Zwei meiner früheren Schulkollegen, mit denen ich im Internat aufgewachsen bin, haben sich umgebracht, als sie noch recht jung waren (Ende 20). Hab erst viele Jahre später davon erfahren. Was mich so schockiert hat, war, dass ich es wusste, dass sie nicht "lebensfähig" waren. Sie waren unfähig ihr Leben selbständig und sinnerfühlt zu leben. Es geht halt nicht darum, dass man was zu essen hat oder ein Dach über dem Kopf. Leben ist so viel mehr. Sie waren einsam, obwohl sie viele Freunde hatten. Sie konnten sich jeder Zeit professionelle Hilfe holen, aber ihr Stolz hats nicht zugelassen. Einer davon war schon in jungen Jahren recht verhaltenskreativ und selbstzerstörerisch. Hat einige Male Bombendrohungen gegen das Kaufhaus in Graz (Kastner&Öhler) hinterlasse. Hatte teils sehr windige Freunde, die ihn übel ausnutzten. Ein Großteil meiner Kindheit waren wir befreundet. Er war so klug, pfiffig und kreativ, dennoch - er war nicht in der Lage sein Talent zu nutzen.
Ein anderer Schulkollege wurde als Kind/Teenager immer sehr gepusht. Er spielte Rollstuhltennis und war echt gut. Er wurde stark gefördert und er hatte viele Sponsoren. Irgendwann hatte er keinen Bock mehr auf Training und Turniere und somit brach auch die Finanzierung ein. Er war süß, witzig und die Mädels standen voll auf ihn. Aber das Problem ist, wenn man selbst nie gelernt hat eigenständige Entscheidungen zu treffen und dann in eine Welt geschubst wird, wo Entscheidungen Konsequenzen haben können, da zeigt sich, wer überleben und leben kann. Und die Konsequenzen, die er tragen musste, waren hart. Keinen Job, den er kaum länger als drei Wochen halten konnte. Tennis oder Basketball spielte er schon lange nimma, Drogen und vor allem Alkohol und kleinere kriminelle Delikte. Er hat mir mal - bei unserem letzten Wiedersehen gesagt, dass er vorhatte in Bosnien mit seiner Mutter ein Lokal aufzumachen. Hab mich für ihn gefreut, es war ein gutes Ziel. Doch vor vier Jahren erfuhr ich, dass er sich 2005 umbrachte. Das traf mich tief, weil ich für ihn gehofft hatte, dass er den Sinn findet, Freude daran hat und nicht verzweifelt.
Mein Onkel, den ich über alles liebte, brachte sich in dem Jahr um, als ich ihn kennenlernte. Er reiste mit seiner Maschine durch gesamt Europa und war ein Freigeist. Ich erinnere mich noch, dass er uns immer Schokolade aus der Schweiz mitbrachte. Wörn (Werner) wie wir ihn nannten, war einfach die coolste Sau ever. Ich hab noch das Bild vor Augen, dass wir in den lauen Sommernächten im Garten übernachteten und auf offenen Feuer Würstel grillten. Er spielte auf der Gitarre lässige Songs. Ich war wirklich beeindruckt! Ein so freier Mensch - aber als Kind idealisiert man einfach viel und seine Verzweiflung war für mich nicht sichtbar.
Während meinem letzten Schuljahr (1995/96) hatte ich einige Rückschläge zu verdauen und hatte suizidale Tendenzen. Die Fenster meines Zimmers mussten abgeschlossen werden und wurde einige Wochen von einem Zivi begleitet. Mit PsychologInnen redete ich generell nicht (trotzige Spätpubertierende). Für alle anderen war ich immer gut gelaunt, witzig und stark, aber in mir drinnen war es leer und nicht sehr angenehm. Wenn man es schafft, diese Dunkelheit irgendwie zu überwinden (ich frage mich heute noch, wie ich das schaffte), bekommt Vieles eine völlig andere Bedeutung. Schmerzen, die einem über Jahre zugefügt wurden, Demütigungen, die man von Menschen erfuhr, die einem beschützen sollten, Verluste, die man nur schwer ertragen konnte und Verzweiflung, die sich wie Parasiten festfressen ... sie sind noch immer da, noch immer in mir, noch immer ein Teil meines ichs und sie erinnern mich oft daran, was Leben bedeutet.
Ich kann nicht sagen, ob ich wieder an diesem Punkt der absoluten Selbstzerstörung kommen werde, hoffe es nicht, aber ich erkenne die Zeichen nun schneller und kann mir - wenns nötig ist - Hilfe holen. Denn, im Grunde mag ich mein Leben, ich mag es so, wie es ist, auch mit all der Dunkelheit und dem Schmerz in ihr. Und ich denke oft an meine Freunde, die es nicht geschafft haben, die sich durch ihre eigene Finsternis haben verführen lassen. Aber ich versteh sie, ich weiß nicht, ob ich unter anderen Umständen oder durch die Begegnung mancher negativer Menschen nicht auch dort gelandet wäre. Wir kamen aus dem selben sozialen Umfeld.
Interessanterweise gibt es zu dieser Finsternis unglaublich viel Hoffnung und Licht. Egal, wie oft ich auf dem Boden lag, tauchten unfassbar wunderbare Menschen auf. Sie waren mein Licht in der Dunkelheit, waren da, halfen mir - vielleicht nicht "absichtlich" - aber sie waren Inspiration. Man sollte nie unterschätzen, wie bedeutend Menschen sein können. Es mag ein kleiner Plausch sein oder eine Hand, die einem hält, wenn man verzweifelt auf dem Boden liegt und weint. Es mag das Curry (leider kein Gutes) einer Freundin sein, die einem zuhört, wenn der Schmerz wieder zu groß wird. Dafür bin ich dankbar und versuche mit der gleichen Leidenschaft für sie da zu sein, weil ich die Dunkelheit kenne.
Ich weiß nicht, ob ich nun ein positiver Mensch bin - würde mich eher als realistisch und pragmatisch sehen. Was mir möglich ist, tu ich, auch wenn es ungewöhnlich und für andere befremdlich wirken mag. Einen Weg und Aufgaben zu finden, die sinnstiftend, erfüllend und für sich selbst befriedigend sind, das sind meine Ziele! Und wie ich finde - nicht die Schlechtesten. Jetzt habe keine Angst mehr vor der Dunkelheit, sondern höre ihr gut zu.
Aber ja, ab und an ein guter Psychologe wäre schon ned übel.