Büchels Arbeit beruht nicht auf der Herstellung des klassischen Kunstwerkes an sich sondern auf der Evozierung einer Meta-Ebene -- nämlich der Kunstdiskussion, der Frage "Was ist Kunst überhaupt"
Unsere persönliche Definition "Kunst ist Handwerk mit Vision" stößt dabei an Grenzen. Die Auslotung von Grenzen wiederum ist Teil des modernen Kunstbegriffes.
Büchels Werke, wie beispielsweise ein Wettsalon im Museum oder auch ein nachgebauter Supermarkt hätten in einer wirklich freien Gesellschaft zumindest größere Aufregungen verursachen können wie ein Swingerclub - immerhin hängen in Büchels Ausstellung in der Secession sogar Bilder. Erotik ist darüber hinaus thematisch dem klassischen Kunstbegriff näher als beispielsweise Sportwetten oder der Verkauf von Diskont-Käse. Was ist letztendlich aus philosophischer und ethischer Sicht skandalöser: ein Ort, an dem sich Menschen freiwillig treffen um ihrer Lust nachzugehen und um ihre Sexualität nach ihren Vorstellungen ausleben zu können oder ein Ort, wo um Geld gezockt wird?
Trotzdem scheint die (mediale) Aufregung bei einem Swingerclub größer zu sein und es lohnt sich nachzudenken und auszusprechen, warum das so ist.
Wenn man eine Auflistung der Kunstskandale des letzten Jahrhunderts betrachtet fällt auf, daß mit Ausnahme von "ready mades" á la Marcel Duchamp die Mehrzahl in Verbindung mit Sexualität bzw. Erotik steht.
Festzuhalten ist, daß generell Erotik und Sexualität mit Unrechtmäßgkeit, Schuld, Gewissen, Pflicht, Macht und Besitzdenken verwoben werden oder auch Kindern als "schweinisch" und "schmutzig" anerzogen werden, als etwas verbotenes, das nur im Nachtschatten des Verborgenen blühen darf. Schon aus diesen Gründen scheint es klar, daß von öffentlicher Hand keinesfalls eine Billigung, ja schon Gott bewahre gar nicht eine finazielle Förderung gewährt werden darf. Dies übrigens im Gegensatz zu ebenfalls aus öffentlicher Hand geförderten und mitunter dubiosen politischen und sonstigen Vereinen oder Organisationen, bei denen niemals sichergestellt werden kann, ob nicht der eine oder andere Euro im Strumpfband einer Stripperin landet (um eine linde Form von käuflicher Erotik beispielhaft für andere zu nennen). Jedoch scheint bislang eines der Axiome für eine Förderung von Politik, Kunst, Sport und sonstigen Vereinen zu sein, daß Erotik bestenfalls in der sicheren Distanz der Betrachtung und Sexualität allenfalls in hygienisch/klinischer Form vorkommen darf, alles andere wäre Verschwendung von Steuergeld und infolgedessen ein Skandal.
Mit der Darstellung des Raumes, der allein zur Anbahnung sexueller Handlungen dient, die außerhalb gängiger Moralvorstellungen liegen, bringt Büchel die Welt der Kunstförderung in eine interessante Schräglage.
Finanziell gefördert als Kunstobjekt wird in der Secession nicht die herkömmliche Distanz zu fremder Erotik sondern im Gegenteil die Möglichkeit des Eindringens des Kunstbetrachters in die eigene sexuelle Phantasie durch das Eindringen in einen Ort, der für diesen Zweck geschaffen wurde. Symbolischerweise erfolgt der Zugang nicht durch das Haupt-Portal, der breite Aufgang vom Naschmarkt, sondern durch einen schmalen Seiteneingang, der nach unten, ins Unterbewußte des Betrachters, in sein kulturell Unbewußtes und im Alltag Verdrängtes führt.
