F
Gast
(Gelöschter Account)
Ich will jetzt zu Themen kommen, die nicht so „positiv“ ankommen werden. Macht aber nix, sie machen mich auch aus.
Dazu erstmal eine Geschichte.
Als ich in meine erste „richtige“ Therapie ging, war ich ein richtiges Wrack. Das wußte ich, das wußten der überweisende Arzt und der erste Psychologe in einer psychosozialen Einrichtung nicht so richtig, ich hab's ihnen verheimlicht. Meine erste Diagnose, mit der ich in die Klinik überwiesen wurde, lautete: „reaktive Depressionen“. Relativ harmlos gemessen an dem, was wirklich mit mir los war.
Als ich also in die Klinik ging – war nicht leicht, dort einen Platz zu kriegen, es war zu der Zeit die einzige psychoanalytisch ausgerichtete Klinik in Deutschland, und ich wollte unbedingt dort hin, weil ich keine Psychopharmaka nehmen wollte – war mir schon klar, daß ich in gewisser Weise unter „Halbmast“ dort eingerückt bin. Wie auch immer, darauf komme ich später zurück. Was ich erzählen will:
es gab dort etwas mehr als 100 Patienten mit den unterschiedlichsten neurotischen Störungen, die es so gibt. Es gab Gruppen- und Einzeltherapien, ich bekam einen Einzeltherapieplatz, weil ich mit meiner Biografie in Gruppen aufgewachsen war. Ich hab mich dort sehr schnell eingelebt, vielleicht nachvollziehbar: so ein Klinikalltag ist ähnlich institutionalisiert wie Heimeinrichtungen, Gefängnisse, Internate usw. - soll nicht zynisch klingen, bestimmte „Dynamiken“ kommen in allen diesen Einrichtungen vor (ja, ich war als Jugendliche auch mal im Knast, ich kann das beurteilen).
Wie überall, bildeten sich sehr schnell Gruppen, Cliquen und Liebesverhältnisse dort. Ich war inzwischen gewohnt, mir die „tonangebende“ Clique herauszusuchen und binnen kurzer Zeit „meinen Platz“ darin einzunehmen – nie als Leader, immer als Mitglied ohne spezielle „Einzelbindung“, sprich: respektiert, aber nicht „gebunden“.
Bald hatte ich raus, daß diejenigen, die „stark“ wirkten, zwar tonangebend waren, diejenigen aber, die „schwach“ waren, am meisten Hilfe von Therapeutenseite bekamen. Das waren diejenigen, die sich das Gesicht blutig kratzten, mit Rasierklingen an sich rumschnippelten oder andere „spektakuläre“ und vor allem sichtbare Symptome hatten. Ich bekam relativ wenig Zuwendung außerhalb der Therapiestunden. Also ging ich los, kaufte mir Rasierklingen und fing an, mir die Arme zu zerschneiden.
Einer meiner ersten „Therapieerfolge“.
Es tat nicht besonders weh, gab aber 'ne ziemliche Sauerei. Und weil's mir danach tierisch peinlich war, verband ich mir die Schnitte, lief in den folgenden Tagen langärmelig rum und vermied es, daß jemand diese peinliche Blödsinnsnummer mitkriegt.
Dumm gelaufen trotzdem: bei der Schneiderei war ich in einen merkwürdigen Zustand geraten, Herzrasen bis in die Ohren und dann ein Gefühl, high zu sein. Das hatte sich gut angefühlt. Also probierte ich das bald wieder, und bevor ich merkte, was ich da trieb, war ich direkt süchtig danach.
Schmerzen hatte ich dabei keine, „schön“ fand ich die Schnitte auch nicht – sah wirklich Scheiße aus, weil ich immer so viel und tief schnitt, bis an den Unterarmen kein Stück heile Haut mehr zu sehen war. Natürlich kam man mir drauf, wir mußten wöchentlich zur ärztlichen Untersuchung, und damit hatte ich „meine“ Aufmerksamkeit: mir wurde auferlegt, mich immer nach so einer Schneide-Orgie beim Arzt zu melden, damit er die Schnitte klammern konnte. Hab ich auch brav gemacht. War meine erste „Trickserei“, mit der ich meine vielen Therapeuten bei Laune gehalten hab, während ich mich um meine eigentlichen Probleme zu kümmern versuchte, die ich weder mitteilen wollte noch konnte.
