Etwas zum drüber nachdenken wenn man sich des Leben vielleicht gerade mal wieder selber etwas schwerer als nötig macht ...
Leben heisst lernen ...
Anfangs kümmern sich deine Eltern den ganzen Tag um dich, und auch später helfen sie dir noch ein wenig: Du machst die ersten Schritte, und sie halten deine Hand, du fährst auf deinem neuen Fahrrad, und sie laufen einige Zeit neben dir her. So gewöhnst du dich daran, dass du immerzu etwas Neues tun musst. Aber schnell wird dir klar, dass sie nicht immer da sein werden: Als sie dich zum ersten Mal allein im Kindergarten lassen, ist es seltsam, vielleicht sogar schrecklich, doch irgendwann gewöhnst du dich selbst daran. Das ist auch besser so, denn so wird es bleiben: Für den Rest deines Leben wirst du auf dich selbst angewiesen sein.
Du kommst in die Schule, gerade als du dich an den Kindergarten gewöhnt hast: Du kennst dich dort aus, weißt, wo die Spiele sind, und hast Freunde, aber nun ist es aus mit Spielen, jetzt wird gearbeitet. Damit du dich daran gewöhnst, hast du anfangs nur einige Stunden Unterricht, aber bald werden es mehr, und mit Spaß hat das nichts mehr zu tun. Immerhin kannst du dich immer noch gut mit anderen Kindern unterhalten, das war noch nie schwierig, nur ändert sich das leider ebenfalls recht bald. Sie werden alle so komisch, die Mädchen kichern albern, die Jungs rempeln brutal oder geben an, überhaupt wirken alle Kinder um dich herum wie ausgetauscht. Und nicht nur das: Du selbst wirst ebenfalls komisch. Du hast Gefühle, die du nicht kennst, und entdeckst eines Tages im Spiegel einen Körper, der völlig grotesk ist – der gehört dir auf keinen Fall! Zumindest musst du dich daran erst mal gewöhnen, aber leider hast du dafür überhaupt keine Zeit, und so überziehst du zum ersten Mal dein Konto der Erkenntnis – du steckst knietief im Lebensdispo.
Zum Glück weißt du das nicht. Du weißt nur, dass da draußen Mädchen oder Jungs auf dich warten, eine Welt der tausend Möglichkeiten, dein Leben. Also probierst du alles aus. Und machst alles falsch. Du bist zum ersten Mal betrunken, und es ist zum Kotzen, du verliebst dich zum ersten Mal, und es bricht dir das Herz, du hast zum ersten Mal Sex, und es ist furchtbar kompliziert. Nein, Spaß macht auch das nicht. Vielleicht wäre es besser, wenn du üben könntest, aber dafür ist keine Zeit. Die Schule ist vorbei, gerade als du dich endlich an sie gewöhnt hast, und nun sollst du dich entscheiden, was du für den Rest deines Lebens machen willst. Natürlich ist das völlig idiotisch, natürlich hast du keine Idee, aber daran kannst du dich gleich gewöhnen: Es geht hier nicht um dich, du bist nur Teil der Maschine. Und die Maschine, die siehst du erst ganz am Schluss.
Immerhin hast du jetzt offiziell eine Wahl, oft kommt das im Leben nicht vor, und mit etwas Glück wählst du das Richtige. Vielleicht reicht es sogar, um ein bisschen rauszukommen aus dem Lebensdispo – vielleicht probierst du tatsächlich einige Sachen lange genug aus, um sie zu verstehen. Danach hast du eventuell Spaß am Sex, weil du dich traust zu tun, was du wirklich willst, oder trinkst zum Alkohol Wasser, sodass du dich am nächsten Morgen nicht mehr ganz so elend fühlst. Mit etwas Glück triffst du sogar ein paar Menschen, mit denen du offen darüber sprechen kannst, dass du keine Ahnung hast, worum es geht. Und mit ganz viel Glück sagen sie: wir auch nicht. Das fühlt sich dann für einen Moment an, als hättest du alles verstanden, das Leben und so weiter, und diesen Moment solltest du wirklich genießen, denn lange wird dieses Gefühl nicht halten.
