Weiblichkeit ????

So, ich will mal versuchen, meine Eindrücke und Schlußfolgerungen aufzuschreiben. Wenn wir damit nicht zur Übereinstimmung finden (muß m.E. ja auch nicht, Dynamik und damit Weiterentwicklung hat noch nie in kollektivem Einvernehmen stattgefunden :lol:) kann's ja vielleicht hier und da anregen.


Ich weiß jetzt nicht genau, wie du "Geschlechtsidentität" definierst, und was deine Probleme damit sind/waren.

Zunächst: Probleme solcherart, wie sie bei Leuten mit meinem Hintergrund nicht ungewöhnlich sind. Wenn du von klein auf mitkriegst, daß Mann groß, stark, laut und mit mächtigen Fäusten ausgestattet ist und Frau damit beliebig zu Brei geschlagen werden kann, wirst du dich nicht unbedingt mit dem Brei identifizieren wollen.

Wenn - auf andere Weise, als von Morathi geschildert - ein sich entwickelndes Mädchen sich stundenlang nackt vor dem Spiegel ansehen muß, wie "abartig, widerwärtig, männerauffordernd" ihre Gestalt wirkt, weil sie anfängt, Brüste zu kriegen, dann wird es sich nicht gerne als weiblich empfinden. Wenn's dann noch einerseits verfügbares Objekt, andererseits aber mit eigenen sexuellen Empfindungen konfrontiert ist, wird's schwierig, überhaupt noch 'ne Position zu finden, weil irgendwie alle Wege verbaut sind.

So in dem Alter 12 - 14 etwa bekam ich neben so Spitznamen wie "Atombombe" (von außen) fast ausschließlich Männerklamotten. Weniger wegen ihres pragmatischen Nutzens, sondern um meine sich entwickelnde Weiblichkeit - weicher Körper, Busen usw. - lächerlich zu machen, mir sollte meine "ererbte Hurenhaftigkeit" ausgetrieben werden.

Folge: ich hab mich zunehmend männlich identifiziert (weiß ich heute im Rückblick, damals war mir das nicht bewußt). War Schläger, stärker als die meisten Jungs in meiner Altersgruppe. Verarscht wurde ich als Mädchen, gewehrt hab ich mich immer auf Jugenebene. Geträumt hab ich gelegentlich auch "Mädchenträume" - ich wär gerne 'ne Grace Kelly geworden :mrgreen: und war als Torwart 'ne echte Pfeife. Höchst irritierend, das Ganze.

So mit Anfang, Mitte 20 - nach der Beziehung mit meinem ersten Freund, wurde mir klar, daß ich Frauen sehr anziehend finde. Ich bin dann relativ bald in die "Szene" eingestiegen, hatte meine Liebeleien (Frauen hab ich selten ernst genug genommen, um mit ihnen eine dauerhafte Beziehung einzugehen - viel zu diffuse Signale für meinen Geschmack) und empfand mich bald als "100-pro-Lesbe". Und ich lebte dann auch so: Geoutet, aktiv in der "Szene", bissl politisch aktiv (nicht sehr), auch journalistisch (die typischen Szene-Blattln, nix Großartiges, aber damit war ich "wer"), beruflich und privat sowieso geoutet, und zwar absolut. Freundinnenkreis, wohnen im Gayviertel, Freizeitaktivitäten fast ausschließlich in dem Umfeld, Einkaufen im Frauenbuchladen und Treffen in feministisch-lesbischen Zentren, Ausgehen in Frauenkneipen und gelegentlich - sozusagen nachbarschaftliche Kontaktpflege - in Schwulenlokale. So eben.

Die Wahrnehmung verändert sich. "Feste Rollenvorgaben" - um die geht's ja hier - sind nicht mehr fix. Anders, als viele Außenstehende meinen, kommt die klassische "wer ist denn bei euch der Kerl?"-Rollenverteilung in lesbischen Beziehungen nicht sehr häufig vor. Da gibt es natürlich "Butches" und "Femmes", da findest du Paare, bei denen beide sehr androgyn oder beide ausgesprocen feminin-gestylt daherkommen, oder solche, wo Püppi in Pumps für's Motorradl und Regalaufbau zuständig ist, während das herbe Lederweib die Katzen füttert und Socken strickt.

Will sagen: das, was als "geschlechtsspezifische" Eigenschaft so landläufig gilt, ist in dem Umfeld überhaupt nicht mehr eindeutig zuzuordnen, und ich hab's sehr genossen. Ich fand's sehr entspannend, nicht erklären oder begründen zu müssen, warum ich mich nicht sonderlich weiblich bewege (ganz einfache Erklärung: ich vergesse es ständig, wenn ich einen weiblichen Gang auflege, knick ich um oder renn vor lauter Konzentration gegen den nächsten Laternenmast :mrgreen:) und ob ich nun mit Nadel und Faden fein umgehe oder Dübel in 'ne Betonwand bringe: ist ok, wird nicht hinterfragt.

