Die Presse: In Europa gibt es zwei Zugänge der Politik zur Prostitution: verbieten wie in Schweden, wo Freier gestraft werden. Oder in die Arbeitswelt integrieren wie in Deutschland oder den Niederlanden. Sie forschen gerade an einem Vergleich: Was ist besser?
Helga Amesberger: Aus unseren Untersuchungen (Anm.: siehe Infokasten) geht eindeutig hervor, dass die Legalisierung besser ist vor allem für die Sexarbeiterinnen. Wir haben fast 130 Frauen interviewt. Die Erfahrungen jener, die in Ländern arbeiten, wo Prostitution illegal ist, sind sehr negativ. Sie konnten sich nicht an die Polizei wenden, wurden von korrupten Beamten erpresst, waren abhängig von Zuhältern oder Bordellbetreibern. Wenn man sich zudem die Dokumente der schwedischen Regierung ansieht, stellt man fest: Das Verbot hat weder zu einem Rückgang des Prostitutionsangebotes geführt, noch die Freier abgeschreckt.
Aus Schweden hört man aber andere Zahlen. Sind die falsch?
Amesberger: Ja. Es gab bei der Einführung des Verbots zwar einen Rückgang der Straßenprostitution um etwa fünfzig Prozent, inzwischen ist sie aber wieder gestiegen. Andere Formen der Prostitution haben sich von Anfang an nur stärker in die Unsichtbarkeit verlagert. In Summe ist es gleich geblieben.
In Österreich ist Prostitution prinzipiell legal. 2012 hob der Oberste Gerichtshof für Verträge zwischen Prostituierten und Kunden auch die Sittenwidrigkeit auf. Die Frau kann also den Lohn einklagen. Was ist der nächste Schritt? Sollen Prostituierte wie in Deutschland Arbeitsverträge bekommen?
Sandra Frauenberger: Aus feministischer Sicht ist Prostitution natürlich kein Beruf wie jeder andere auch. Ich kenne kein Mädchen, das sagt, wenn ich groß bin, werde ich Prostituierte. Anderseits müssen die Frauen sicher und rechtlich abgesichert arbeiten können. Nach dem OGH-Urteil braucht es jetzt eine bundeseinheitliche Antwort darauf, was die Aufhebung der Sittenwidrigkeit für Verträge über Sexdienstleistungen bedeutet. Das betrifft Arbeits- und Sozialrecht. Dafür brauche ich aber die Bundesregierung.
Ihre Partei sitzt ja dort.
Frauenberger: Ja, und ich kann Ihnen versichern, dass die Frauenministerin intensiv nach einer Regelung sucht.
Im Nachrichtenmagazin Spiegel wurde zuletzt das deutsche Modell stark kritisiert. Die Autoren des, zugegeben, umstrittenen Artikels ziehen den Schluss, dass eine Integration der Prostitution in die Arbeitswelt zu mehr Menschenhandel führt. Stimmt das?
Amesberger: Der Artikel bezieht sich auf eine Studie mit veralteten Daten und auf eher dubiose Quellen. In den Gerichtsstatistiken spiegelt sich der Anstieg nicht wider, es sei denn, man hält die Strafbestimmungen zum Menschenhandel und die häufigen Razzien ohnehin für wirkungslos. Ich kenne kein Argument, warum eine Öffnung des Prostitutionsmarktes zu mehr Menschenhandel führt. Auch Schweden ist kein Beweis: Durch das Verbot der Prostitution ist der Menschenhandel dort nicht zurückgegangen.
Wie hoch ist denn der Anteil der Prostituierten in Österreich, die gezwungen werden?
Amesberger: Da es keinen expliziten Paragrafen gibt, weiß man es nicht genau. In unserer Studie unterscheiden wir zwischen ökonomischer und sexueller Ausbeutung und verschiedenen Schweregraden. Menschenhandel, also Ausbeutung plus Vortäuschung falscher Tatsachen, deckt nur einen kleinen Bereich ab. Von 85 Frauen, die wir in Österreich interviewten, hatten neun Prozent eine Geschichte der Erpressung. Es kommt auch immer darauf an, wie man Zwang definiert: Wenn es um Ökonomie geht, sind wir alle irgendwie gezwungen zu arbeiten.
