Satirisches über die Großväter bei Helmut Qualtinger
Helmut Qualtingers Satire Die Ahndlvertilgung631 enthält weder eine umgekehrte Großvaterperspektive, wie in der Überschrift dieses Kapitels angekündigt, noch zielt sie auf einen rebellischen Großvater. Ein thematischer Zusammenhang besteht allerdings mit Aussagen aus Felix Mitterers Sibirien. Satirisch überzeichnend setzt sich Helmut Qualtinger mit der Ausgrenzung der Alten aus der Familie auseinander. In Die Ahndlvertilgung geht es im besonderen um die bäuerliche Familie, deren Strukturen aufs Korn genommen werden. Die Beziehung ihrer Mitglieder untereinander ist einzig von der Arbeit, vom Nutzen, den der Einzelne abzuwerfen hat, bestimmt. Die Ausgrenzung aller, die für die Arbeit nicht mehr zu gebrauchen sind, ist nicht als Zeiterscheinung zu bezeichnen. Ältere Begriffe aus dem Rechtswesen wie „Ausgedinge" beweisen, dass das Problem mit den alten Menschen in der Landwirtschaft nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden ist.632 Als Anspielung auf die historische Fundiertheit des Phänomens steht der erste Satz der Satire, der besagt, dass der Staat in letzter Zeit beginne, sich in die natürlichen Praktiken der bäuerlichen Familien, das Ahndl zu beseitigen, einzumischen. In einer Art Gebrauchsanleitung, der die Regieanweisung Eine Stimme aus dem Radio vorangestellt ist, werden drastische Methoden angeführt, die die Bauern in den einzelnen Bundesländern Österreichs erdacht haben, um die als Bürde empfundenen Alten loszuwerden:
Aus Hörerkreisen erhalte ich seit einigen Wochen unzählige Briefe, in denen sich Landwirte darüber beschweren, dass sich in letzter Zeit der Staat immer mehr in die natürliche Vertilgung der Ahndln einmischt. So wurden biedere Landleute, die diesen gesunden Prozess beschleunigen wollten, verhaftet und in mehreren Fällen sogar verurteilt. Um diesen ungerechtferrtigten Nachstellungen zu entgehen, sollte sich der Bauer an folgende Vertilgungsmethoden halten, die sich bereits in weitesten Kreisen der Landbevölkerung durchgesetzt haben. [...} (Die Ahndlvertilgung, S. 128.)
In unterschiedlichen Schattierungen erscheinen Wortspiele mit dem Begriff Natur. Gezeigt wird, wie der Mensch sich dort gebärdet, wo er ‚in der Natur’ lebt, was so ausgelegt wird, dass dort seine ‚rohe Naturgewalt’ am stärksten zur Entfaltung kommt. Als natürlich erscheint das, was ‚immer schon’ so war oder was ‚immer schon’ so gemacht wurde. Die angedrohte staatliche Einmischung im ersten Satz wird als Eingriff in ein spezifisches Naturrecht dargestellt. Die ‚natürliche Vertilgung’. Ein Widerspruch in sich, da die ‚Vertilgung’ als gewaltsamer Eingriff die ‚Natürlichkeit’ aufhebt, ist ein Seitenhieb auf die rohe Gewalt auf dem Land, in der Natur. Der Begriff Vertilgung steht im landwirtschaftlichen Sprachgebrauch mit der Ausrottung von Unkraut oder Insekten im Zusammenhang und betont hier das Nutzlose und Lästige an dem alten, körperlich ausgepumpten Menschen. Im Zusammenhang mit den Mordempfehlungen erhält natürlich als Modalwort, im Sinne von ‚selbstverständlich’ eine Bedeutung, die anrüchig erscheint: Man kann natürlich – wie auf den herrlichen Matten des Tauernmassivs – seinen Vorfahren in den Stall sperren und ihm die Nahrung verweigern, was jedoch nicht in allen Fällen wirkt, da derselbe dann zuweilen beim Vieh mitfrisst.633
Den Aspekt des Nutzlosen betont vor allem auch die Verwendung des sächlichen Artikels für das Ahndl, was die Alten beiderlei Geschlechts bezeichnet; eine Unterscheidung zwischen Männlich und Weiblich scheint sich erübrigt zu haben, was mit der Entwicklung zum geschlechtsneutralen Wesen konform geht. (Vgl. Kap. VI.) Nur an einer Stelle wird die Bezeichnung ‘Großvater’ als Umschreibung für einen beliebigen alten Mann, verwendet: Und Oberösterreich, die Heimat des Führers, bringt einen Most hervor, der allein imstande ist, auch dem härtesten Großvater das Handwerk zu legen.624 An erster Stelle in seinen Aufzählungen bäuerlicher Sterbehilfemethoden führt Helmut Qualtinger jene der Steirer an. Es handelt sich dabei um ein makabres Umwandlungsverfahren, das aus einem „Schädling" einen „Nützling" machen soll:
Was macht der Landwirt in der grünen Steiermark? Er verwendet die Jauchegrube, die den Schädling außerdem der Volkswirtschaft zuführt. (Die Ahndlvertilgung, S. 128)