Ich sag's bewußt so deutlich: die ersten ca. 10 oder noch mehr Jahre Therapien (so genau kann ich das nicht mehr einordnen) waren Beschiß. Nicht ausschließlich mit dieser Absicht, nicht ausschließlich so bewußt, wie ich das heute sehe, nicht ausschließlich Selbstbetrug – ich habe trotzdem während dieser Zeit sehr viel aus den Therapien für mich an Wegen zurück ins Leben herausholen können, das wäre ohne die meistens ziemlich guten, manchmal auch ziemlich unfähigen Therapeuten nicht möglich gewesen. Ich habe da selten einen Unterschied gemacht, auch die „schlechten“ Therapeuten haben mir letzten Endes immer weitergeholfen, wenn es auch 1, 2 mal ziemlich haarig war und mich das Leben hätte kosten können.
Ich will das ungeschönt erzählen, aus zweierlei Gründen: ich weiß, daß viele glauben, eine Therapie wäre der Weisheit letzter Schluß, wenn es um schwerwiegende Probleme geht. Ich bestätige das, Therapien können gut helfen. Aber: wer mit der Erwartung, es werde einem vom guten Papa oder der guten Mama Therapeut fein geholfen und irgendwann sei dann alles wieder gut, der irrt. Das möchte ich vermitteln. Nahezu jeder, der mir im Lauf der Jahre als „Mitpatient“ begegnet ist, hat ein außerordentlich feines Gespür für Stimmungen und Erwartungen der Therapeuten. Fachleute werden wissen, was damit gemeint ist. Die meisten Therapeuten, mit denen ich zu tun hatte, WOLLEN auch helfen. Helfen wollen ist ein Bedürfnis, und daran ist nichts verkehrt. Dumm aber: als Hilfesuchender „liest“ man jede noch so feine Erwartungshaltung aus dem Therapeuten heraus und versucht sie zu erfüllen – ähnlich wie als Kind, wo man abhängig war von den Leuten, die meistens für die Probleme ursächlich waren.
Therapeuten ist das zwar bewußt, in der klassischen Psychoanalyse hat man das z.B. zu unterbinden versucht, indem der Analytiker am Kopfende der Couch saß, während der Patient so auf der Couch lag, daß er den Analytiker nicht sehen kann. In den heute gängigen Therapieformen sitzt man sich meist mehr oder weniger direkt gegenüber.
Damit will ich nicht sagen, daß Therapien generell bedenklich sind. Im Zusammenhang mit Mißbrauchserlebnissen halte ich aber genau das für besonders wichtig, weil: sexueller Mißbrauch hat nur vordergründig „sexuelle Störungen“ zur Folge, die eigentlich viel tiefer liegenden Verletzungen liegen in dem Bereich, daß man als Betroffene(r) nicht mehr eindeutig die eigenen Grenzen, Bedürfnisse, Wahrnehmungen zuordnen kann. Ich konnte das sehr schwer, zeitweise fast überhaupt nicht, Emotionen und Erwartungen anderer haben im direkten Kontakt meine eigenen so überlagert, daß ich mich selbst überhaupt nicht spüren konnte. Meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle habe ich früher überhaupt erst Tage später wieder wahrgenommen. Und fühlte mich dann erneut emotional mißbraucht.
Das ist nicht bei allen so extrem ausgeprägt, wie das bei mir der Fall war, jedes Opfer entwickelt ja eigene, individuell z.T. sehr unterschiedliche Bewältigungsstrategien. Aber das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr, wenn man meint, Mißbrauchsopfern ohne entsprechende Ausbildung helfen zu können. Ratschläge, zu Therapien drängen und was es da alles gibt, kann sehr schnell ins Gegenteil kippen, gerade wenn das Gefühl, zu etwas gedrängt worden zu sein, erst mit Zeitverzögerung auftaucht (muß mal sehen, ob ich pickats sehr guten Beitrag – glaub aus 2005 oder so – wiederfinde, sie hat das mit weniger Text als ich sehr gut beschreiben können).
Das ist der Grund, warum ich verschiedentlich so gallig reagiere, wenn ich lese oder mitkriege, daß manche – vielleicht sogar mit den besten Absichten – glauben, mit grenzüberschreitenden Mitteln wirklich helfen zu können. Es KANN hilfreich sein in Einzelfällen. Aber ich habe selbst bei professionell sehr guten Therapeuten schon miterlebt, daß sie manchmal Jahre später sich plötzlich dem Vorwurf des erneuten Mißbrauchs ausgesetzt sahen. Muß ja nicht sein.
