GV macht mir keine Sorgen, was das Ansteckungsrisiko anbelangt, eher schon [...] wenn mal jemand zu verarzten ist.
Wenn die Haut nicht verletzt ist, ist Blut auf der Hand kein Problem; Blut in die Schleimhäute (Augen) schon eher. Das passiert aber selten ... im Unterschied zu GV. Und Wildfremde werden ja wohl nicht von dir verarztet, oder?
Du drehst es dir, wie du es brauchst.
Nachdem du mir vorgeworfen hast, ein unrealistisches Modell zu verwenden, habe ich zur Kontrolle das derzeit noch realistische Szenario D eingesetzt: Safer Sex plus Kontrolluntersuchung. Bei den Szenarien A bis C ist es mir im Unterschied dazu auch nicht um die Darstellung des Status Quo gegangen, sondern darum, darauf hinzuweisen, dass zunehmender AO Verkehr trotz Kontrolluntersuchung zu einer massiven HIV Zunahme führen kann, und den Mechanismus dafür mittels der Szenarien A und B zu erklären.
Du glaubst doch selber nicht, dass nur 1% der SW ao anbietet. Und solltest du das wirklich glauben, dann empfehle ich dir einen kurzen Blick in den "ohne" thread bzw. die einschlägigen Inserate/hompages.
Wenn du dazu eine "realistische" Prognose willst, musst du aber erst Daten sammeln, wie oft welches Service wirklich praktiziert wird. Für die Straßenprostitution in Chicago gibt es dazu eine Studie von Levitt und Venkatesh aus dem Jahr 2007. (Beide Autoren sind übrigens an Eliteuniversitäten tätig: U Chicago, Columbia U; die Studie ist über Wikipedia bei Levitt bzw. Venkatesh verlinkt.) Demnach haben die Frauen am Straßenstrich in Chicago durchschnittlich 9-10 Freier in der Woche und die Freier konsumieren maximal einmal im Monat Paysex. Das Angebot ist 30% vaginaler und 10% analer GV, wobei davon die Mehrzahl der Akte ohne Kondom erfolgen (bis zu rund 80 Prozent), 45% oral, meist ohne Kondom, und 15% Handentspannung und sonstige gesundheitlich weniger riskante Praktiken. Kontrolluntersuchungen gibt es in Chicago keine. Gibt man diese Daten in das Modell ein (mit der Annahme 3 Promille HIV unter den Frauen, die neu in Sexwork einsteigen, 2 Promille unter den neuen Freiern), dann passiert trotz des anscheinend tabulosen Treibens in diesem realistischem Szenario R nur wenig: Auch in 100 Jahren werden sich die Freier wegen des Straßenstrichs alleine kaum mit HIV infizieren und auch die HIV Rate unter den Sexarbeiterinnen steigt nur langsam auf 7 Promille.
Grundsätzlich sind Rechenmodelle eben Modelle mit all ihren Mängeln. Aber die von dir angesprochenen gehen zumindest meistens von realistischen Annahmen aus
Rechenmodelle sollen aber nicht nur die Realität beschreiben und erklären, sondern auch "was wäre, wenn" Fragen beantworten helfen. Und dazu müssen dann von der derzeitigen Realität abweichende Annahmen eingesetzt werden: Unter welchen Bedingungen funktioniert eine Maßnahme? Ist dieser Erfolg dann der Maßnahme zu verdanken, oder führt auch Nichtstun bei diesen Bedingungen zum Erfolg? Verstärkt die Maßnahme negative Entwicklungen? Was passiert, wenn sich eine absehbare negative Entwicklung verstärkt - funktioniert die Maßnahme dann auch noch? Selbstverständlich können die einfachen Modelle, die oben dargestellt werden, nur erste Näherungen geben, was passieren könnte. Aber EF ist ja auch kein wissenschaftliches Forum (wo dann auch nicht viel genauere Aussagen getroffen werden).
Um die Verwendung von Modellen am Beispiel von Szenario R zu illustrieren, ist unten ein idealisierter politischer Entscheidungsprozess: Die Frage ist, wie man R verbessern kann.