Auf den ersten udn zweiten Blick zumindest. Aber auch: Diskussionen. Wer ist die "echteste" Lesbe, die, die schon als Kind Vadderns Mercedes getunt hat? Oder jene, die "immer schon" Fußballerin war? Oder doch diejenige, die schon im Kinderbettchen in Brüderleins Kinderbett rübergekotzt hat?

Bissl überspitzt formuliert, aber solche "Wettbewerbe" sind da mitunter sehr ausgeprägt. Und die andere Seite genauso: "Ich bin lesbisch, weil ich mißbraucht/vergewaltigt/geprügelt" worden bin. Beschissene Motivation für eine sexuelle Orientierung, fand ich immer.

So, war bissl weitschweifig... was mich konkret in dem Zusammenhang nachdenklich werden ließ, waren einzelne "Aha"-Erlebnisse. Eine Fernsehsendung, in der Maria Sabine Augstein über ihre geschlechtsangleichende OP berichtete und darüber, daß sie jetzt lesbisch lebt. Ich war ganz aufgewühlt und dachte, ich könne mich dann ja endlich auch umoperieren lassen. Bis mir dann aufging: öy, ich bin doch schon Frau, was soll der Kack?

Oder die Freundin, die nach mehreren Vorgesprächen und Gutachten keine Kostenübernahme für ihre Anpassung Frau-zu-Mann bekam. Sie hat sich illegal Testosteron besorgt und wurde immer "männlicher" - Stimme, Gehabe, v.a. Aggressionspotential. Hab bis heute nicht rausgefunden, was davon Gehabe und was hormonell beeinflußt war. Die echte Transsexuelle hab ich ihr nie abgenommen, obwohl ich ein paar wesentlich "männlicher" wirkende TS kannte, die einfach Frau waren, egal ob da noch ein Schwanz war oder nicht.

Die Wirtin einer Lesbenkneipe, die rigoros TS aus ihrem Lokal geworfen hat, weil sie keine "echten" Frauen waren (sie selbst hätte man leicht für einen Kerl halten können).

Immer mehr hab ich mich gefragt: was davon ist jetzt "echt" und was politisch / ideologisch motiviert davon? Ich hab versucht, das für mich aufzudröseln, weil ich immer weniger das Bedürfnis habe, mich irgendwo einzuordnen, ich bin halt einfach. Ich fühle mich in Gegenwart von Männern, die den "typischen Macker" raushängen lassen, wohler als in der von Männern, die ihre Stimme weich und zuckrig dimmen und am Geburtsvorbereitungskurs teilnehmen, um bei der Entbindung gemeinsam mit ihr rhythmisch atmen zu können (nicht falsch verstehen: wem's gefällt, der soll's machen, mich überkommt da eher so'n Kichern...).

Wir kommen wieder an den Punkt, was ist weiblich "angeboren" und was gesellschaftlich vorgegeben, ne? Ich kann's nicht so einfach definieren, ich denke nur: jemand, der sich in seinem Geschlecht wohl und verankert fühlt, braucht sich solche Fragen gar nicht erst stellen - er IST einfach. Und meiner Erfahrung nach sind das meist die Menschen, die sich nicht ins Hemd scheißen, wenn man zu ihnen sagt: "Hör mal, du arbeitest, ich arbeite, Hausarbeit fiffty-fiffty und dann mach mir'n Hengst" oder so.
 
Wir kommen wieder an den Punkt, was ist weiblich "angeboren" und was gesellschaftlich vorgegeben, ne? Ich kann's nicht so einfach definieren, ich denke nur: jemand, der sich in seinem Geschlecht wohl und verankert fühlt, braucht sich solche Fragen gar nicht erst stellen - er IST einfach.

Leider ist es aber eben nicht einfach.

Auch Menschen, die sich in ihrer Geschlechterrolle finden, haben Persönlichkeitsprobleme (ich vermeide hier den Begriff Identität).

'Wir haben alle Probleme mit uns selber (egal ob wir es sehen oder nicht) - unabhängig vom Geschlecht.

Und deswegen mag ich den Begriff Geschlechtsidentität nicht. Und ich halte ihn auch für grundsätzlich falsch.

Denn - wo fängt Geschlecht an und wo geht es über in die Individualität?
 
Weiß ich nicht so genau... so aus'm Ärmel würd ich sagen: Identität darf und soll sich ruhig an der "Allgemeinheit" reiben, sonst hätten wir sie ja nicht.

Muß mal noch weiter nachdenken, oder ihr tut's und teilt mir eure Ergebnisse dann mit :mrgreen:


So wirklich frei fühlen: gelingt mir immer besser, und zwar erst, nachdem ich diesen "Schutz-" Lebensraum Gay verlassen hab. Nicht von Anfang an, ich hab immer noch zu kämpfen mit dieser Heterowelt, das macht oft so ein einsames Gefühl. Aber auch das gehört doch dazu, wenn man sich selbst als Individuum verwirklichen will, oder nicht?
 
