Eure Lieblingsgedichte/Texte

Mein geliebter Herr, hab keine Angst, beweg Dich nicht, schweig still, niemand wird uns sehen.

Bleib so, ich will Dich anschauen, ich hab Dich so oft angeschaut, aber Du warst nicht für mich da, jetzt bist Du für mich da, komm nicht näher, ich bitte Dich, bleib, wie Du bist, wir haben eine ganze Nacht für uns, und ich will dich anschauen, ich hab dich nie so gesehen: Dein Körper für mich, Deine Haut, schließ die Augen und berühr Dich zärtlich, ich bitte Dich, lass die Augen zu, wenn du kannst, und streichle Dich.
Deine Hände sind so schön, ich habe so oft von ihnen geträumt, jetzt will ich sie sehen; es gefällt mir, sie auf deiner Haut zu sehen, einfach so, bitte mach weiter, lass die Augen zu, ich bin dicht bei dir, streichle Dich, mein geliebter Herr, streichle dein Geschlecht, sanft, ich bitte Dich.

(...)


Du wirst meine Lippen bekommen. Wenn ich Dich das erste Mal berühre, werde ich es mit meinen Lippen tun, du wirst nicht wissen, wo. Plötzlich wirst du die Wärme meiner Lippen auf Dir spüren, Du kannst nicht wissen, wo, wenn du die Augen nicht öffnest, öffne sie nicht. Du wirst plötzlich meinen Mund spüren, Du weißt nicht wo, vielleicht in Deinen Augen, ich werde meinen Mund auf Deine Lieder und Wimpern legen, Du wirst spüren, wie meine Wärme in deinen Kopf dringt, und meine Lippen in Deine Augen, in sie hinein; oder vielleicht auf Deinem Geschlecht, ich werde meine Lippen darauflegen, und ich werde sie öffnen, während ich langsam tiefer gleite, ich werde es geschehen lassen, dass Dein Geschlecht meinen Mund sanft verschließt, während es zwischen meinen Lippen und gegen meine Zunge drängt, mein Speichel wird auf deiner Haut entlang bis in deine Hand rinnen, mein Kuss und Deine Hand, eines im anderen, auf Deinem Geschlecht, bis ich schließlich dein Herz küssen werde, weil ich Dich will...


aus: "Seide" von Alessandro Baricco, Deutscher Taschenbuchverlag,München, 5. Auflage 2007
 
Im Gedenken - und Dank für die Jahre Freundschaft, Verständnis und Verlässlichkeit:


Sie hat ihre Tochter, Oskar Werner, Axel Corti und das Weinviertel geliebt. Ich hoffe sie fand nun den Frieden, den sie suchte.

Kann dir grad nicht folgen - wer?

ah ja und noch ein paar Zeilen von Rose Ausländer:

Mein Atem

In meinen Tiefträumen
weint die Erde
Blut

Sterne lächeln
in meine Augen

Kommen Menschen
mit vielfarbnen Fragen
Geht zu Sokrates
antworte ich

Die Vergangenheit
hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt

Mein Atem heißt
Jetzt
 
Für Augen, denen der Himmel von seinem Leuchten gab:

Der Blick

Schaust Du mich aus Deinen Augen
lächelnd wie aus Himmeln an,
fühl´ ich wohl, daß keine Lippe
solche Sprache führen kann.

Könnte sie´s auch wörtlich sagen
was dem Herzen tief entquillt,
still den Augen aufgetragen
wird es süßer nur erfüllt.

Und ich seh´ des Himmels Quelle,
die mir lang verschlossen war,
wie sie bricht in reinster Helle
aus dem reinsten Augenpaar.

Und ich öffne still im Herzen
alles, alles diesem Blick.
Und den Abgrund meiner Schmerzen
füllt er strömend aus mit Glück.

(Joseph von Eichendorff)
 
@ Cernunnos66
Schöne Texte, in der Tat! :)

Einer meiner liebsten Texte fehlt allerdings in diesem Thread bisher
(ich hoffe, ich habe ihn nicht überlesen, würde mich aber wundern :confused:),
von Erich Fried:


WAS ES IST

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe


Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe


Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Danke Steirer, ich kannte Bruchstücke daraus und wusste bislang nicht von wem diese Zeilen stammen.