Dann ist deine Ausbildungszeit auch schon rum, du bist etwas geworden, und nun beginnt der Alltag, denn du hast einen Beruf. Damit hast du nicht gerechnet: Die ganze Zeit ging es holterdipolter die Lebenstreppe rauf (oder war es eher runter?), und plötzlich bewegt sich nichts mehr. Du gehst zur Arbeit, du hast einen Partner oder suchst einen, abends kochst du und siehst fern, am Wochenende fährst du mal weg, und alles ist eigenartig ruhig. Vielleicht zu ruhig? Wo sind die wilden Abende in den Clubs, wo die verrückten Touren mit den Freunden, wo die Ideen, die ihr verwirklichen wolltet, denn wozu ist das Leben da, wenn nicht dazu, seine Träume wahr werden zu lassen? Doch nach Feierabend ist es irgendwie schwierig, wild und gefährlich zu sein, und schließlich ist es nicht so, als hättest du gar keinen Spaß. Außerdem bekommst du kurz darauf Kinder.
Damit hast du ebenfalls nicht gerechnet. Sicher, du wolltest welche haben, aber dass man die aufziehen muss und wie das geht war dir nicht ganz klar. Bald kannst du Windeln wechseln und Fläschchen wärmen, doch die kleinen Racker wachsen in einem irren Tempo, und so hechelst du die ganze Zeit hinter ihnen her, andauernd haben sie irgendwas Neues. Immerhin entwickelt sich in dir langsam ein Gefühl von Stabilität: Du machst deine Arbeit seit einiger Zeit und bist inzwischen gut darin, du verstehst tatsächlich, worum es geht und wie da etwas unter deinen Händen wächst. Du hast Gewohnheiten, und sie fühlen sich gut an, du hast neue Fähigkeiten, und sie sind verblüffend, du kochst, und es schmeckt nicht mehr wie früher das Studentenzeug. Alles wächst, und du wächst mit, so wie deine Kinder, so wie dein Leben.
Einiges ist auch verschwunden, die Kinder wollen spielen, und das kannst du leider nicht mehr, jedenfalls nicht so unschuldig wie früher. Du würdest es vielleicht gern wieder lernen, doch es bleibt nicht genug Zeit zum Üben: Im Alltag ist kein Platz zum Spielen, und die lieben Kleinen wollen schon bald lieber groß sein. So folgt die nächste Überraschung: Gerade dachtest du, du hättest es endlich geschafft, einen Platz im Leben gefunden, und plötzlich steckst du wieder im Dispo. Diesmal aber bis zum Hals: Du hast eine Lebenskrise.
Du hast also ein Haus gebaut, du kannst einen prima Lammbraten zubereiten, du hast tolle Freunde und kennst dich aus mit allem, was dich interessiert. Eines Abends liegst du auf dem Sofa, liest ein schönes Buch, trinkst Tee, das Telefon klingelt, und jemand, der dich liebt, erzählt dir von einem kleinen Glück. Alles ist gut. Doch nachdem du aufgelegt und das Licht eingeschaltet hast, weil es dämmert, wirst du so schwer. Du zögerst. Die Kinder sind aus dem Haus, deine Arbeit machst du so lange, dass es sich anfühlt wie schon immer, alles ist an seinem Platz. Trotzdem hast du das Gefühl, dass das nicht alles gewesen sein kann. Was ist denn mit deinen Träumen? Wo sind die geblieben? Warum bist du nicht reich, berühmt und glücklich?
