Eure Lieblingsgedichte/Texte

Ich liebe Fried. Seine Gedichte begleiten mich schon sehr, sehr lange. Und die von dir zitierte Passage bringt mich immer noch zum Erschauern.
 

Ja, Frieds Gedichte sind es wert, sie anzuhören. Aber zur Abwechslung möchte was ganz Anders präsentieren .......



Nis Randers

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd –
Ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man's gut.
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich's der Abgrund.

Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: "Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen."

Da fasst ihn die Mutter: "Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will's, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!"

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
"Und seine Mutter?"

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muss es zerschmettern ...! Nein, es blieb ganz! ...
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des anderen springt
Mit stampfenden Hufen!

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? – Ein Boot, das landwärts hält –
Sie sind es! Sie kommen!

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt ...
Still – ruft da nicht einer? – Er schreit's durch die Hand:
"Sagt Mutter, 's ist Uwe!"


Otto Ernst 1901
 
Ich finde auch die frühen Ringelnatz-Gedichte sehr schön, die wohl die meisten kaum als solche erkennen würden.


Jung Sterben

Jung sterben - in besten, noch hoffenden Jahren -
Wie schön muß das sein!
Du Hättest nur Gutes, nur Frohes erfahren.
Blieb Alles dein.

Und es blieb an der Stätte, wo du begraben,
Nur Liebe zurück.
So gar nichts Trübes gekostet zu haben -
Wär’s nicht ein Glück?


Auf dem Kirchhof

Dort ruhen sie unter den Hügeln.
Unsere Augen sehen sie nimmer erwachen.
Auf der Mauer hockt mit gebrochenen Flügeln
das Lachen.

Fern in den Wolken verhallt die Klage.
Bittere Tränen trocknet der Wind,
und aus Kränzen stiehlt sich die zitternde Frage:
Wohin sie gegangen sind.​
 
Zuletzt bearbeitet:
Sie war ein Blümlein hübsch und fein

Gedicht von Wilhelm Busch

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,
Heil aufgeblüht im Sonnenschein,
Er war ein junger Schmetterling,
Der selig an der Blume hing.

Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum.
Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.
Doch was am meisten ihn entsetzt,
Das Allerschlimmste kam zuletzt.

Ein alter Esel frass die ganze
Von ihm so heissgeliebte Pflanze.
 
Ein dem Busch "nachempfundenes" Gedicht habe ich mal bei einem Gedichtswettbewerb über "Novalis Blaue Blume der Romatik" gelesen. Alles ergab sich der tiefempfundenen Romatik der Blauen Blume, bis ein Esel sie abfras.

Kennt Ihr eigentlich Carl Wolff? Ein Studierter Dr. der durch Schwabing tingelte und dort für Suppe und Bier seine Gedichtchen vorlas. So um 1936 wurde er wohl lestmalig aufgelegt. Man findet ihn aber noch antiquarisch im internet zB. seine "Unzulänglichkeiten" und "Das Grün-Spanferkel".
Hier ein paar Kostproben:

Der Rahmen

Der Bilderrahmen sitzt nach alter Sitte
rings um das Bild. Das Bild sitzt in der Mitte.

Das Bild als solches sagt uns vielerlei.
Der Rahmen ist nur äußerlich dabei.

Zeigt auch das Bild die sonnigsten Gefilde,
der Rahmen leider, der ist nie im Bilde.


Die Rose


Meiner Liebsten heftete ich lose
an den Gürtel eine dunkelrote Rose.

Noch bevor die Sonne sank,
wurde meine Liebste krank.

Diagnose:
Gürtelrose.

Nägel

Nägel sitzen meistens an der Wand.
Andre Nägel sitzen an der Hand.

Daß der Hammer sie nicht unterscheidet,
ist, woran der Fingernagel leidet.

Der Feuermelder


Der Feuermelder, weil man ihn so nennt,
soll immer melden, wann und wo es brennt.

Im steten Vollbewußtsein dieser Pflicht
kränkt ihn das eine: Meistens brennt es nicht.

