Kreisky lag nicht so falsch. Mocks Verhalten erinnert an die 30er-Jahre und der Putsch am Vortag in Spanien bewies, dass diese Zeiten noch nicht gänzlich überwunden waren.
Man muss aber sehr voreingenommen sein, um das nachvollziehen zu können.
Es gibt meines Wissens kein österreichisches Gesetz, welches es einem Staatsbürger verbieten würde, sich an den Bundespräsidenten zu wenden. Falls es eines gibt, lasse ich mich gerne belehren.
Ob es von Mock klug war, so zu handeln, wie er gehandelt hat, möchte ich nicht erörtern. Ich kann mir aber vorstellen, dass es durchaus Politiker gibt, welche klug genug gewesen wären, Kirchschläger nicht in die Tagespolitik verwickeln zu wollen. So gesehen verstehe ich den Groll Kreiskys durchaus.
ABER: Der Putsch in Spanien hat weder mit der ÖVP noch mit den 30er Jahren irgend etwas zu tun gehabt. Eigentlich wollte Kreisky mit der dramatischen Verknüpfung von Putsch und unbewältiger Vergangenheit nur ein weiteres Mal die 30er Jahre zur Erlangung eines politischen Vorteils nutzen, wie schon oft zuvor auch.
Er war ja zu dieser Zeit schon schwer Nieren krank. Das erklärt seine Ungehaltenheit ein wenig.
Ich würde mir seine "Ungehaltenheit" eher damit erklären, dass der Journalist (übrigens auch ein SPÖ-Mann) mit zwei einfachen Feststellungen die publikumswirksam aufgebaute Dramaturgie des Kanzlers umgeschmissen hat.
Um Missverständnisse auszuschließen: Bruno Kreisky ist einer der wenigen Politiker der SPÖ, welchen ich ehrlichen Respekt entgegengebracht habe und immer noch bringe. Aber diese Episode habe ich ihm immer übel genommen. Gerade weil sie zu seinen "reifen" Jahren gehört. Und weil ich es nicht für richtig halte, einen Menschen öffentlich aufzufordern, Geschichte zu lernen, von dem ich weiß, dass er Geschichte zumindest genau so gelernt hat, wie ich selbst. Und dem ich nichts anderes vorwerfen kann, als dass er diese Geschichte neutraler und vorurteilsloser sieht, weil ihm die Befangenheit des eigenen Erlebens fehlt.
Das sollte eigentlich eines Bruno Kreisky nicht würdig sein.