"Arbeitslosigkeit ist schlimmer als atomarer Krieg"
Interview | Bettina Pfluger, 29. Jänner 2013, 18:08
Griechenland braucht einen krassen Schuldenschnitt, die Arbeitslosen eine Vision, sagt Börsenguru Heiko Thieme
STANDARD: Das vergangene Jahr hat mit einer Börsen-Rally geendet. Wie geht es heuer weiter?
Thieme: Die Hausse, die wir seit Oktober 2011 haben, ist noch nicht zu Ende. Ich glaube an neue Höchststände und, dass es eine Umkehr beim Präsidentschaftszyklus gibt. Seit 1833 wurden elf Präsidenten wieder gewählt. Die Börsen waren im ersten Wiederwahljahr bisher durchschnittlichen 15Prozent im Minus. Es gibt zwei Ausnahmen: Ronald Reagan und Bill Clinton. In deren erstem Wiederwahljahr haben die Börsen einen Anstieg von je mehr als 20 Prozent gehabt. Ich sage, Obama wird der dritte Präsident, der eine positive Börsenbilanz im ersten Wiederwahl-Jahr
vorlegen wird.
STANDARD: Was könnte den Aufwärtstrend trüben?
Thieme: Das größte Fragezeichen ist - wie bisher - die Politik. Sie kann Trends kaputt machen, weil die Politiker sich absolut diametral gegen die wirtschaftliche Vernunft entwickelt haben. Besonders in den USA, weil es keinen Kompromiss der Mitte mehr gibt.
STANDARD: Was sind die Themen, die Anleger 2013 erwarten?
Thieme: Zum einen ist es die Wirtschaft, die in den USA nicht in die Rezession fallen wird. Ein Wachstum von zwei Prozent ist realistisch. Damit lösen wir das Arbeitslosenproblem aber noch nicht. Amerika braucht ein Wachstum von mehr als zwei Prozent um die Arbeitslosenrate von über acht Prozent auf unter sieben zu drücken. Die Notenbank nimmt sieben Prozent als Mindestvoraussetzung an, um die Politik des leichtes Geldes zu einer des
normalen Geldes überzuführen. Europa kämpft hingegen mit einer Rezession. Und in Deutschland ist die Frage, ob sich das Land mit der Wachstumsmarke von einem Prozent von dem Abwärtstrend lösen kann.
STANDARD: Die Politik des leichten Geldes wurde oft kritisiert.
Thieme: Ich habe sie immer befürwortet als Lösung. Die Wirtschaft wird durch die Null-Zins-Politik animiert zu investieren. Wenn die Privatwirtschaft nicht den Mut und nicht die Eigenkraft hat, ist der Staat dazu angehalten, auch mal ins Defizit zu gehen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Denn ein Arbeitsloser kostet Geld, ein Arbeitender bringt Geld. Dann bekommt der Staat auch seine Rückzahlung für das Defizit.
STANDARD: Das billige Geld kommt aber kaum
ins Wirtschaftssystem.
Thieme: Das ist ein Riesenfehler. 2008 habe ich gesagt, dass ich alle Banken verstaatlichen würde, weil alle versagt haben. Wenn eine Fußballmannschaft 10:0 verliert, wechselt man den Manager aus und ein paar Spieler. Was haben wir gemacht? Wir haben die Spieler nochmals belohnt und den Managern ein doppeltes Gehalt gegeben. Das geht nicht. Kreditanträge hätten gefördert gehört, die Haftungen erhöht.
STANDARD: Wie lange geht die Strategie des billigen Geldes noch gut?
Thieme: So lange, bis wir eine Wachstumsphase kreieren und sich das Schwungrad umdreht - die Nachfrage also größer ist als das Angebot und wir dann in relativ kurzer Zeit einen Inflationsdruck bekommen. Das zweite Risiko, das wir damit eingehen ist, dass diese Gelder in Exzesse hineingehen und somit neue Blasen gebildet werden.
STANDARD: Was gilt es aus europäischer Sicht im Auge zu behalten?
Thieme: Wir stehen vor enormen wirtschaftlichen und
politischen Problemen. Wir kreieren derzeit Langschäden bei der Jugend. Eine 50 prozentige Arbeitslosigkeit - etwa in Spanien - ist auf Dauer schlimmer als ein atomarer Krieg. Damit macht man eine ganze Generation kaputt. Es gilt, die Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich abzubauen - was immer es kosten mag - um den Menschen wieder eine Vision zu geben. Das andere ist, dass wir auf der politischen Seite Reformen herein bringen müssen. Wir müssen Strukturen in Griechenland und Italien aufbauen. Diesen Ländern wurde ein Zeitfenster gegeben, das genutzt werden muss.
STANDARD: Was sind in Europa die nächsten Schritte, die aus Ihrer Perspektive wichtig wären?
Thieme: Das Finanzsystem muss saniert werden, die Wirtschaft durch Infrastrukturprojekte angekurbelt werden. Die Banken haben sich zum Teil verschlossen, sie sollten aber eigentlich die Geldquelle sein, um Industrie und Privaten mit Krediten zu realistischen Preisen zu versorgen.
STANDARD: Zuletzt gab es bezüglich Griechenland wieder Diskussionen über einen weiteren Schuldenschnitt. Wie sehen Sie das Thema?
Thieme: Ein Schuldenschnitt ist notwendig - und zwar ein ganz krasser. Nur damit kann man das Land sanieren. Bisher wurde dieser Schritt vermieden, weil auch die westlichen Banken davon betroffen gewesen wären. Die Staaten zögern zu lange, das kostet Geld. Bei Griechenland kostet es Pi mal Daumen bis zu einer halben Billiarde Euro. Vor einigen Jahren wäre man sicher mit 50 Milliarden Euro durchgekommen. Warum? Die Spekulanten wären nicht reingekommen. Dass die Griechen bis jetzt durchgehalten haben, dafür gehört ihnen schon fast der Nobelpreis ausgestellt. Schrauben sie mal den Zins in Deutschland oder in den USA auf 30 Prozent hoch, da geht die Klappe zu - aber sehr schnell. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 30.1.2013)