Frauenberger: Das würde ich jetzt nicht so formulieren, aber natürlich gibt es auch toughe, selbstbestimmte Sexarbeiterinnen.
Die es dann warum machen?
Amesberger: Sie entscheiden es eben, sie wägen ab, ob sie im Supermarkt arbeiten oder sich prostituieren.
Der erwähnte Spiegel-Artikel beschreibt auch andere Folgen der deutschen Liberalisierung. Während in Schweden Freier sozial geächtet werden, gibt es in Deutschland Flatrate-Bordelle, massive Werbung, Sextourismus. Auch auf dem Wiener Flughafen hing sehr lange ein Plakat für ein Nobelbordell. Will man, dass Prostitution als normales Business gilt Auswirkungen inklusive?
Frauenberger: Es ist, zugegeben, eine Gratwanderung. Das Thema ist stark moralisch und ideologisch besetzt. Als Feministin bin ich einerseits gegen Ausbeutung, andererseits braucht es für Frauen, die keine andere Chance haben, Regeln. Es gibt nicht die eine perfekte Lösung. In Wien entstehen derzeit neben den großen Laufhäusern auch kleine Etablissements, wo sich zwei Frauen zusammentun, was mir gut gefällt. Das sind 47 Prozent der Neueröffnungen.
Amesberger: Ich finde die Diskussion um die Bewerbung der Sexarbeit scheinheilig. Jedes zwölfjährige Kind hat via Smartphone Zugang zu pornografischem Material. Wenn Sexarbeit eine Dienstleistung ist, dann muss ich sie auch bewerben können.
Prostituierte machen vor allem durch ihre Sichtbarkeit Werbung. Durch das Wiener Prostitutionsgesetz wurde der Straßenstrich im Interesse der Anrainer, das man ja gut nachvollziehen kann, an den Stadtrand verlegt. Finden Sie das auch scheinheilig?
Amesberger: Natürlich geht es dabei darum, die Frauen weniger sichtbar zu machen. Aber meine größere Kritik betrifft etwas anderes die fehlende Infrastruktur an diesen Orten: Es fehlen Toiletten, Mistkübel und Plätze, etwa Verrichtungboxen, wo die Frauen ihre Dienstleistungen vollziehen können. Hier kommt mir der Schutzgedanke zu kurz.
Frauenberger: Es ist eine Interessenabwägung, die nicht alle glücklich macht. Es ging uns einerseits darum, die Straßenprostitution nicht zu verbieten, weil das die Frauen noch mehr in die Illegalität treibt. Andererseits wollten wir den Strich aus dem Wohngebiet herausnehmen. Wir haben in der Steuerungsgruppe Richtlinien erarbeitet, welche Infrastruktur von Beleuchtung bis Wasser in diesen Gegenden nötig ist.
Heißt das, dass dort bald eine solche Infrastruktur geschaffen wird?
Amesberger: Aus Sicht der Landesregierung, ja. Allerdings gibt es in Liesing, wohin sich ein Teil des Straßenstrichs verlagert und wegen des schöneren Wetters nun zugenommen hat, schon wieder Proteste. Obwohl es ein Industriegebiet ist. Die Unternehmen beschweren sich, dass Mitarbeiterinnen belästigt werden. Die Prostituierten wiederum beharren auf ihrem Platz, denn sie stehen ja legal da. Dazu kommt noch die Debatte, wo die Sexarbeit dann konkret verrichtet wird. Eine schwierige Lage für den Bezirk. Soll er, wenn die Bürger protestieren, für die Prostituierten noch Toiletten hinbauen?
Und wie löst man das?
Frauenberger: Wir reden mit dem Bezirk und suchen nach einer Lösung.
http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/1417496/Verbot-reduziert-Prostitution-nicht