Weil mir heute wieder einmal ein reißerischer und EZB-kritischer Artikel unter gekommen ist. Doch was ist an diesen Behauptungen überhaupt dran?
Höchste Zeit den immer wieder vorgebrachten Halbwahrheiten und falschen Narrativen mit einer sachlichen Analyse entgegen zu treten:
So wird immer wieder behauptet, die Geldpolitik sei alleine für das niedrige Zinsniveau verantwortlich.
Fakt dagegen ist: Das derzeitige Zinsniveau ist, insbesondere auf den langfristigen Trendverlauf bezogen, fast ausschließlich auf fundamentale ökonomische Faktoren, wie beispielsweise den technologischen und demographischen Wandel sowie eine ungünstige Entwicklung des Kapitalstocks zurückzuführen. Die EZB folgt in ihren geldpolitischen Entscheidungen lediglich dem natürlichen Zins. Dies ist durch verschiedenste Analysen, wie beispielsweise Berechnungen des natürlichen Zinses mittels dynamisch-stochastische Gleichgewichtsmodelle als auch mittels des Taylorzinses klar belegt.
Richtig ist, dass sich der Taylorzins im Durchschnitt über alle Länder der Eurozone seit Mitte 2016 wieder im positiven Bereich befindet. Dazu sind allerdings zwei nicht ganz unwesentliche, einschränkende Bemerkungen zu machen. Erstens zeigt sich, dass wirtschaftlich schwächere Länder wie Italien, Griechenland und teilweise auch Spanien und Frankreich erst 2018 wieder einen positiven Taylorzins aufweisen. Eine Art Dilemma in der sich die EZB befindet, für bestimmte Länder ist ihre Geldpolitik zu restriktiv, für Länder wie AT, DE und beispielsweise auch die Niederlande wäre eine behutsame Zinswende durchaus indiziert gewesen. Wäre da die nicht die zweite Einschränkung. Trotz des beobachteten Aufschwungs blieb die Ausweitung der Geldmenge im Euroraum hinter der Zielvorgabe von 4,5%, welche sich aus dem langfristigen Potentialwachstum und der zu erwartenden Inflation ergibt, zurück. Das heißt aber nichts anderes, als dass dieser Aufschwung zwar durchaus erfreulich aber noch keineswegs als nachhaltig zu interpretieren ist. Vielmehr sind hier noch Aufholeffekte aus den vergangenen Jahren, in der das jährliche Wachstum hinter dem Potentialwachstum zurückgeblieben ist und die Produktionslücke sogar jahrelang im negativen Bereich war, zu verzeichnen. Obendrein hat die Vergangenheit gezeigt, dass eine Zinswende alles andere als einfach zu bewerkstelligen ist, wie auch die jüngste Zinswende in den USA wieder gezeigt hat. Oftmals wurde zu früh und zu schnell reagiert, so auch 2001 und 2011 in der Eurozone, was mit einer sofortigen Trendumkehr des Aufschwungs einherging.
Und last but not least, bestätigt die Entwicklung des Taylor Zinses und dessen Einflussgrößen Preisänderungsrate und Produktionslücke recht gut meine Ausführungen, nämlich dass Notenbanken im langfristigen Trendverlauf nicht dazu in der Lage sind den Markt- bzw. den Gleichgewichtszins nach ihren Vorgaben verzerren bzw. künstlich nach unten bzw. nach oben manipulieren zu können. Wäre dies der Fall, müsste sich der natürliche Zins dem von der Notenbank gesetzten Geldzins annähern und damit einhergehend sich auch der Taylorzins tendentiell parallel zu diesem entwickeln. Das ist aber seit 2010 alles andere als der Fall. Und um nichts mehr geht es von Beginn an in meinen Ausführungen (und natürlich auch in den von mir verlinkten Fachpublikationen).
Vielmehr sind es makroökonomische Gegebenheiten, welche Wachstum und Inflation nach unten drücken: alternde Gesellschaften, Ersparnisse auf Rekordniveau und eine schwächelnde Produktivität.
Es liegt überhaupt nicht in der Macht der Zentralbanken, die strukturellen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass sich der sinkende Zinstrend umkehrt.
Falsch ist ebenso die Behauptung, die Geldpolitik der EZB schaffe Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen, die schädlich für die Wirtschaft sind.