'Wir haben alle Probleme mit uns selber (egal ob wir es sehen oder nicht) - unabhängig vom Geschlecht.

Und deswegen mag ich den Begriff Geschlechtsidentität nicht. Und ich halte ihn auch für grundsätzlich falsch.

Denn - wo fängt Geschlecht an und wo geht es über in die Individualität?

Kann ich durchaus verstehen, denn: Wieviele Männer gibt's, die schon mal nachgedacht haben, wie es wäre eine Frau zu sein? (man könnte mehrere Orgasmen hintereinander haben,...man könnte die Männer leicht verführen,....kein Problem zu haben, dass "Er" nicht steht,...u.v.m.

Wieviele Frauen gibt's, die denken: Als Mann kann ich keine Kinder bekommen,...hab keine Regelschmerzen,...mir greift niemand auf die Brust oder unterm Rock,....ich verdiene besser,...usw.

Ändern kann's sowieso niemand (innerlich)!
Berufsmäßig steht für beide Geschlechter ja heutzutage jede Tür offen, und zählen tut im Endeffekt nur die Leistung! (auch privat)
 
Oh, ich genieße es sehr, wenn ich Gegenwind kriege. Regt die eigene Hirntätigkeit an. :mrgreen:
 
ich hab immer noch zu kämpfen mit dieser Heterowelt, das macht oft so ein einsames Gefühl

Ich hab auch den Eindruck, dass die Menschen in der schwul/lesbischen Szene in ihrer Sexualität viel freier sind als die Heteros.

Wobei ich frei in diesem Fall mit unabhängig assoziiere - aber es trifft's nicht ganz, also doch frei.

Heterowelt:
Ich glaube, dass es eigentlich an den Männern liegt, die zwar über Allgemeinplätze rumgrölen können, aber eigentlich sehr wenig über ihre Sexualität sagen können und sich auch sehr wenig damit beschäftigen. Der Gruppenzwang macht's ....
Wie ich mich im EF äußere, das kommt im rl nicht besonders gut an. Oder ist erst nach stundenlanger Einführung möglich.

Mit Frauen ist das nur selten ein Problem. Mit denen kann ich über Sexualität reden, gleichgültig ob ich die jeweilige begehre oder nicht.
 
Mit Frauen ist das nur selten ein Problem. Mit denen kann ich über Sexualität reden, gleichgültig ob ich die jeweilige begehre oder nicht.

Da hast, größtenteils Recht,...ich mag auch lieber Ärztinnen für ein Gespräch, wenn ich gesundheitliche Probleme hab!:lehrer:
 
Heterowelt:
Ich glaube, dass es eigentlich an den Männern liegt,


Mich strengen eher die Frauen an. Der pupsige Alltag: "Wissen sie, als Frau hat man ja auch noch seinen Haushalt neben Familie und Beruf" (raffinierte Wortwahl in dem Zusammehang :mrgreen:).

Führt mich zu der Frage: werden wir uns freier fühlen wenn wir darauf hin arbeiten, daß die Welt uns ähnlicher wird? Ich kenne wenige "Außenseiter", die nicht auch einen gewissen Stolz auf ihr Anderssein verspüren, besonders wenn dieses Anderssein mit dem Kampf um Selbstakzeptanz einhergegangen ist. Wär's dann nicht besser zu sagen: ich arbeite darauf hin, daß meine Besonderheiten und angeborenen Merkmale gewürdigt werden, statt sie abzuschaffen?
 
Der pupsige Alltag: "Wissen sie, als Frau hat man ja auch noch seinen Haushalt neben Familie und Beruf" (raffinierte Wortwahl in dem Zusammehang ).


dieser pupsiger alltag ist aber sehr kräfteraubend....der spagat zwischen beruf,kinder,haushalt...
find ich ganz und gar ned pupsig:nono:
 
Na, ganz einfach: Das tägliche Leben,...wie du damit umgehst,...wie man mit der Partnerschaft umgeht,...das find ich ja auch eine "Leistung"

is für mi jetzt aber ned unbedingt mit weiblich zu verknüpfen..gilt ja für jeden
 
Da hast du mich mißverstanden. ICH find's tierisch anstrengend, wenn ich von Frauen in ihren Alltag ganz selbstverständlich miteinbezogen werde in dieses "Man hat ja..." - ich hab auch, aber anders. DAS ist pupsig, dieser nervende, kleinliche Alltagskram.

Und ehrlich: wenn eine Frau nicht in der Lage ist, mit ihrem Spagat klarzukommen, dann soll sie vom Bodenturnen halt an den Barren wechseln - oder ihrem Kerl den Staubwedel und 'ne faire Aufgabenteilung im Haushalt in die Hand drücken. :roll:
 
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