1.) Auf den ersten Blick könnte man meinen, tabuloser Sex ist wegen dieses Beispiels kein Problem. Allerdings fällt (im Vergleich zu den Szenarien A, B, C) die geringe Zahl der Sexakte auf: Offenbar führt die Angst vor der Polizei dazu, dass sich Sexarbeiterinnen und Freier möglichst wenig dem Risiko einer Verhaftung aussetzen wollen. Außerdem sind 2/3 der Sexakte sehr risikoarm (Handentspannung, OV); nur wer GV bucht, ist auch zu mehr Risiko bereit. Also wirkt hier wohl auch die Angst vor HIV, weil es keine Kontrolluntersuchung gibt. Wenig Sexakte und geringes Durchschnittsrisiko pro Akt ergeben dann auch weniger HIV Fälle.
2.) Eine "was wäre, wenn Analyse" wird sich aber nicht damit zufrieden geben, sondern fragen, was passiert, wenn der Fahndungsdruck nachlässt. Immerhin werden massiv Geldmittel ausgegeben, um harmlose Bürger wie gefährliche Verbrecher in Fallen zu locken (Polizistinnen verkleiden sich als Prostituierte), was auf Dauer unakzeptabel ist. (In Kalifornien hat sich schon eine Bürgerrechtsbewegung dagegen gebildet.) Doch sollte einmal der Fahndungsdruck nachlassen, dass etwa die Freier zweimal in der Woche auf der Strasse suchen und die Frauen doppelt so viel arbeiten, dann ändert sich Szenario R dramatisch zum Nachteil, weil auch dieser relativ geringe AO Anteil unter GV ein ungünstiges "epidemiologisches Gleichgewicht" von fast 3% infizierten Freiern bewirkt. (Im Vergleich zu C nähert sich die Durchseuchung aber diesem Gleichgewicht langsamer.)
3.) Auch wenn diese Modellrechnung nicht genau ist, zeigt sie ein Problem auf. Eine verantwortungsvolle Politik wird sich vor einer "Demokratisierung" (keine Polizeifallen im Rotlicht mehr) auch überlegen, das epidemiologische Gleichgewicht in einem akzeptablen Rahmen zu halten. Die um eine Aufgabe gebrachte Polizei wird sicher die Kontrolluntersuchung ins Spiel bringen. Tatsächlich wirkt sie unter den Annahmen des obigen Szenarios: HIV unter Freiern wird durch die Straßenprostitution maximal um nicht messbare 20% erhöht, auf 2,4 Promille.
4.) Nun kommt aber, wie auch in Österreich im Vergleich zu Deutschland, der Peltzmann Effekt ins Spiel: Die Freier werden auf die Annahme, dass die Sexarbeiter "sicher" sind, auch riskantere Praktiken konsumieren, etwa 50% GV-vaginal, 35% GV-anal, weiterhin 80% ohne Kondom, und 10% oral, 5% Handentspannung. Und nun versagt die Kontrolluntersuchung: Langfristig (also im "epidemiologisches Gleichgewicht") sind 1,3% Freier HIV+. Ein "realistischeres Modell" wird vielleicht andere Zahlen liefern, aber das Grundproblem bleibt erhalten.
5.) Könnte hingegen durch Fördermaßnahmen für die Sexarbeiterinnen 100% Kondomgebrauch bei GV und AV durchgesetzt werden, dann wäre selbst bei 100 Prozent AV-Safe bei den Freiern nur eine nicht messbare Erhöhung von HIV um 10% auf 2,2 Promille zu erwarten.
Selbstverständlich müsste jede konkrete Entscheidung mit genaueren Modellen durchgerechnet werden. Verantwortungslos erscheint es jedoch, im Bereich der Prostitution Regelungen völlig ohne wissenschaftliche Beratung (gestützt auf solche Modelle) einzuführen. Leider ist solches uninformiertes Entscheiden in Österreich die Regel ... was uns durchaus eine HIV Epidemie bescheren kann, wovor Szenario A warnt.