Die Teilnahme des Kunstbetrachters ist zwar nicht ausdrücklich erwünscht, aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen, wie es zum Beispiel eine Absperr-Kordel in einer typischen Kunstausstellung symbolisieren würde.
Während in der gängigen Kunstdiskussion die Sexualität und Erotik nur in der Betrachtung derselben denkbar ist, überschreitet sie hier durch den Gang in den Keller, nach unten, die Grenze zum eigenen Eros, zur eigenen Sexualität, auch in der Meta-Ebene der damit angeregten Kunstdiskussion findet diese Überschreitung statt.
Das kann für den Kunst- und vor allem für den Förderungsbetrieb, aber auch für die Stammtisch-Politik als vage Bedrohung empfunden werden, da ein Standpunkt zu diesem Projekt auch jenseits der Sprachlosigkeit und eine wahrhaftige Stellugnnahme zur eigenen Sexualität erfordert ist.
Daß es überhaupt zur Realisierung dieses Projekts gekommen ist, zeigt daß die österreichsiche Kunstszene sich dieser Herausforderung mit Bravour gestellt hat.
Sexualität und Erotik ist der Inbegriff des Privaten.
Die Unterdrückung der Sexualität gilt als über Jahrtausende erprobtes und zuverlässiges Machtinstrument, das tief ins Private eingreift.
Die Sublimierung von Sexualität in Kunst und Kulturleistungen gilt spätestens seit Freud als unverzichtbar für unseren kulturellen Fortschritt.
Das Magma des Eros sucht trotzdem und unmißverständlich seinen Weg:
Als erotische Verbrämung, als erdbebenartiges Drama von Leidenschaft und Gewalt oder als orgiastische Eruption der frei gelebten Sexualität.
Die Jahrtausende durchexerzierter "Macht durch Unterdrückung" gehen an letzterem, der frei gelebten Sexualität, nicht spurlos vorbei. Foren wie diese hier existieren in teilweiser Anonymität, da sich Menschen, deren sexuellen Ideale weit über die streng monogame bürgerlich-katholische Paarbeziehung hinausgehen genauso ungern outen wie in manchen Kulturen oder in manchen Zeiten Homosexuelle. Noch heute gibt es Länder, in denen auf das eine wie das andere gerichtlich vollstreckbare Strafen stehen.
Das 17. bis 18 Jahrhundert in Frankreich (zugegebenermaßen nur bei der herrschenden Klasse) und die Antike (zugegebenermaßen ebenfalls nur die herrschende Klasse) war, bei allen uns bewußten gesellschaflichen Problemen, möglicherweise genauso freizügig wie wir, wenn nicht sogar fortgeschrittener was das Ausleben von erotischen Phantasien betrifft.
Frauen, die mit mehreren Partnern verkehren wollen, sind heute wie immer schon schnell Schlampen und Nutten. Bei Männern ist man etwas gnädiger, da Leistung ein männliches Attribut ist und dieses in der Sexualität gewürdigt wird.
Wenn Sexualität, in aller gesunden Naivität ausgelebt, ein Problem darstellt, ist es nicht die Sexualität, die problematisch ist sondern die Gesellschaft, in der das Problem steckt. Wir denken, daß ein Forum die dieses genau wie Büchel Beiträge zu diesem Thema leistet.
Wir denken, daß Sexualität heute immer noch in ein enges Korsett gezwängt ist und daß die uns überall umgebende kommerzielle Veröffentlichung von erotischem Material die Illusion verstärkt, daß wir frei sind, wenn wir uns, aus verständlichen Gründen, lieber unerkannt ausleben können oder wollen, um uns nicht verwundbar für kompromittierende Attacken auf unser Privatleben zu machen.
Wir denken, daß Versuche, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen skandalös sind und daß genau das Büchels Beitrag sein könnte.
Weitere Beiträge zum Thema Erotik und Kunst sind hier zu finden:
http://d-sites.net/english/eroteye.htm