:bussal:
 
@ Steirerbua:

Keine Angst, ich werde jetzt nicht noch einmal die oben angeführten Zeilen kopieren, aber Erich Frieds Was es ist trifft den Nagel auf den meinen Kopf...

Genießer :winke:
 
When you are old and grey and full of sleep,
And nodding by the fire, take down this book,
And slowly read, and dream of the soft look
Your eyes had once, and of their shadows deep;
How many loved your moments of glad grace,
And loved your beauty with love false or true,
But one man loved the pilgrim Soul in you,
And loved the sorrows of your changing face;
And bending down beside the glowing bars,
Murmur, a little sadly, how Love fled
And paced upon the mountains overhead
And hid his face amid a crowd of stars.

( W.B.Yeats )​
 



O dieses ist das Tier, das es nicht gibt.
Sie wußtens nicht und haben jeden Falls
- sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
bis in des stillen Blickes Licht - geliebt.

Zwar war es nicht. Doch weil sie´s liebten, ward
ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
Und in dem Raume, klar und ausgespart,
erhob es leicht sein Haupt und braucht kaum

zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,
nur immer mit der Möglichkeit es sei.
Und die gab solche Stärke an das Tier,

daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.
Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei
- und war im Silber-Spiegel und in ihr.



r.m. rilke - sonette an orpheus, vers IV
 
Hatten wir wohl noch nicht:

"... Nun steckt aber in jedem Fall, auch im alltäglichsten von Liebe,
der Grenzfall, den wir, bei näherem Zusehen, erblicken können und
vielleicht uns bemühen sollten, zu erblicken.
Denn bei allem, was wir tun, denken und fühlen, möchten wir manchmal
bis zum Äußersten gehen. Der Wunsch wird in uns wach, die Grenzen zu
überschreiten, die uns gesetzt sind. Nicht um mich zu widerrufen,
sondern um es deutlicher zu ergänzen, möchte ich sagen: Es ist auch
mir gewiß, daß wir in der Ordnung bleiben müssen, daß es den Austritt
aus der Gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen.
Innerhalb der Grenzen aber haben wir den Blick gerichtet auf das
Vollkommene, das Unmögliche, Unerreichbare, sei es der Liebe, der
Freiheit oder jeder reinen Größe. Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem
Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen,
dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich,
kommt es an; daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn
wir uns nähern, sich noch einmal entfernt. ... "

Ingeborg Bachmann
"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar"
 
Innerhalb der Grenzen aber haben wir den Blick gerichtet auf das
Vollkommene, das Unmögliche, Unerreichbare, sei es der Liebe, der
Freiheit oder jeder reinen Größe. Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen, dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an; daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt. ... "

Ingeborg Bachmann
"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar"

:) :daumen:
 
Ich bin

Ich bin jenseits von dem
Was ich zu sein scheine:
Eine Person nicht
Eine Geschichte nicht
Ein Ort nicht
Eine Geburt nicht
Ein Tod nicht.

Ich bin das Unfassbare
Ein Punkt am Himmel
Den schauend die Sehnsucht ergreift
Hineinzugehen
In eine Person
Eine Geschichte
Einen Ort
Eine Geburt
Einen Tod.

Bis ich erfüllt bin
Dann plötzlich leer
Und zurück
In den Punkt am Himmel
Unendlich weit und friedvoll
Stille.
(Reinhard Lier)
 
Hatten wir wohl noch nicht:
[...]
Ingeborg Bachmann
"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar"

Oder anders, aber welch wunderbarer Gleichklang:

Es verwirrt uns, die wir seiend heissen,
immer so zu leben. Nur von Bildern
und wir möchten manches Mal mit wildern
Griffen Wirklichkeiten in uns reißen.
Stücke, Abzufühlendes, ein Sein.

R. M. Rilke
 
Mal wieder was von Baudelaire

Die Katze

Komm, schöne Katze an mein verliebtes Herz; zieh nur deiner Tatzen Krallen ein und laß mich tief in deine schönen Augen tauchen, deine Augen aus Achat und Erz.

