Eure Lieblingsgedichte/Texte

Es ist, was es ist ... Nr. 2

Es ist eine große Verantwortung, sagt die Vorsicht.
Es ist eine enorme Belastung, sagt die Erfahrung.
Es ist das größte Glück, sagt die Liebe.
Es ist unser Kind, sagen wir, einzigartig und kostbar.
 
Auch was
auf der Hand liegt
muss ich
aus der Hand zu geben
bereit sein
und muss wissen
wenn ich liebe
dass es wirklich
die Liebe zu dir ist
und nicht nur
die Liebe zur Liebe zu dir
und dass ich nicht
eigentlich
etwas Uneigentliches will
Aber
solange ich atme
will ich
wenn ich den Atem
anhalte
deinen Atem
noch spüren
in mir

Erich Fried
 
Im Herbst

Der Wald wird falb, die Blätter fallen,
Wie öd und still der Raum!
Die Bächlein nur gehn durch die Buchenhallen
Lind rauschend wie im Traum,
Und Abendglocken schallen
Fern von des Waldes Saum.

Was wollt ihr mich so wild verlocken
In dieser Einsamkeit?
Wie in der Heimat klingen diese Glocken
Aus stiller Kinderzeit -
Ich wende mich erschrocken,
Ach, was mich liebt, ist weit!

So brecht hervor nur, alte Lieder,
Und brecht das Herz mir ab!
Noch einmal grüß ich aus der Ferne wieder,
Was ich nur Liebes hab,
Mich aber zieht es nieder
Vor Wehmut wie ins Grab.

(Joseph von Eichendorff 1788-1857 )
 
Das süßeste Leben

Lieblich murmelt meines Lebensquelle
Zwischen Rosenbüschen schmeichelnd hin,
Wenn ich eines Fürsten Liebling bin,
Unbeneidet auf der hohen Stelle;

Und von meiner stolzen Marmorschwelle
Güte nicht, die Herzenszauberin
Und die Liebe, aller Siegerin
Flieht zu einer Hütte oder Zelle;

Süßer aber schleicht sie sich davon
Wenn ich unter traurenden Ruinen
Efeugleich geschmiegt an Karolinen

Wehmutlächelnd les im Oberon
Oder bei der milchgefüllten Schale
Bürgers Lieder sing im engen Tale.

(Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg 1772-1801)
 
Herbst

Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg' ein ferner Frühlingstag.

(Theodor Storm)
 
Love and Laugh,
steh nie am Schlauch!
Sei frisch und munter,
stets guat drauf - oder aa drunter .....

(p.)
 
Mein Herz

Ich weiß nicht, was ich habe,
mit ist ums Herz so schwer ...
Ums Herze? Ach was sag ich -
ich hab doch keines mehr.

Seit ich, mein Glück, dich kenne,
du süßes Liebchen mein,
vom ersten Augenblicke
an wars ja schon dein.

O mögst du es behalten,
damit es stets so blieb -
es soll ja dir gehören,
nur dir, mein süßes Lieb!

Giebs nie mehr mir zurücke -
es schlägt dir ja in Treu -
und willst du's nicht mehr haben
mein Schatz, dann brichs entzwei.

(Rainer Maria Rilke)
 
Nun mag die Welt in ihren Festen beben,
entfesselt wüten mag das Element;
denn eine neue Ära tritt ins Leben,
die keinen Hass und keinen Streit mehr kennt!
Durch meine Seele zieht's mit Zauberweben
oh wie’s im Herzen glückverheißend brennt!
Die Pulse fliegen mir, die Lippen beben,
ich fühls, das ist es, was sich Liebe nennt!
Und möge alles rings in nichts versinken,
ich lebe und der Liebe Sterne winken!

(Rainer Maria Rilke)
 
Ich habe auf das Licht gewartet
aber vielleicht ist das Warten schon das Licht.

Ich habe auf die Erfüllung gewartet
aber vielleicht ist die Sehnsucht schon die Erfüllung.

Ich habe auf die Freude gewartet
aber vielleicht waren die Tränen schon Zeichen des Lebens.

Ich habe auf Gott gewartet
und ein Kind kam zur Welt.

