwann war das ausgestanden, ohne daß von ihrer Seite je Einsicht oder ehrliches Bedauern dagewesen wäre. Ich verstehe, was die Frau gemacht hat und warum sie's gemacht hat. Verziehen hab ich ihr nie, aber mich innerlich mit ihr ausgesöhnt.
Vielleicht muß das so sein. Verzeihen würde für mich bedeuten, Dinge, die nicht entschuldbar sind, zu entschuldigen. Vielleicht können das manche, ich nicht. Aber ich hab auch nicht das Gefühl, daß das nötig ist.
In der letzten Zeit hab ich neben all dem Gefühlschaos immer wieder so ein heftiges Gefühl von Trauer gespürt. Eigentlich war ich immer überzeugt, daß ich nicht trauern kann, zumindest konnte ich mich nicht erinnern, jemals getrauert zu haben. Als mir die Geschichte mit meinem Bruder so massiv hochgestiegen ist, gab's so 'nen Sog und ich dachte, jetzt endlich kommt der Teil, ich dachte, das müßte der Abschluß sein, auf den ich so hingearbeitet hab über die Jahre, und es gibt ja wirklich viele echte Tote und ein paar lebende Leichen zu betrauern.
Naja, und dann wurde meine Wut immer größer und das Entsetzen.
Ich glaube, es braucht kein Gegenüber, das Einsicht zeigt. Es würde helfen, aber ich glaube, die innere Aussöhnung muß sowieso in einem selbst passieren. Wenn Wut oder Verletzungen oder Enttäuschungen oder Betrug da sind, wie sollte denn da ein Eingeständnis helfen können? Wenn Vertrauen erschüttert worden ist?
Ich glaub, Wut muß sein. Irgendwann legt die sich auch wieder. Und irgendwann kommt auch das erschütterte Selbstvertrauen wieder zurück. Das isses ja, was eigentlich weh tut, oder nicht? Man zweifelt so an sich selbst.
Wut ist schon in Ordnung, und Trauer auch, denke ich. Schließlich muß man sich ja trennen, ob das jetzt von Idealvorstellungen ist, wie ich sie mir über meinen Bruder gemacht hab, oder von Irrtümern, von Verletzungen oder von Toten. Irgendwas muß man immer loslassen und das erstmal verkraften. Das kann ganz schön weh tun, mir jedenfalls. Da hab ich für Aussöhnung ehrlich gesagt so überhaupt keinen Sinn im Moment.
Abschiede tun einfach saumäßig weh.