Fakt dagegen ist: Die Zombifizierung der Unternehmen ist mit Sicherheit eine alles andere als rosige Entwicklung, allerdings sind wenig profitable Unternehmen nicht dem niedrigen Zinsumfeld geschuldet. Wie so oft erfolgt auch in diesem Fall in der populärwissenschaftichen Diskussion ein sehr stiefmütterlicher Umgang mit der Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung. Der niedrige Geldzins kann wohl kaum, dafür verantwortlich gemacht werden, dass Firmen ihre Kapitalkosten nicht mehr verdienen, fallen diese bei niedrigem Geldzins doch tendenziell geringer aus. Vielmehr ist es dem allgemeinen, internationalen Marktumfeld geschuldet, dass auf Grund sinkender Produktivitäten die zu erwirtschaftenden Renditen einen sinkenden Trend aufweisen.
Das Niedrigzinsumfeld mag bestenfalls den Umstand begünstigen, dass sich wenig profitable Unternehmen im Wirtschaftskreislauf ansammeln, da sie nicht wie bei höheren Kapitalkosten, die sie bei einem höheren Zinsniveau zwangsläufig verdienen müssten, vorzeitig aus dem Wirtschaftskreislauf ausgeschieden würden. Auch zu diesem Thema gibt es allerdings Studien, die zwar grundsätzlich nicht die Zombifizierung in Frage stellen, deren negatives Potential aber doch etwas differenzierter betrachten. So wird nämlich bei dieser Diskussion gerne zwei entscheidende Faktoren vergessen. Erstens ist es gerade jenen Unternehmen, denen ein unprofitables Dasein attestiert wird, ohnehin nicht möglich, sich zu Null zu finanzieren, sondern müssen gerade diese Unternehmen auf Grund der Risikoaufschläge Zinsen in Höhe von bis zu 6 Prozent oder sogar mehr für das Fremdkapital aufwenden, was in weiterer Folge den marktverzerrenden Charakter relativiert. Und zweitens wird dabei völlig unterschlagen, dass Unternehmen sich nicht ausschließlich über Fremdkapital finanzieren, sondern zu einem Gutteil über Eigenkapital. Im Schnitt liegen die Kapitalkosten der Unternehmen bei rund 6%.
Zudem ist es weder die Aufgabe noch das Recht einer Notenbank zu entscheiden, welches Unternehmen am Markt zu bestehen hat und welches nicht.
Dafür fehlen einer Notenbank auch die nötigen Instrumente. Aufgabe einer Notenbank ist es vielmehr dem Markt Kapital zur Verfügung zu stellen, und zwar mit dem Augenmerk auf erstens Preisstabilität und zweitens der wirtschaftlichen Entwicklung (allerdings erst wenn Bedingung Nr. 1 erfüllt ist, auf die EZB bezogen).
Was hier teilweise von einigen Ordohardlinern und Altmonetaristen gefordert wird, würde nicht nur das Mandat der EZB überschreiten, es wäre obendrein ein ordnungspolitischer Eingriff der EZB in das Wirtschaftsgeschehen.
Es wäre vielmehr Aufgabe der Politik hier über fiskal- und strukturpolitische Maßnahmen auf den Markt einzuwirken und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Es ist seitens der Politik einfach in Mode gekommen, diese Verantwortung von sich zu schieben und auf die Notenbanken abzuwälzen. Ist natürlich ein bequemes Vorgehen, denn wenn etwas schief läuft, hat man auch gleich einen Sündenbock bei der Hand.
Meinen Ausführungen kann also keineswegs eine schlechte Recherche unterstellt werden, vielmehr scheitert es bei einigen daran, das zu Verfügung stehende Datenmaterial richtig lesen und interpretieren zu können.
Behauptung: Das Zinsniveau war noch nie so niedrig war wie heute.
Fakt ist: Auf die nominalen Zinsen trifft das zwar zu, aber bei den für den privaten Sparer entscheidenden realen Zinsen sieht es schon ganz anders aus. Die realen Zinsen (nominale Zinsen abzüglich Inflation) in den letzten 50 Jahren über weite Strecken negativ, teilweise sogar stärker als das heute der Fall ist.
Falsch ist: Die Geldpolitik sei verantwortlich für die Blasenbildung an den Immobilienmärkten.
Fakt dagegen ist: Die Hauptverantwortung liegt vorallem bei einer verfehlten Wohnungbaupolitik, bei der Migration vom Land in die Städte und bei der makro-prudentiellen Faktoren, die niedrigen Zinsen haben lediglich einen verstärkenden Charakter.
Behauptung: Es wäre die Absicht der EZB, allen voran die Absicht eines Herrn Draghi mit dem niedrigen Zinsniveau den überschuldeten Südeuropäern den Abbau ihre Schulden zu erleichtern.
Falsch, Fakt ist: Dies gehört in die Kategorie „besonders absurd“ – 25 Mitglieder des EZB-Rats aus allen Euro-Ländern entscheiden die Geldpolitik, mit dem Auftrag die beste Entscheidung für die gesamte Eurozone zu treffen.