(Andrea Schwarz)
 
Dezember und Januar

Im Dezember, zum Ende des Jahres, kam das Glück.
Währte einen Moment. Doch ein wahres,
kein Lesestück.

Und im Januar, zum Anfang des Jahres,
kam das Leid.
Ein sehr echtes und bitteres war es.
Währte lange Zeit.

Marina Zwetajewa in der Übersetzung von Alexander Nitzberg
 
Man sagt, heute sei Neujahr.
Punkt Mitternacht sei die Grenze zwischen altem und neuem Jahr.
Aber so einfach ist das nicht.
Ob ein Jahr neu wird, liegt nicht am Kalender, nicht an der Uhr.
Ob ein Jahr neu wird, liegt an uns.
Ob wir es neu machen,
ob wir neu anfangen zu denken,
ob wir neu anfangen zu sprechen,
ob wir neu anfangen zu leben.


(Johann Wilhelm Wilms)
 
„Mein Geburtstag endete in einer nuit blanche, einer weißen Nacht, einer Nacht, die nicht enden wollte. Mitternacht war schon lange vorbei, als André mir in meinen roten Mantel half und wir eng umschlungen und traumwandlerisch unseren Weg durch die stillen Straßen fanden. Alle paar Meter blieben wir stehen um uns zu küssen und wir brauchten unendlich lange, bis wir schließlich vor meiner Wohnungstür standen. Aber die Zeit hatte in dieser Nacht, die weder Tag noch Stunde kannte, keine Bedeutung. Als ich mich vorbeugte um die Tür aufzuschließen, küsste mich André in den Nacken. Als ich ihn an der Hand durch den Flur zog, legte er von hinten seinen Arm um mich und fasste nach meiner Brust. Als wir im Schlafzimmer standen, streifte André mir die Träger meines Kleides von den Schultern, und nahm dann mit einer unendlich zärtlichen Geste meinen Kopf in seine Hände. ‚Aurelie‘, sagte er, und küsste mich plötzlich so heftig, dass mir ganz schwindlig wurde. ‚Meine schöne, schöne Fee‘. Es gab keinen Augenblick in dieser Nacht, an dem wir uns wirklich losgelassen hätten. Alles war Berührung. Alles wollte entdeckt werden. Gab es eine Stelle unserer Körper, die übersehen, die nicht mit Zärtlichkeiten bedacht, die nicht mit Lust erobert wurde? Ich glaube nicht. Unsere Kleider fielen leise raschelnd auf den Parkettboden und als wir auf mein Bett sanken und uns dort für Stunden verloren, war mein letzter Gedanke, dass André Charbane der Richtige Falsche war.“

Aus: „Das Lächeln der Frauen“, Nicolas Barreau
 
Trost und Rat

Ja wer wird denn gleich verzweifeln,
weil er klein und laut und dumm ist?
Jedes Leben endet. Leb so,
daß du, wenn dein Leben um ist

von dir sagen kannst: Na wenn schon!
Ist mein Leben jetzt auch um,
habe ich doch was geleistet:
Ich war klein und laut und dumm.

(Robert Gernhardt)
 
Liebes-Erklärung

An dich denken
so wie jetzt:
dich weit weg
lächeln sehn
im Schlaf.
Die Hand durch die Nacht
in dein Haar schicken
und einen Kuss
wie eine Sternschnuppe
durch deinen Traum.
Die Ferne aufrollen
wie eine Schnur
an deren Ende
deine Wärme ist.

(Jörn Pfennig)
 
Wenn du es willst,
erzähle mir von dir.
Ich höre dir zu.
Und wenn du willst,
lass uns ein Stückchen Weg gemeinsam gehen.
Wenn du es möchtest, lege dich in meinen Arm zur Ruh.
Und wenn du einmal nicht mehr reden magst,
dann schweig dich bei mir aus.
Ich werde es verstehen und hör auch in der Stille zu.

Wenn du es willst,
dann schenke ich dir mehr als einen Tag und eine Nacht.
Und wenn du irgendwann mal nicht mehr bleiben kannst,
mach ich den Abschied dir nicht schwer.
Wenn du es möchtest, lade ich dich ein,
mein Leben bis zu diesem Tag mit dir zu teilen.
Und wenn du willst,
wirst du der beste Teil in meinem Leben sein.

[Bernhardt Bless]
 
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