Na schön, dann gehen wir's mal an.
@Ziggi, meine Einstellung zum Thema hab ich dich gestern im Wesentlichen schon wissen lassen. Ich antworte jetzt nochmal ausführlicher und besonders dir, um dir meine gestrige Reaktion verständlicher zu machen.
aber wennst mit Psychiatrie-Patienten zu tun hast
who cares? War halt gang und gäbe
und niemand ist heutzutage eine Rechenschaft schuldig
wir ham halt die Kinder gefickt, war cool damals, da war das doch üblich
blöd, warum fragt das heut wer? War doch eh normal.
Das läßt sich auf alle Unrechtshandlungen übertragen, die in öffentlichen Institutionen in der Vergangenheit bis in die Gegenwart stattgefunden haben, seien es Heime, Psychiatrien, auch Altenpflegeheime und Behinderteneinrichtungen.
Und nein, es war weder damals noch heute cool, man hat früher nur nicht so offen darüber gesprochen. Sicher war Gewalt damals akzeptierter als heute, aber die von dir zitierten Versuche, so wie Mißhandlungen, Ausbeutung, Mißbräuche usw. fanden hinter verschlossenen Türen statt, mit der angenommenen „Akzeptanz“ auf breiter Ebene hatte das weniger zu tun.
Als ich im vergangenen Jahr als kleinen persönlichen „Erfolg“ meiner Aufarbeitung erfahren habe, daß der Verein, in dem ich aufgewachsen bin, öffentlich auf seiner Homepage Gewalt und Mißbrauch in einigen seiner Einrichtungen eingestanden hat, war ich zunächst fast schockiert, wie dezent und in meinen Augen fast beiläufig das passiert ist. Ich hatte Kontakt zu anderen früheren Heimkindern, und einer von ihnen hat mir geholfen, die Dinge wieder realistischer zu sehen.
Zum einen handelt es sich oft um weit zurückliegende Straftaten, die nachzuweisen schwierig sind, besonders wenn die Täter alt oder bereits verstorben sind. Die verantwortlichen Institutionen bzw. deren Träger sitzen darüber hinaus in der Zwickmühle, daß sie für Dinge gerade stehen sollen, die weit in der Vergangenheit liegen und über die die heutigen Vertreter oft selbst nur aus zweiter Hand erfahren haben. Das wirft unter anderem auch juristische Probleme auf, denn es macht einen Unterschied, ob man als „Institution“ Gewaltübergriffe bzw. Straftaten zugibt oder als Einzelperson, weil Eingeständnisse in fremdem Namen u.U. Auch Verleumdungsklagen nach sich ziehen könnten.
Worauf ich mit dem ganzen Summs hinaus will: es hinterläßt natürlich bei denjenigen, die von solchen Dingen erfahren, Wut, Entsetzen und vielleicht auch so eine Art Hilflosigkeit, besonders wenn sie persönlich vielleicht noch jemanden kennen, der Opfer solcher Verbrechen in „öffentlicher Hand“ geworden ist. Anders als früher werden solche Dinge heute aufgedeckt und über die Medien verbreitet. Das ist gut so, das sensibilisiert, das führt auch dazu, daß innerhalb der Institutionen – selbst wenn nach außen hin davon oft nur wenig und scheinbar nur in Form von halbscharigen Zugeständnissen – Qualitätsstandards eingeführt und durchgesetzt werden, die zwar kein Garant dafür sind, daß solche Dinge nie wieder passieren, die aber doch ein größtmögliches Maß an Sicherheit für die dort Betreuten bieten.
„Hüter der Moral“: das sind wir alle. Wenn ich aus den letzten beiden Jahren etwas ganz besonders gelernt hab, dann das. Es reicht nicht, sich zu empören oder öffentlich „kotzen“ zu wollen. Es reicht bei aller Wut über solche Dinge nicht, sie einfach irgendwo in den Raum zu stellen, weil: es ist ja so leicht, sich ohne Konsequenzen befürchten zu müssen sich auf die Seite der „Gerechten“ zu stellen. Damit ist niemandem geholfen, schon gar nicht denjenigen, die überlebt haben und in deren Namen man sich stellvertretend so echauffiert. Und deswegen widerspreche ich dir, wenn du sagst:
die Hüter der Moral? keine Kirche. Alle INSTITUTIONEN, die bis heute ihre Vergangenheit nicht aufarbeiten können und klar Verfehlungen zugeben
Doch, es wird seit Jahren aufgearbeitet, oft hinter verschlossenen Türen und unbefriedigend. Nicht die Institutionen sind diejenigen, die "Hüter" sind oder sein dürfen, sondern diejenigen, deren Betroffenheit sich darin erschöpft, mit den Fingern auf diese Institutionen zu zeigen, statt zu hinterfragen, Druck zu machen usw. Im Grunde sind doch die meisten darüber froh, wenn genau diese Institutionen die "Drecksarbeit" erledigen und man sein Gewissen zu Weihnachten mit einer netten Spende polieren kann.
Und deswegen reagiere ich krätzig, wenn ich von so öffentlichen Krokodilstränen lese. Sie helfen niemandem.