Hier ist der erwähnte Link (danke für's Zusenden ):
http://www.erotikforum.at/sex-talk....hr-rat-vergewaltigung.15305-seite3#post146261
Dazu erstmal eine Geschichte.
Als ich in meine erste „richtige“ Therapie ging, war ich ein richtiges Wrack. Das wußte ich, das wußten der überweisende Arzt und der erste Psychologe in einer psychosozialen Einrichtung nicht so richtig, ich hab's ihnen verheimlicht. Meine erste Diagnose, mit der ich in die Klinik überwiesen wurde, lautete: „reaktive Depressionen“. Relativ harmlos gemessen an dem, was wirklich mit mir los war.
Als ich also in die Klinik ging – war nicht leicht, dort einen Platz zu kriegen, es war zu der Zeit die einzige psychoanalytisch ausgerichtete Klinik in Deutschland, und ich wollte unbedingt dort hin, weil ich keine Psychopharmaka nehmen wollte – war mir schon klar, daß ich in gewisser Weise unter „Halbmast“ dort eingerückt bin. Wie auch immer, darauf komme ich später zurück. Was ich erzählen will:
es gab dort etwas mehr als 100 Patienten mit den unterschiedlichsten neurotischen Störungen, die es so gibt. Es gab Gruppen- und Einzeltherapien, ich bekam einen Einzeltherapieplatz, weil ich mit meiner Biografie in Gruppen aufgewachsen war. Ich hab mich dort sehr schnell eingelebt, vielleicht nachvollziehbar: so ein Klinikalltag ist ähnlich institutionalisiert wie Heimeinrichtungen, Gefängnisse, Internate usw. - soll nicht zynisch klingen, bestimmte „Dynamiken“ kommen in allen diesen Einrichtungen vor (ja, ich war als Jugendliche auch mal im Knast, ich kann das beurteilen).
Wie überall, bildeten sich sehr schnell Gruppen, Cliquen und Liebesverhältnisse dort. Ich war inzwischen gewohnt, mir die „tonangebende“ Clique herauszusuchen und binnen kurzer Zeit „meinen Platz“ darin einzunehmen – nie als Leader, immer als Mitglied ohne spezielle „Einzelbindung“, sprich: respektiert, aber nicht „gebunden“.
Bald hatte ich raus, daß diejenigen, die „stark“ wirkten, zwar tonangebend waren, diejenigen aber, die „schwach“ waren, am meisten Hilfe von Therapeutenseite bekamen. Das waren diejenigen, die sich das Gesicht blutig kratzten, mit Rasierklingen an sich rumschnippelten oder andere „spektakuläre“ und vor allem sichtbare Symptome hatten. Ich bekam relativ wenig Zuwendung außerhalb der Therapiestunden. Also ging ich los, kaufte mir Rasierklingen und fing an, mir die Arme zu zerschneiden.
Einer meiner ersten „Therapieerfolge“.
Es tat nicht besonders weh, gab aber 'ne ziemliche Sauerei. Und weil's mir danach tierisch peinlich war, verband ich mir die Schnitte, lief in den folgenden Tagen langärmelig rum und vermied es, daß jemand diese peinliche Blödsinnsnummer mitkriegt.
Dumm gelaufen trotzdem: bei der Schneiderei war ich in einen merkwürdigen Zustand geraten, Herzrasen bis in die Ohren und dann ein Gefühl, high zu sein. Das hatte sich gut angefühlt. Also probierte ich das bald wieder, und bevor ich merkte, was ich da trieb, war ich direkt süchtig danach.
Schmerzen hatte ich dabei keine, „schön“ fand ich die Schnitte auch nicht – sah wirklich Scheiße aus, weil ich immer so viel und tief schnitt, bis an den Unterarmen kein Stück heile Haut mehr zu sehen war. Natürlich kam man mir drauf, wir mußten wöchentlich zur ärztlichen Untersuchung, und damit hatte ich „meine“ Aufmerksamkeit: mir wurde auferlegt, mich immer nach so einer Schneide-Orgie beim Arzt zu melden, damit er die Schnitte klammern konnte. Hab ich auch brav gemacht. War meine erste „Trickserei“, mit der ich meine vielen Therapeuten bei Laune gehalten hab, während ich mich um meine eigentlichen Probleme zu kümmern versuchte, die ich weder mitteilen wollte noch konnte.
