Eine besondere Weihnachtsgeschichte
Jesus - ganz menschlich von Katharina Kruppa
Vor 2000 Jahren wurde Gott als Mensch geboren. Alljährlich feiern wir das. Schöne, idyllische Bilder des kleinen, göttlichen Kindes mit Heiligenschein inmitten von Heerscharen von Engeln. Ich frage mich, war es so idyllisch? War es wirklich ein perfektes Wesen, das da mit
göttlicher Hilfe und geschützt von Gottes dauernd über ihm schwebender Hand seine 33 Erdenjahre verbrachte? Ging er wirklich, ohne die typisch menschlichen Zweifel klar und unbeirrt den ihm seit Beginn der Zeiten vorgezeichneten Weg? War er ein unter uns wandelndes Gottwesen? Ich meine, Jesus wurde ganz und gar Mensch, ohne Privilegien, ganz im Gegenteil.
Und er hatte viel menschliche Hilfe! Beginnen wir also am Anfang: Ungeplant empfangen (zumindest von Seiten Marias ungeplant, ich will ja nicht die göttliche Planung in Frage stellen, sondern die menschliche Seite anschauen), zu einer ungelegenen Zeit (noch nicht verheiratet und wohl noch ziemlich jung, die Mutter). Noch ungelegener die Geburt. Ich denke, auch zu früh. Denn auch damals hat man wohl gewusst, dass eine Schwangerschaft 9 Monate dauert und hätte sich rechtzeitig zum Ort der Zählung einfinden können.
Zumindest noch zu einer Zeit, zu der man sich einen adäquaten Geburtsort und eine Hebamme hätte suchen können. Warum die Großmutter Anna nicht dabei war, lässt nur die Vermutung einer größeren Familienzwistigkeit offen. Welche Mutter einer schwangeren Tochter hätte sonst ihr Kind allein mit einem völlig unerfahrenen Mann
in einer wildfremden Umgebung entbinden lassen. Also ein ungeplantes, zu früh gekommenes Kind einer zu jungen Mutter in ziemlich desolaten Familienverhältnissen. Glaubt man den heutigen Statistiken so gehören diese Kinder zu den absoluten Risikokindern.
Nun, dieses Kind hat trotzdem überlebt. WARUM? Wo kam die Hilfe her?
Knapp nach der Geburt gab es ein ziemliches Spektakel, das wahrscheinlich Mutter und Kind gleichermaßen unberührt gelassen hat. Beide waren sicher zu erschöpft um viel wahrzunehmen. Trotzdem könnte es das Leben des einen oder der anderen gerettet haben. Ich meine nicht die Engel, die haben ja nicht eingegriffen sondern bloß
gesungen, sonst wäre ja das göttliche Privileg wieder da gewesen. Ich meine die Hirten. Menschen. Einfache, menschliche Hilfe: Wahrscheinlich hat einer von ihnen letztendlich eine Hebamme geholt, die der unerfahrenen Mutter bei den ersten Handgriffen beigestanden hat (das wäre übrigens ein wesentlich besseres Geschenk gewesen als der obligate Daumen für das Jesuskindlein, oder auch der Floh oder...). Apropos Floh, der war wahrscheinlich doch realistisch: die Hygiene bei Ochs und Esel war sicher nicht ideal. Also ein denkbar schlechter Start ins Leben. Welche Chance hat denn so ein Kind
noch?
Wieder kommt Hilfe:
Die Ankunft der 3 Weisen ist schwierig vorzustellen. Es muss sich relativ knapp nach der Geburt zugetragen haben, bevor die Mutter wieder reisefähig war, sonst wären ja alle schon auf dem Weg zurück nach Hause gewesen. Ungeladene, überraschende Gäste, noch dazu gesellschaftlich so viel höher stehend, man fragt sich, wie viel Freude das wirklich für die erschöpfte Mutter mit dem winzigen Säugling war. Und die Geschenke: Weihrauch und Myrrhe sind ja auch nicht gerade
das, was man in der Situation am dringendsten braucht. Nur das Gold stelle ich mir hilfreich vor. Trotzdem: Wer weiß, was diese menschliche Begegnung bewirkt hat
Außerdem kam ja mit den Weisen die Nachricht, dass eine Rückkehr nach Nazareth in die Heimat nicht möglich wäre, wegen der Gefahr für das Kind. Rettung vor einem Pogrom. Aber eine Katastrophe für eine junge Familie. Wo auch immer sie vorher waren, damit sind sie gesellschaftlich ganz tief gesunken war: Sie wurden Flüchtlinge,
völlig mittellos. Aus einer kurzen Reise nach Bethlehem, die wahrscheinlich noch vor der Geburt hätte wieder beendet sein sollen, wurde eine jahrelange Flucht. Man kann sich vorstellen wie die Kindheit in einem fremden Land, in dem die Juden seit jeher als Unterklasse betrachtet wurden ausgesehen hat.
Was hat dieses Kind, diese Flüchtlingsfamilie geschützt, damals?
Eines wissen wir aus der Resilienzforschung: Elterliche Liebe ist der größte Schutzfaktor. Und die muss er gehabt haben. Aber diese Liebe, auch das wissen wir, kann nur fließen, wenn sonst ausreichend Schutz vorhanden ist. Und da glaub ich wieder einmal an Menschen: Ägypter, Juden, wer auch immer, die diese sicher völlig verarmte
Familie unterstütz haben müssen
. Viel mehr wissen wir nicht, über die frühe Kindheit: Gebildet war er, das entnehmen wir der darauf folgenden Geschichte aus dem Tempel. Wie die Eltern das geschafft
haben bleibt ein Rätsel. Wieder plädiere ich auf menschliche Hilfe!