Und doch, da glüht der Tabak, hier ein Herz.
Genau genommen, brennt es allerwärts.

Das merkt er alles aus Intelligenz
und möchte dauernd schrein: Hallo. Hier brennt’s!

Das darf er nicht. Vorher muß er sich fragen:
Ist meine Scheibe denn auch eingeschlagen?

Er tut mir leid. Man kriegt das Leben satt,
wenn man so selten was zu melden hat.

Der Tausendfüßler

Ein Frosch, der auf vier Beinen hüpft,
hüpft dadurch, daß er diese lüpft.

Sechs Beine hat der Hundefloh;
mit diesen macht er’s ebenso
und kann, weil er zwei mehr besitzt,
bewirken, daß er höher flitzt.

Ich möchte, um Rekord zu hüpfen,
in einen Tausendfüßler schlüpfen
und plötzlich alle Füße lüpfen.

Die Anschlagsäule

Eine Anschlagsäule steht vor meinem Haus,
die sieht immer etwas ängstlich aus.
Gestern sah ich, daß sie heimlich zitterte,
weil sie einen neuen Anschlag witterte.
 
Ein dem Busch "nachempfundenes" Gedicht habe ich mal bei einem Gedichtswettbewerb über "Novalis Blaue Blume der Romatik" gelesen. Alles ergab sich der tiefempfundenen Romatik der Blauen Blume, bis ein Esel sie abfras.

Kennt Ihr eigentlich Carl Wolff? Ein Studierter Dr. der durch Schwabing tingelte und dort für Suppe und Bier seine Gedichtchen vorlas. So um 1936 wurde er wohl lestmalig aufgelegt. Man findet ihn aber noch antiquarisch im internet zB. seine "Unzulänglichkeiten" und "Das Grün-Spanferkel".
Hier ein paar Kostproben:

*schmunzel* Die sind ja ganz entzückend lustig und komisch. Nie jemals gelesen/gehört! Vielen Dank!!
 
@ klaus-h

Apropos "Der Bilderrahmen" fällt mir ein:
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Menschliches Elende

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
und wie ein Stroß verscheußt, den keine Macht aufhält,
so muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muss mit der Luft entfliehn.
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden!


Andreas Gryphius
 
Die Liebende von Rilke

Das ist mein Fenster. Eben
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben.
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?

Ich könnte meinen, alles
wäre noch Ich ringsum;
durchsichtig wie eines Kristalles
Tiefe, verdunkelt, stumm.

Ich könnte auch noch die Sterne
fassen in mir; so groß
scheint mir mein Herz; so gerne
ließ es ihn wieder los

den ich vielleicht zu lieben,
vielleicht zu halten begann.
Fremd, wie niebeschrieben
sieht mich mein Schicksal an.

Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt,
duftend wie eine Wiese,
hin und her bewegt,

rufend zugleich und bange,
daß einer den Ruf vernimmt,
und zum Untergange
in einem Andern bestimmt.
 
Auszug aus Reise ans Ende der Nacht von Louis-Ferdinand Céline

...Er hatte natürlich auch große Angst. Anfänger. Er zauderte, er stotterte sogar wie ein Ahnungsloser herum. Kein Weg mehr und auch kein Licht dort, wo wir waren, stattdessen nur noch Vorsichtsmaßnahmen, die wir einander weitergaben, aber an die wir auch nicht mehr so richtig glaubten. Die Worte, die man sich in solchen Situationen zur Beruhigung zuruft, kommen nirgends an. Keinerlei Echo, man ist aus der Gesellschaft heraus. Die Angst sagt weder ja noch nein. Sie verschluckt alles, was man sagt, die Angst, alles, was man denkt.
In solchen Fällen hilft es nicht mal mehr, im Dunkeln die Augen aufzureißen. Es herrscht das Entsetzen vorm Verlorensein, und fertig. Die Nacht hat alles an sich gerissen, sogar die Blicke. Sie saugt einen ganz aus. Trotzdem muss man einander an der Hand nehmen, sonst stürzt man. Die Tagmenschen verstehen einen nicht mehr. Man ist von ihnen durch all die Angst getrennt, die einen erdrückt, bis zu dem Moment, an dem alles vorbei ist, so oder so, und dann kann man sich endlich wieder anschließen, den Schweinehunden der ganzen Welt, im Tod oder im Leben...
 