Der Gipfel der Absurdität liegt aber darin, dass gerade jenes Lager, das mit ihrer Behauptung eine fehlende Unabhängigkeit unterstellt, im Gegenzug der EZB selbst gerne Vorgaben machen möchte, wie diese ihre Geldpolitik zu gestalten habe.
Die EZB hat im Grunde ein primäres Mandat und das heißt Preisstabilität. Ein anderes Ziel zu verfolgen wäre ein Mandatsbruch. Die geldpolitische Zielsetzung der EZB ist im Vertrag der Europäischen Union von Maastricht vom 7.2.1992 geregelt. Artikel 105 (1) des Vertrages gibt eine eindeutige Zielhierarchie vor. Er verpflichtet die EZB auf das vorrangige Ziel, die Preisstabilität zu steuern.
Falsch ist, die EZB-Geldpolitik schafft eine Transferunion zulasten des "reichen Nordens".
Fakt ist: Das Gegenteil ist der Fall. Die EZB hat Rekordgewinne gemacht, die allen Ländern zugutekommen.
Auch in diesem Fall sprechen empirische Daten wie Zahlungsbilanzen und Kapitalverkehrsströme eine eindeutige Sprache.
Behauptung: Die EZB betreibe Finanzpolitik, da die niedrigen Zinsen den Regierungen die Finanzierungskosten erleichtern.
Fakt ist: Jede geldpolitischen Entscheidung – ob Zinssenkungen oder -erhöhungen – verändert die Finanzierungsbedingungen für Bürger, Unternehmen und Regierungen. Deshalb ist sie noch lange keine Finanzpolitik.
Eine weitere unrichtige Behauptung ist, die Anleihenkäufe der EZB würden das Zinsniveau nach unten drücken.
Richtig ist vielmehr, dass durch die Anleihenkäufe der Notenbanken die Risikoaufschläge nach unten gedrückt werden und damit in weiterer Folge auch die Zinskupons der Anleihen entsprechend nach unten korrigiert werden. Auf den Marktzins selbst haben diese Kaufprogramme allerdings keinen direkten Einfluss. Man muss einfach zwischen Marktzins und Risikoaufschlag unterscheiden können oder auch wollen.
Auch hier steht die Entwicklung des natürlichen Zinses dieser Behauptung diametral gegenüber, beginnt dieser doch seit 2016 mit dem neuerlichen Beginn der Anleihenkäufe wieder leicht zu steigen.
Ganz ähnliche Worte in diesem Zusammenhang finden übrigens die ÖkonomInnen I. Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB sowie Professorin für Finanzmarktökonomie, M. Fratzscher, Leiter des DIW sowie Professor für Makroökonomie, M. Demary, Senior Economist für Geldpolitik und Finanzmarktökonomik am IW Köln um nur ein paar zu nennen.
Und weil dem armen Krugman Worte in den Mund gelegt wurden, die er so nie ausgesprochen hat.
Krugman sprach nie davon, dass Österreich pleite ist. Er konstatierte damals in einem Artikel für die NYT vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2008/09, dass österreichische Banken auf Grund ihres starken Engagements in Osteuropa mit starken Kreditausfallrisiken behaftet wären. Auf Grund der für Österreich bestehenden Systemrelevanz dieser Banken, unterstellte er, dass im worst case ein gewisses Risiko einer Zahlungsunfähigkeit bestehe, ähnlich wie sich auch die Situation in Irland und Island darstellte.
Aus heutiger Sicht und mit heutigem Wissen sicher eine etwas überzogene Behauptung.
Doch so ganz falsch lag er mit seiner Behauptung nun auch wieder nicht. Auch die Kapitalmärkte teilten damals die Einschätzung Krugmans und der BIZ, musste Österreich doch damals trotz wirtschaftlich besserer Lage als wie in Deutschland höhere Zinsen auf seine Staatsanleihen hinnehmen.
Dies zeigt aber auch sehr deutlich, dass derartige Wortmeldungen in Zeitungsartikeln und Kolumnen, auch wenn sie von namhaften Ökonomen stammen, keinesfalls mit wissenschaftlich fundierten Analysen gleichzusetzen sind, sondern bestenfalls als journalistisches Essay bzw. Privatmeinung zu werten sind. Damit ist Krugman aber keinesfalls allein, das trifft auf Ökonomen wie einen Hans Werner Sinn und einen Issing, der ohnehin seine besten Tage längst hinter sich hat, ebenso zu. Daher halte ich auch, gerade bei derart komplexen Sachverhalten ,Presseartikel, egal ob es sich dabei um die Presse, die NZZ oder die FAZ für einen tiefgreifenden Erkenntnisgewinn als völlig ungeeignet.