1994 berief sich der Polizeichef von New York, William Bratton, unter dem damaligen republikanischen Bürgermeister
Rudolph Giuliani auf die Broken-Windows-Theorie. Die von Bratton entwickelte Polizeistrategie bestand aus einer rigorosen „Null Toleranz“ gegenüber den vielen kleinen Belästigungen und Vergehen in der Öffentlichkeit durch das Absenken der polizeilichen Eingriffsschwelle gegenüber diesem Verhalten.
Das geschah vor dem Hintergrund einer außergewöhnlich hohen
Kriminalitätsrate, einer weit über dem amerikanischen Durchschnitt liegenden Mord- und Totschlagsrate und – unter anderem – der Häufung alltäglicher Normübertritte und einer zunehmenden
Vermüllung und Verschmutzung des
öffentlichen Raumes sowie der U-Bahn. Bratton und Giuliani glaubten, dass
Bagatelldelikte der Einstieg (
Tipping-Point) für schwerwiegendere Verbrechen waren.
[2] Das Programm führte zu einem umfassenden Aktionsplan, der erklärtermaßen darauf abzielte, den öffentlichen Raum zurückzuerobern und den Bürgern das in der „Unwirtlichkeit der Stadt“ verlorengegangene Gefühl von Sicherheit wiederherzustellen.
Tragende Säulen dieses Konzepts waren sieben Maßnahmenpakete.
- Angesichts des Besitzes zahlreicher illegaler Schusswaffen wurde versucht, durch „Schnellgerichte“ den illegalen Besitz, Handel und Gebrauch von Schusswaffen zu bestrafen mit dem Ziel, dadurch die Zahl von Gewalttaten unter Schusswaffengebrauch zu reduzieren.
- Auch kleinere Vergehen wie beispielsweise Schwarzfahren, Betteln oder Schuleschwänzen wurden rigoros verfolgt. An den Schulen wurden konsequent Waffenkontrollen durchgeführt. Stärker als zuvor wurden auch auffällige Personen im öffentlichen Raum kontrolliert.
- Mit „Null Toleranz“ wurde gegen Ordnungswidrigkeiten wie Straßenhandel, Hütchenspielen oder das Fahren mit Fahrzeugen mit sog. „Ghettoblastern“ vorgegangen. Durch diese konsequente Bekämpfung von Unordnung in Form abweichenden Verhaltens und die Vorverlagerung polizeilichen Eingreifens wollte die Polizei demonstrieren, dass sie die Probleme der Bevölkerung ernst nahm. Das sollte wiederum Vertrauen in die Polizei schaffen, die Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung reduzieren und deren Sicherheitsgefühl steigern. Konkret wurde beispielsweise im Straßen-Drogenhandel tätigen Kleindealern sofort das Geld abgenommen und ihr Fahrzeug eingezogen; darüber hinaus wurden ihnen Hausverbote erteilt. Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln bettelten oder andere Fahrgäste beschimpften, wurden für einige Tage in Haft genommen. Graffiti an Häusern und auf öffentlichen Verkehrsmitteln wurden binnen eines Tages beseitigt, damit kein Sprayer die Gelegenheit bekam, sein Werk nochmals zu bewundern oder bewundern zu lassen. Für diese Reinigungsarbeiten wurden häufig Personen herangezogen, die zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden waren; sie mussten dabei Westen tragen, auf denen der Name des Gerichts – beispielsweise „Midtown Community Court“ – stand, von dem sie verurteilt worden waren.
- Zuvor verwahrloste und verschmutzte Örtlichkeiten wurden aufgeräumt und gereinigt.
- Ein computergestütztes Informationssystem der Polizei wurde eingeführt, mit dessen Hilfe tägliche Kontrollen, Straftaten, Festnahmen und Beschlagnahmen für jede einzelne Polizeiwache dokumentiert werden konnten. Erfolgreiche Revierleiter wurden ggf. öffentlich belobigt. Damit wurde das System zu einer „betriebsinternen“ Erfolgskontrolle der ergriffenen Maßnahmen.
- Die Zusammenarbeit mit Bürgern in der Stadt wurde gesucht. Diese sollten sich für bestimmte Stadtteile verantwortlich fühlen und die Polizei auf Missstände hinweisen. Daneben wurden Bürgerwachen organisiert, die informelle Kontrollaufgaben in ihrem Stadtteil übernahmen.
- Die Polizei wurde personell aufgestockt. Deren sichtbare Präsenz wurde durch vermehrte Fußstreifen erhöht. Zentralistisch organisierte Fachkommissariate wurden aufgelöst und ihre Aufgaben den Bezirken und Revieren übertragen. Damit wollte man die Bewegungs- und Handlungsfreiheit fördern, denn die Beamten vor Ort sollten für die Lösung von Problemen verantwortlich sein.