aus Die Kunst des Liebens von Fromm

...Im Akt der Vereinigung erkenne ich dich, erkenne ich mich, erkenne ich alle die anderen, und ich "weiß" doch nichts. Ich erkenne auf die einzige Weise, in welcher dem Menschen Erkenntnis des Lebendigen möglich ist: im Erleben von Einheit - und nicht aufgrund des Wissens, das mir mein Verstand vermittelt...
 
aus Die Kunst des Liebens von Fromm

...Im Akt der Vereinigung erkenne ich dich, erkenne ich mich, erkenne ich alle die anderen, und ich "weiß" doch nichts. Ich erkenne auf die einzige Weise, in welcher dem Menschen Erkenntnis des Lebendigen möglich ist: im Erleben von Einheit - und nicht aufgrund des Wissens, das mir mein Verstand vermittelt...

Du triffst mich mit deinen Texten häufig direkt ins Herz. Und das schon in deinen jungen Jahren. Wie schön.
 
Du triffst mich mit deinen Texten häufig direkt ins Herz. Und das schon in deinen jungen Jahren. Wie schön.

das freut mich liebe Salome... wie schon geschrieben, auch ich finde in dieser virtuellen Goldgrube hin und wieder einen fremden Schatz der mich bereichert


wieder ein Gedicht aus "Mir zur Feier", überhaupt einer meiner Lieblingsbände von Rilke

Träume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel lass sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schoß.

Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur die Gebärde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn -



und noch ein Gedicht aus "Dir zur Feier" welches Rilke speziell für seine Lou Salome angefertigt hat ;)

Sei du mir Omen und Orakel
und führ mein Leben an zum Fest,
wenn meine Seele, matt vom Makel
Die Flügel wieder fallen läßt.

Gib mir das Niebeseßne wieder:
das Glück der Tat, das Recht zu Ruhn, -
mit einem Wiegen deiner Glieder,
Mit einem Blick für meine Lieder,
Mit einem Grüßen kannst du´s tun.
 
Du bleibst in mir bewahrt.
Du Fremdes bist mein Eigen
und wirst nicht altern je
an Zeit und Leid.
Dich will ich hüten,
dich verschweigen,
dich trag ich, wie du bist,
in meine Ewigkeit

Heinrich Suso Waldeck
 
Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt.
Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.

Simon Dach
 
O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb'!
Und mach' ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.

O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
- Sie sehn den andern nimmermehr -
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.

Und sprichst: O schau' auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!

Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!

Er tat's, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort -
Doch still - er ruht, er ist am Ziel!

O lieb', solang du lieben kannst!
O lieb', solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,

Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Ferdinand Freiligrath

Die ersten beiden Strophen wurden von Franz Liszt im "Liebestraum" vertont - wunderschön, romantisch und elegisch.
 