Wenn meine Finger müßig deinen Kopf und deinen biegsamen Rücken streicheln und meine Hand sich an der Lust berauscht, deinen elektrischen Körper zu betasten,

Dann seh im Geiste ich mein Weib. Ihr Blick wie der deine, liebenswürdiges Tier, tief und kalt, dringt ein und spaltet wie ein Spieß,

Und von den Füßen bis zum Scheitel schwimmt betörend ein zarter Hauch, ein Duft um ihren braunen Leib.


Traurige Luna

Lässiger als sonst träumt Luna heute abend; wie eine Schöne, die auf vielen Kissen ruht und deren achtlos leichte Hand, eh sie entschlummert, liebkosend über ihre Brüste streicht,

So auf dem Seidenrücken weicher Lawinen gibt sie ersterbend sich langer Ohnmacht hin, und ihre Augen wandern über weiße Traumgesichte, die wie Blüten aufsteigen in das Blau.

Wenn sie in träger Muße bisweilen auf diese Erde verstohlen eine Träne niederrinnen läßt, fängt fromm ein Dichter, dem Schlafe feind,

In seine hohle Hand die fahle Träne auf, die wie ein Stück Opal in Regenbogenfarben schillert, und birgt sie, den Sonnenblicken fern, in seinem Herzen.

 
Dann bleiben wir in fremden Landen - und einem, der in einem Atemzug mit Baudelaire genannt werden muss


Im Ambrazischen Golf

In blauer Nacht wie Silberflor
Liegt Mondenlicht auf Aktiums Feld;
Hier, um ein schönes Weib verlor'
Antonius die alte Welt.

Ich seh' es, das azurne Grab,
Wo einst die Römerleichen lagen,
Wo stolze Macht den Herrscherstab
Wegwarf, um Schönheit zu erjagen.

Florenzia lieb' ich, wie nur je
Die Lieb' ein junges Herz bezwang,
Seit Orpheus die Eurydice
Vom Höllengott zurück ersang.

Wie lustig war es, so zu wetten,
Den Weltkreis gegen Minnelohn!
Wenn Dichter Land wie Lieder hätten,
Du hättest manchen Marc Anton.

Wir können nicht wie Römer leben,
Jedoch, bei deines Auges Licht!
Ich kann die Welt für dich nicht geben,
Doch gäb' ich dich für Welten nicht.

(14. Nov. 1809)
(George G. N. Byron; übersetzt von Otto Gildemeister 1823-1902)

...und noch eines:

An M.

O strahlte doch in deinen Blicken
Für stolze Glut ein mildrer Schein,
Du würdest weniger bestricken,
Doch desto liebenswürd'ger sein.

Du bist so himmlisch-schön gestaltet,
Doch schreckt uns dieser Flammenblick;
Wir staunen; doch der Zweifel waltet
Und drängt die Zärtlichkeit zurück.

Als die Natur dich rief in's Leben,
Erschien dein Zauber ihr so groß,
Daß sie befürchtete mit Beben,
Du seiest für den Himmel bloß.

Und um ihr liebstes Werk zu schützen,
Dem keines Engels Schönheit gleicht,
Ließ sie aus deinem Auge blitzen
Den Glanz, den nie ein Blitz erreicht.

Der Sylphe muß vor dir erblassen,
Wenn er im Mittagsglanze brennt,
Dein Strahl muß Alle magisch fassen,
Denn Feuer ist dein Element.

Man sagt von Berenice's Locken,
Sie prangten in der Sternenwelt,
Doch all' ihr Glanz – er würde stocken,
Erschienst du an dem Himmelszelt.

Wenn deine Augen Sterne wären,
Säh' man die Schwestersterne nicht,
Und selber ganzen Sonnenheeren
Gebräche neben dir das Licht.

(Übersetzt von Ernst Ortlepp 1800-1864)
 
Heute ein für mich wunderschöne Text von Pierre Stutz, der ihn in Anlehnung an das Hohelied der Liebe Salomons, ein Buch des Alten Testamentes, verfasst hat.

