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Gast
(Gelöschter Account)
So gut kennst du Mandelstam?
Nein, nicht kennen - ich habe ja nur eine Ahnung in der Ferne schimmern gesehen. Das ist aber immerhin ein möglicher Zugang.
Aber daß da Poesie ist, ist wahrlich nicht schwer zu hören und zu sehen.
Schau:
Rauschgold - das ist eigentlich Messing (dünne Folie oder Farbe), oft als Goldersatz verwendet, mit dem Nachteil, daß es oxidiert, also unbeständig ist. (z.B. war die Blätterkuppel der Secession mit Rauschgold gestrichen). Hier sind zwei Konnotationen angedeutet: Das Unbeständige (wie Weihnachten, das ja auch am nächsten Tag vorbei ist) und das Unechte, das aber einen Rausch auslöst und Illusionen lebendig macht.
Rauschgold wird auch für Christbaumschmuck verwendet, daher in der zweiten Zeile der Bezug zu den Weihnachtsbäumen.
Die Rauschgoldengel sind also jene Wesen, die scheinbar Gold, also scheinbar wertvoll, sind und unstet sich in der Luft bewegen, nicht flattern, nicht fliegen - sie sind einfach, aber sie sind nicht wirklich faßbar. Engel sieht man, aber man kann sie nicht angreifen - da werden sie inexistent.
Sie Glühen jedoch und erhellen den tiefen Wald. Tief ist er, nicht hoch. Hoch sind die Bäume, tief ist der Wald. Tief im Wald ist so ähnlich wie in der Mitte des Waldes. Dort ist es menschenleer, eben gerade richtig für die Engel, die das Finsterste erhellen, und zwar zu Weihnachten bzw. kurz davor, denn die Weihnachtsbäume stehen ja noch dort. Es ist also Advent. Zeit der Ankunft, und die Engel sind schon da.
...
Ahnst Du , was ich meine?
Dazu muß man nicht unbedingt Mandelstam kennen und man muß es auch nicht richtig geahnt haben - aber das Ahnen ist wie so ein glühendes Pünktchen am Firmament. Und das ist sicher, denn man sieht es ahnungsvoll, auch wenn es andere nicht wahrnehmen, egal, Ahnung ist hier mehr als Wissen, denn daß die Ahnung gewiß ist, beweist, daß das Gedicht dicht ist. Eben Poesie, Dichtung, Kunst.
So wie Rauschgoldengel glühn
Tief im Wald die Weihnachtsbäume;
Im Gebüsch: der Spielzeugwölfe
Wilde Schreckensaugen schieln.
Meine Trauer ist so alt
Wie der Freiheit leises Rufen;
Unbelebter Himmelskuppel
Ewig lächelnder Kristall!
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