Irgendeiner dieser Abende, aus denen ein Leben besteht. Pizza, Kino, Kneipe. Mit Freunden über Arbeit reden, die keine Kohle einbringt, und über den Urlaub, der Kohle kostet- an irgendeinem Abend über irgendwas reden. Aber dann, an irgendeinem dieser Abende, kommt der Zeitpunkt, wo du nach Hause gehst. Nächtliche, ausgestorbene Straßen wie in einem Film über italienische Emigranten in Amerika, das Auto fährt endlos lange Alleen entlang, das Autoradio läuft. Die Musik reinigt deine Seele von den doppeldeutigen Anspielungen der Kellner, von den Krümeln, die du auf dem Tischtuch zu Häufchen aufgetürmt hast, als die Unterhaltung etwas ins Stocken und Schleudern kam, von den Banalitäten, die du gehört und die du von dir gegeben hast. Du streichst dein Haar aus dem Nacken und lässt es locker auf die Nackenstütze fallen. Das alte Band, noch ohne Dolby aufgenommen, ächzt und stöhnt, und die Musik säubert dein Blut von dem Unrat des Abends- und aus diesem Unrat taucht wieder der Gedanke an mich empor.
Und wenn aus unserer Geschichte eine tragische, ernste Sache würde (nur mal angenommen)? Ohne Ungereimtheiten und Niemandsland. Eine dieser ganz alltäglichen Geschichten, in denen man sich eines Tages- wer weiß, wie und warum- bewußt wird, dass alles so normal, alles nur normal ist.
Mitternacht und fünfzig Minuten. Diese Uhrzeit zeigen die phosphoreszierenden Zeiger auf dem Armaturenbrett an. Das Stück, das dir gerade die Seele reinigt, ist Johnny Guitar. Und du fährst und versuchst, an nichts zu denken, aber du denkst an mich, und das Auto bringt dich unter meinen Balkon, auf die andere Straßenseite. Und hinter der Balkontür scheint ein blasses, flackerndes Licht. Die Rolladen sind hochgezogen, und nur eine Geranie zeichnet ihren wehrlosen schwarzen Schatten vor das aufblinkende Licht, das sich kontinuierlich ändert, zu schnell für Johnny Guitar. Und du betrachtest sie.
Dann öffnet sich die Balkontür. Und ich trete auf den Balkon. Ich neige mich vornüber, beuge mich zu einem kleinen Schrank hinunter, richte mich wieder auf. Und verharre so einige Augenblicke. Reglos. Mit diesem flackernden Licht im Rücken und der Nacht ringsum. Halbnackt, der zierliche Nacken unter den zusammengebundenen Haaren, die zarte Linie zwischen Hals und Schultern. Dann dreh ich mich um, zu dir hin. Vielleicht kannst du mein Gesicht nicht erkennen, aber du weißt, dass ich dich ansehe, dass ich dich anlächle- du fühlst meinen Blick und mein Lächeln auf deiner Haut. Ich hebe eine Hand und winke dir zu, wie ich es immer tu, auch wenn du mein Gesicht siehst.

Wird es eines Tages auch uns passieren- dass der eine sagt: >Ich habe Lust auf dich<, und der andere antwortet: >Ich aber nicht<?
Vielleicht, gib es zu. Aber solange du noch keine Angst hast, ich könnte merken, dass du elf Jahre vor mir alt wirst, solange es so schön ist,....
 