Ich sag's bewußt so deutlich: die ersten ca. 10 oder noch mehr Jahre Therapien (so genau kann ich das nicht mehr einordnen) waren Beschiß. Nicht ausschließlich mit dieser Absicht, nicht ausschließlich so bewußt, wie ich das heute sehe, nicht ausschließlich Selbstbetrug – ich habe trotzdem während dieser Zeit sehr viel aus den Therapien für mich an Wegen zurück ins Leben herausholen können, das wäre ohne die meistens ziemlich guten, manchmal auch ziemlich unfähigen Therapeuten nicht möglich gewesen. Ich habe da selten einen Unterschied gemacht, auch die „schlechten“ Therapeuten haben mir letzten Endes immer weitergeholfen, wenn es auch 1, 2 mal ziemlich haarig war und mich das Leben hätte kosten können.
Ich will das ungeschönt erzählen, aus zweierlei Gründen: ich weiß, daß viele glauben, eine Therapie wäre der Weisheit letzter Schluß, wenn es um schwerwiegende Probleme geht. Ich bestätige das, Therapien können gut helfen. Aber: wer mit der Erwartung, es werde einem vom guten Papa oder der guten Mama Therapeut fein geholfen und irgendwann sei dann alles wieder gut, der irrt. Das möchte ich vermitteln. Nahezu jeder, der mir im Lauf der Jahre als „Mitpatient“ begegnet ist, hat ein außerordentlich feines Gespür für Stimmungen und Erwartungen der Therapeuten. Fachleute werden wissen, was damit gemeint ist. Die meisten Therapeuten, mit denen ich zu tun hatte, WOLLEN auch helfen. Helfen wollen ist ein Bedürfnis, und daran ist nichts verkehrt. Dumm aber: als Hilfesuchender „liest“ man jede noch so feine Erwartungshaltung aus dem Therapeuten heraus und versucht sie zu erfüllen – ähnlich wie als Kind, wo man abhängig war von den Leuten, die meistens für die Probleme ursächlich waren.
Therapeuten ist das zwar bewußt, in der klassischen Psychoanalyse hat man das z.B. zu unterbinden versucht, indem der Analytiker am Kopfende der Couch saß, während der Patient so auf der Couch lag, daß er den Analytiker nicht sehen kann. In den heute gängigen Therapieformen sitzt man sich meist mehr oder weniger direkt gegenüber.
Damit will ich nicht sagen, daß Therapien generell bedenklich sind. Im Zusammenhang mit Mißbrauchserlebnissen halte ich aber genau das für besonders wichtig, weil: sexueller Mißbrauch hat nur vordergründig „sexuelle Störungen“ zur Folge, die eigentlich viel tiefer liegenden Verletzungen liegen in dem Bereich, daß man als Betroffene(r) nicht mehr eindeutig die eigenen Grenzen, Bedürfnisse, Wahrnehmungen zuordnen kann. Ich konnte das sehr schwer, zeitweise fast überhaupt nicht, Emotionen und Erwartungen anderer haben im direkten Kontakt meine eigenen so überlagert, daß ich mich selbst überhaupt nicht spüren konnte. Meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle habe ich früher überhaupt erst Tage später wieder wahrgenommen. Und fühlte mich dann erneut emotional mißbraucht.
Das ist nicht bei allen so extrem ausgeprägt, wie das bei mir der Fall war, jedes Opfer entwickelt ja eigene, individuell z.T. sehr unterschiedliche Bewältigungsstrategien. Aber das ist aus meiner Sicht die größte Gefahr, wenn man meint, Mißbrauchsopfern ohne entsprechende Ausbildung helfen zu können. Ratschläge, zu Therapien drängen und was es da alles gibt, kann sehr schnell ins Gegenteil kippen, gerade wenn das Gefühl, zu etwas gedrängt worden zu sein, erst mit Zeitverzögerung auftaucht (muß mal sehen, ob ich pickats sehr guten Beitrag – glaub aus 2005 oder so – wiederfinde, sie hat das mit weniger Text als ich sehr gut beschreiben können).
Das ist der Grund, warum ich verschiedentlich so gallig reagiere, wenn ich lese oder mitkriege, daß manche – vielleicht sogar mit den besten Absichten – glauben, mit grenzüberschreitenden Mitteln wirklich helfen zu können. Es KANN hilfreich sein in Einzelfällen. Aber ich habe selbst bei professionell sehr guten Therapeuten schon miterlebt, daß sie manchmal Jahre später sich plötzlich dem Vorwurf des erneuten Mißbrauchs ausgesetzt sahen. Muß ja nicht sein.
Hier ist der erwähnte Link (danke für's Zusenden ):
http://www.erotikforum.at/sex-talk....hr-rat-vergewaltigung.15305-seite3#post146261
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