Eure Lieblingsgedichte/Texte

Reimeschmied
und Zeilenzimmerer


Ich sitz an meinem Tisch allein
Und schmiede einen kleinen Reim,
Aus dem sogleich ein Scherzlein spricht.
Jedoch ein Dichter bin ich nicht!

Ich zimmere so manche Zeile
Und mach sie glatt mit meiner Feile.
Betrachte sie in hellem Licht.
Jedoch ein Dichter bin ich nicht!

Ich backe Worte, so wie Plätzchen,
versuche mich an schönen Sätzchen
und mach ein duftendes Gericht.
Jedoch ein Dichter bin ich nicht!

Ich leime Buchstaben zusammen,
die niemals zueinander kamen
und hoffe, dass auch keiner bricht.
Jedoch ein Dichter bin ich nicht!

So geht es mir mit vielen Dingen!
Ich kann nicht tanzen oder singen,
ob ihr es glaubet oder nicht!
Und auch ein Dichter bin ich nicht!

(slowfox 2007)
 
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
wie schön sich Bild an Bildchen reiht -
das geht in Ruh und Schweigen unter.
Georg Trakl
 
Karmaregeln ... :mrgreen:
.....
Gefunden im Web - Verfasser unbekannt

Absolut genial...danke fürs Finden!

@Slowfox, also das schreit ja förmlich nach nem eigenen Thread! Gefällt mir gut, Dein Gedicht!

Hier kann ich mich nur anschließen, wär super, wenn du einen Gedichtethread aufmachen würdest!

Und hier eins meiner Lieblingsgedichte...
Weil du die Tage
zu Schiffen machst,
die ihre Richtung kennen.

Weil dein Körper lachen kann.

Weil dein Schweigen Stufen hat.

Weil ein Jahr
die Form deines Gesichts annimmt.

Weil ich durch dich verstehe,
dass es Anwesenheit gibt,

liebe ich dich.

Walter Helmut Fritz

 
Mein Lieblingsgedicht von Erich Fried:

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
 
Ein ewiges Träumen

voll süßesten Lebensüberschuss -
rastlos, - mit bangen Schmerzen innen, in der Seele. -
Lodert, brennt, wächst nach Kampf, -
Herzenskrampf.
Wägen - und wahnwitzig rege mit aurgeregter Lust. -
Machtlos ist die Quald des Denkens,
sinnlos, um Gedanken zu reichen. -
Spreche die Sprache des Schöüßfers und gebe. -
Dämone ! Brecht die Gewalt ! -
Eure Sprach, - Eure Zeichen, - Eure Macht.

(Egon Schiele. 1809-1918)
 
Ich war 16 als ich zum ersten Mal von ihm gelesen habe. Das hat meine Welt verändert bis heute.

Wolfgang Borchert

:daumen: Ich war ungefähr 18 als ich "Draussen vor der Tür" auf der Bühne sah ... Beckmanns Frage: "Ach, du bist der liebe Gott. Wer hat dich eigentlich so genannt, lieber Gott? Die Menschen? Ja? Oder du selbst?" fand ich damals und heute spannend... ;)

Von mir heute etwas ganz anderes - Reich-Ranicki nennt es "Gebrauchslyrik" - ich finde es damals wie heute einfach treffend:

Die Entwicklung der Menschheit (Erich Kästner)

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
 
@ LaFemme...was können denn die armen Affen dafür, dass ihre Cousins nicht gerade Gottes größte Kreation sind.... :?:? ;)

Vergiss es nicht

Es ist kein Tag so streng und heiß,
Des isch der Abend nicht erbarmt,
Und den nicht gütig, lind und leis
Die mütterliche Nacht umarmt

Auch du mein Herz, getröste dich,
So heiß dein Sehnen dich bedrängt,
die Nacht ist nah, die mütterlich
In sanfte Arme dich empfängt.

Es wird ein Bett, es wird ein Schrein
Dem ruhelosen Wandergast
Von fremder Hand bereitet sein,
Darin du endlich Ruhe hast.

Vergiss es nicht, mein wildes Herz,
Un liebe sehnlich jede Lust
Und liebe auch den bittern Schmerz,
Eh du für immer ruhen musst.

Es ist kein Tag so streng und heiß,
Des sich der Abend nicht erbarmt,
Und den nicht gütig, lind und leis
Die mütterliche Nacht umarmt.

(Hermann Hesse, 'Die Hölle ist überwindbar')
 
@ LaFemme...was können denn die armen Affen dafür, dass ihre Cousins nicht gerade Gottes größte Kreation sind.... :?:? ;)

Was fragst du mich? :mrgreen:

so - mal wieder was Ernsteres von Ingeborg Bachmann:


Erklär mir, Liebe


Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat's Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen -

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.
 
Aus dem Zauberer von Oz


Somewhere over the Rainbow

Irgendwo,über dem Regenbogen, ganz oben,
Gib´t es ein Land von dem ich einmal in einem Wiegenlied hörte.
Irgendwo,über dem Regenbogen, ist der Himmel blau,
Und der Traum, den du wagtest zu träumen,
wird wirklich wahr.

Irgendwann werde ich mir wünschen auf einem Stern zu sein, und aufzuwachen, wo die Wolken ganz nah hinter mir sind.
Wo die Probleme hinweg schmelzen wie Zitronen Bonbons.
Weg von den Schornstein-Spitzen,
Dort wirst du mich finden.

Irgendwo, über dem Regenbogen, fliegen blaue Vogel
Vögel fliegen über den Regenbogen.
Warum denn - oh, warum kann ich's nicht?

Wenn glückliche blaue Vögel fliegen,
Jenseits des Regenbogens;
Warum - oh, warum kann ich's nicht?
Wenn glückliche blaue Vögel fliegen,
Jenseits des Regenbogens;
Warum - oh, warum kann ich's nicht?
 
Einfach nur schön:

About the Sheltered Garden Ground

About the sheltered garden ground
The trees stand strangely still.
The vale ne'er seemed so deep before,
Nor yet so high the hill.

An awful sense of quietness,
A fulness of repose,
Breathes from the dewy garden-lawns,
The silent garden rows.

As the hoof-beats of a troop of horse
Heard far across a plain,
A nearer knowledge of great thoughts
Thrills vaguely through my brain.

I lean my head upon my arm,
My heart's too full to think;
Like the roar of seas, upon my heart
Doth the morning stillness sink.

by Robert Louis Balfour Stevenson
 
Jeder kennt mein Lächeln,
aber keiner weiß, wie ich fühle!
Jeder hört, was ich sage,
aber keiner weiß, was ich denke!
Jeder schaut mich an,
aber keiner sieht meine Tränen!
Jeder meint, mich zu kennen,
aber keiner kennt mich wirklich!
 
so - mal wieder was Ernsteres von Ingeborg Bachmann:

Danke, LaFemme! Und wo Ingeborg Bachmann ist, darf mein über alles geliebter Paul Celan nicht fehlen...hier erstmal eins meiner Lieblingszitate:

Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.

Und dann noch...
CORONA

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.
 
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