Schön bist du
deine Bewegungen holen mich hinein
in den großen Lebensfluss

In unseren Begegnungen
fließt die erotische Kraft der Liebenden
deren spirituelle Wurzeln
du so kraftvoll besingen kannst

Du suchst mich
und ich lasse mich von dir finden
weil weder du noch ich
zu haben sind

Wir suchen einander
auf der Spur der Sehnsucht
lernen einander in der Verschiedenheit anzunehmen
um konfliktfähig zu werden
um einander weiten Raum zur Entfaltung zu eröffnen

Schön bist du
durch dich wage ich zu sagen:
Gott ereignet sich in unserer Hingabe

Schön bist du
im Augenblick erahne ich
wie sich unsere Seelen tief berühren

Schön bist du
im wild-zärtlichen Zusammensein
sind Raum und Zeit wie aufgehoben

Wir suchen uns in der erotischen Lebenskraft
wir finden uns im tiefen Angerührtsein
wir lassen uns im Anerkennen unserer Einmaligkeit

Schön bist du
unser Urgrund allen Lebens
hat uns zur Liebe zusammengeführt

Wir suchen uns in der Sehnsucht nach Geborgenheit
wir finden uns im Bewirken einer zärtlicheren Gerechtigkeit
wir lassen uns im Annehmen unserer Verschiedenheit.
 
... is a schnöder 2 zeiler:
jez geds rund!
zerscht in oasch und donn in mund!

Keine Berechtigung Bilder zu betrachten - Bild entfernt.
 
Ist zwar "nur" ein Lied, aber vieles von Herrn Regener ist für mich auch "Poesie" ;)

Das Leben lief im Schweinsgallop, die Liebe war ein Fest, der Mensch war gut
Damals hinterm Mond
Der Whisky war ein Kitzel und das zweite Glas unser ganzes Hab und Gut
Damals hinterm Mond
Zu trinken gab es nie zu viel und abends wusst ich immer, wo du warst
Was haben wir gelacht
Damals hinterm Mond
Ein Blick war ein Versprechen, nichts als Lächeln war die Welt, der Mensch war gut
Damals hinterm Mond
Regeln warn zum Brechen da, wir kämpften mit der Kraft gesunder Wut
Damals hinterm Mond
Zu streiten gab es nie zuviel und abends wusst ich immer, wo du warst
Was haben wir geliebt
Damals hinterm Mond
Ein nackter Bauch war Himmel und die Hölle eine Bank, der Mensch war gut
Damals hinterm Mond
Der Baggersee war Ozean
Die Ente war ein Schwan, ein Topf ein Hut
Damals hinterm Mond
Zu spielen gab es nie zuviel und abends wusst ich immer, wo du warst
Was haben wir gelacht
Damals hinterm Mond
 
Ich möchte Dich lieben, ohne Dich einzuengen;
Dich wertschätzen, ohne Dich zu bewerten;
Dich ernst nehmen, ohne Dich auf etwas festzulegen;
Zu Dir kommen, ohne mich aufzudrängen;
Dich einladen, ohne Forderungen an Dich zu stellen;
Dir etwas schenken, ohne Erwartungen dran zu knüpfen;
Dir meine Gefühle mitteilen, ohne Dich dafür verantwortlich zu machen;
Dir helfen, ohne Dich zu beleidigen;
mich um dich kümmern, ohne Dich verändern zu wollen;
mich an Dir freuen, sowie Du bist.

(VerfasserIn unbekannt)
 
Ich möchte Dich lieben, ohne Dich einzuengen;
Dich wertschätzen, ohne Dich zu bewerten;
Dich ernst nehmen, ohne Dich auf etwas festzulegen;
Zu Dir kommen, ohne mich aufzudrängen;
Dich einladen, ohne Forderungen an Dich zu stellen;
Dir etwas schenken, ohne Erwartungen dran zu knüpfen;
Dir meine Gefühle mitteilen, ohne Dich dafür verantwortlich zu machen;
Dir helfen, ohne Dich zu beleidigen;
mich um dich kümmern, ohne Dich verändern zu wollen;
mich an Dir freuen, sowie Du bist.

(VerfasserIn unbekannt)

hier findet man die Verfasserin ;)
 
Eugen Roth:

Ein Mensch, der wollte Recht behalten!
So kam´s vom Haar- zum Schädelspalten!

:confused:
 
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