Irgendeiner dieser Abende, aus denen ein Leben besteht. Abendessen, Zigarette, Fernsehen. Mit deinem Vater über die Arbeit reden, die du finden musst, und über den Urlaub, den ihr planen müsst- an irgendeinem Abend über irgendwas reden. Aber dann, an irgendeinem dieser Abende, kommt der Zeitpunkt, wo du alleine bleibst. Dein Vater muss früh aufstehen und geht deshalb zeitig schlafen, du schaltest um auf MTV und drehst den Ton etwas leister- hier laufen Videos mit schwarzen Jugendlichen, die schnell zu Rap- Musik reden und sich ruckartig bewegen, als wollten sie sich mit jeder Drehung tiefer in den Boden rammen. Du kneifst die Augen zusammen, bis der Bildschirm und der Rest der Welt ihre Konturen verlieren, bis du nur noch das Pochen der Musik wahrnimmst, das Pochen deines Herzens, während du den künstlichen Eisblock an deinen Nacken, deine Schultern, deine Brust hälst- und zwischen Pochen und schaudern taucht wieder der Gedanke an mich empor.
Und wenn wir, wo sich langsam, aber sicher alle daran gewöhnen, uns zusammen zu sehen, wir uns nun auch daran gewöhnen (nur mal angenommen)? Die Lippen auf mich legen und nicht mehr wissen, was für ein Glück es ist, dies tun zu können, und es- wer weiß, wie und warum- als etwas ganz Normales betrachten, nur als etwas ganz Normales.
Mitternacht und fünfzig Minuten. Diese Uhrzeit zeigen die phosphoreszierenden Zeiger an der Wand an. Du hast die Augen einmal weit aufgerissen- sie brennen, durch das ständige Kneifen und Verdrehen- und wunderst dich fast, dass die Welt so klar ist. Du schaust MTV und versuchst, an nichts zu denken, aber du denkst an mich. Wärst du gern ein paar Jahre älter, damit du mit mir ausgehen könntest, so oft es dir gefällt und so lange du willst? Du antwortest dir nicht, stehst auf, holst dir in der Küche eine Sprite, um den Durst zu löschen- aber der Kühlschrank ist leer. Vielleicht sind im Balkonschrank noch Dosen.
Also öffnest du den Balkon, neigst dich vornüber, beugst dich zu dem kleinen Schrank und holst eine Sprite heraus. Und als du dich wieder aufrichtest, entdeckst du mich. Siehst den gelben Méhari auf der anderen Strassenseite, ohne Verdeck. Du siehst mich. Wie ich dich ansehe, mir die Haare hinter dir Ohren klemme und dir ein Lächeln andeute, mein übliches trauriges Lächeln. Du fragst dich, ob ich wohl dein Gesicht erkennen kann, ob ich weiß, dass du mich ansiehst, dass du mich anlächelst- und währenddessen streife auch ich deine Haut mit meinem Blick und meinem Lächeln. Du hebst eine Hand und winkst mir zu, wie du es immer tust, auch wenn ich dein Gesicht sehen kann.
Wird es eines Tages auch uns passieren- dass wir wegen einer falsch ausgedrückten Zahnpastatube einen Streit anzetteln?
Vielleicht, gib es zu. Aber solange du noch keine Angst hast, ich könnte merken, dass du elf Jahre nach mir alt wirst, solange es so schön ist,....




- Alessandra Montrucchio -
 
Die Welt unser Traum von Hermann Hesse

Nachts im Traum die Städt’ und Leute,
Ungeheuer, Luftgebäude,
Alle, weißt du, alle steigen
Aus der Seele dunklem Raum,
Sind dein Bild und Werk, dein eigen,
Sind dein Traum.

Geh am Tag durch Stadt und Gassen,
Schau in Wolken, in Gesichter,
Und du wirst verwundert fassen:
Sie sind dein, du bist ihr Dichter!
Alles, was vor deinen Sinnen
Hundertfältig lebt und gaukelt,
Ist ja dein, ist in dir innen,
Traum, den deine Seele schaukelt.

Durch dich selber ewig schreitend,
Bald beschränkend dich, bald weitend,
Bist du Redender und Hörer,
Bist du Schöpfer und Zerstörer.
Zauberkräfte, längst vergeßne,
Spinnen heiligen Betrug,
Und die Welt, die unermeßne,
Lebt von deinem Atemzug.
 
die welt sieht pastell zu mir durchs fenster
ich träume mir löcher in den kopf
du hast mich total eingenommen
hälst jede zelle besetzt
hast meinen gipfel erklommen
mir gezeigt wie man berge versetzt

liegt meine seele in falten
bügelst du sie auf
schlugst mir das glück um die ohren
hast mir den atem geraubt
mich erhitzt, mich erfroren
hast immer an mich geglaubt

weiß ich weder ein noch aus, weiß ich:
du hievst mich aus jedem tief
auch aus dem tiefsten tief heraus

ist nicht nur, daß ich dich liebe
ist nicht nur, daß ich dich mag
ich wüßte wirklich nicht
wo ich ohne dich bliebe
ohne dich keinen tag

du holst mich aus den wolken
stellst mich auf den boden zurück
dir was vorzumachen ist schwierig
du liest in meinem gesicht
ich lieb dich, ich lieb dich
mehr geht leider nicht

du lachst mir mut zu wann immer ich's brauch
du lachst mir mut zu, und alles andere
alles andere tust du auch

ist nicht nur....

"Mehr geht leider nicht"' aus der CD "Sprünge" von Herbert Grönemeyer
 
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