Ein großer Sprung: 12 Jahre später, einige Zeit nach der Rückkehr in die Heimat. Die Pubertät beginnt. Loslösung von den Eltern. Bei einem ersten Besuch in der faszinierenden Großstadt Jerusalem findet der offensichtlich hochgebildete Jugendliche endlich Anerkennung: im Tempel. Mit dem Erfolg, dass er sich keinen Deut darum schert, dass seine Eltern ihn bereits 3 Tage (!) verzweifelt suchen, mittlerweile auch alle Bekannten und Verwandten zur Suche nach dem abgängigen Jugendlichen mobilisiert haben. Die zu Recht besorgten, ungehaltenen Eltern werden mit ziemlich unfreundlichen Worten zurückgewiesen. Noch dazu mit einer Antwort, die, so typisch für dieses Alter,
genau den Schwachpunkt der Eltern trifft: Die unklare Herkunft und daher wahrscheinlich recht schwierige Vaterbeziehung und die enormen Erwartungen der Eltern in ihn. Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist? Und auch diese Eltern verstanden nicht, was er damit sagen wollte.
Der nächste Schritt geht zu einem jugendlichen, revolutionären Idol seiner Zeit: Seinem Cousin Johannes. Dem will er sich anschließen, langsam die erwachsene Reife erlangend, völlig losgelöst mittlerweile von den Eltern. Aber auch hier erfährt er Zurückweisung. Er kann nicht getauft werden wie alle anderen sondern wird exponiert.
Da er damit noch nicht umgehen kann flüchtet er in die Wüste.
40 Tage fasten und dann die Begegnung mit dem Teufel. Visionen. Ist es sehr weit hergeholt wenn mir dabei Drogenexperimente einfallen? Wäre es verwunderlich? Eine schwere Kindheit als Flüchtling, ein zweifelsohne hochsensibles Kind, äußerst intelligent mit einer schwierigen Vaterbeziehung und einer Mutter mit extrem hochgesteckten Erwartungen, die (im wahrsten Sinn des Wortes) kein Mensch erfüllen kann. In der kritischen Zeit als es darauf ankommt, erste effektive Schritte zu gehen sucht er Hilfe. Johannes kann oder will sie ihm nicht bieten. Der Teufel bietet sie an. Und plötzlich scheint alles machbar. Du kannst fliegen, die Engel werden Dich tragen, Du kannst Steine in Brot verwandeln und die Welt retten, Du kannst sogar der Herrscher der Welt werden. Träume, und dazwischen immer das böse Erwachen. Trotz denkbar schlechter Voraussetzungen schafft er auch den Weg aus dieser Misere. Wodurch? Das bleibt offen. Klar gemacht wird uns, dass es eine persönliche Entscheidung
des Menschen Jesus war. Vielleicht hervorgerufen durch den Schock der Hinrichtung seines Idols Johannes, dessen Auftrag an ihn klar ist.
Allerdings ist er immer noch nicht soweit, seinen Weg zu gehen. Es finden sich mittlerweile zwar einige, die dieser sicher höchst charismatische Mann anzieht, die mit ihm gehen, er ist nicht mehr alleine, es braucht aber noch eines Anstoßes, um sich zur Öffentlichkeit zu bekennen. Und wieder wird die Mutter des mittlerweile Dreißigjährigen aktiv. Die Situation ist günstig. Eine Hochzeit. Und er soll endlich zeigen, wer er ist. Immer noch wehrt er sich, grenzt sich aber mittlerweile ganz klar gegenüber seiner Mutter ab. Was geht es dich an, was ich tue! Außerdem noch immer ein Zögern: Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Die Frage stellt sich: Wann ist es klar, dass die Zeit da ist. Und die Mutter gibt keine
Ruhe: Was er euch sagt, das tut. Und endlich das erste Wunder. Wie alle Wunder, die er tut keine Hilfe für ihn persönlich, ein göttliches Privileg. Vielleicht eher ein persönlicher Test, ob die Zeit doch gekommen sei. Man fragt sich, wie erstaunt er selbst war, als das Wasser plötzlich Wein war. Alles Weitere ist hinlänglich bekannt. Er wird ein öffentlich sich bekennender Wanderprediger.
Aber immer noch kein perfekter Mensch. Es wird berichtet über Zorn,
über Enttäuschung, über Trauer. Selbst sagt er über sich nie, dass er etwas Besonderes sei. Das sagen immer nur alle anderen über ihn. Und er tut sich mit dieser Verherrlichung auch nicht immer leicht. Und letztendlich wird er als politischer Gefangener gefoltert und mit der Todesstrafe bedacht. Und selbst in dieser Zeit wird ihm, der sich lange innerlich dagegen wehrt kein Privileg zu Teil. Im Gegenteil: Noch ganz knapp vor dem Ende verleugnet er seinen Glauben: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Ein trauriges Ende eines mühevollen Lebens. Alles was danach kommt ist nicht mehr der Mensch, sondern der Auferstandene. Trotz alledem feiern wir Weihnachten als Fest.
So besehen ist es eigentlich kein idyllisches Fest. Die Geburt Jesu war der Beginn eines mühsamen, von menschlichen Zweifeln und Fehlern gefüllten Lebens. Aber vielleicht geht es genau darum. Trotz Risikogeburt, Flüchtlingsdasein, Pubertätskrisen, Drogenexperimenten, schweren inneren Zweifeln war der Weg richtig, und war ein göttlicher Weg, der einzige, der gangbar war. Und viele, viele Menschen, die diesen Weg unterstützt haben! Ohne die der göttliche Weg wie scheinbar sonst so oft gescheitert wäre.
Und ist das nicht das wirklich Schöne an diesem Fest: keine Idylle, sondern reine Menschlichkeit?