Du wirst also wieder aktiv, schaffst Sachen, die du dir nie zugetraut hast, versuchst noch mal etwas Neues und findest ein weiteres Mal einen Platz im Leben. Doch es ist nur eine Zwischen-station, und das ahnst du. Denn nun zeigt dein Körper erste Ausfallerscheinungen. Anfangs sind es nur Kleinigkeiten, doch bald läufst du nicht mehr so leichtfüßig wie einst durch die Welt, spürst das Wetter in den Knochen und bist oft müde. Klar, du könntest jetzt wieder ausgehen wie früher, die Kinder sind aus dem Haus, du hast Geld, und die Arbeit lässt dir mehr Freiraum. Aber irgendwie hast du keine Lust. Du bist häufig schlapp, außerdem hast du alles schon tausendmal gesehen, die Restaurants, die Gespräche, die Taxis. Und jemanden abschleppen für eine wilde Nacht, nein, das kannst du sowieso vergessen, das ist vorbei, und das weißt du auch. Reisen geht noch, immerhin, fremde Länder besuchen macht Spaß, aber der Klimawechsel ist mühsam, du bist langsamer geworden und brauchst länger zum Eingewöhnen. Eigentlich brauchst du sowieso mehr Zeit. Na, die wirst du kriegen.
Du gehst also in Rente. Hättest du mitgezählt, wäre das jetzt wahrscheinlich die millionste neue Situation in deinem Leben, und würde es gerecht zugehen, bekämst du dafür eine Anstecknadel. Das mit der Gerechtigkeit hast du dir zum Glück schon vor längerer Zeit abgeschminkt, aber an die Stille und den Mangel an Aufgaben und Zielen gewöhnst du dich lange nicht.
Zum Glück bist du nicht allein, einige Freunde, die damals meinten, sie wüssten ebenfalls nicht, worum es im Leben geht, sind noch da. So könnt ihr darüber lachen, wie naiv ihr damals wart, und euch darüber freuen, wie viel ihr trotzdem geschafft habt. Insgeheim weißt du aber, dass sie eines Tages sterben werden. Der Tod ist zwar nichts Neues für dich, deine Eltern sind bereits tot, aber als sie starben, waren sie dir schon fern. Natürlich tat es furchtbar weh, aber sie waren nicht mehr die Menschen, mit denen du dein ganzes Leben teilst. Nun ist es anders. Doch selbst daran gewöhnst du dich nach einiger Zeit. Bald kennst du dich aus auf Friedhöfen, und die Gespräche bei den Beerdigungen werden routinierter. Schließlich bist du dran.
Lust zu leben hast du sowieso nicht mehr viel. Dein Körper ächzt, du stöhnst den ganzen Tag, schläfst nicht gut, einige deiner besten Freunde sind tot und neben deinem Bett befindet sich eine Apotheken-Zweigstelle. Du darfst nicht essen, was du magst, alles fällt dir schwer, die Straßen von früher findest du nicht wieder, und die jungen Leute verstehst du schon lange nicht mehr.
Du liegst also im Bett, jemand hat dir irgendwas gebracht, es dämmert, und plötzlich weißt du, dass das jetzt nicht bloß der Abend ist, der kommt. Und dann siehst du sie. Die Maschine, die dein Leben war. Wie du ihr brav gefolgt bist, wie du an jeder Abzweigung aus den Vorschlägen gewählt hast, die dir vorgegeben waren, wie du immer gerannt bist, dem Leben hinterher, wie du nie wusstest, was du eigentlich wolltest. Sie haben mir keine Zeit gelassen, rufst du in das Nichts, und eine Stimme antwortet leise: Sie lassen dir nie irgendwas, du musst dir alles nehmen.
Also schließt du die Augen, da ist das Licht, darüber hast du mal im »Spiegel« gelesen, die sind echt gut informiert beim »Spiegel«, und dann zieht noch mal alles vorbei, deine Freundin im Kindergarten und wie sie gelacht hat, die Sonne am ersten Morgen nach der ersten Nacht mit deiner großen Liebe, der ernste, erstaunte, ferne Blick deines ersten Kindes, das Glück in dem einen Gesicht, das über Jahrzehnte beim Aufwachen neben dir lag, und du weißt, es war gut, es war so gut, gelebt zu haben. Dann ist es fort. Deine Augen sind geschlossen, und wenn du sie wieder öffnest, blicken sie in ein anderes Leben. Vielleicht kriegst du es dann besser hin. Vielleicht hast du etwas gelernt ...
Quelle:
http://relax-city.de/