Eure Lieblingsgedichte/Texte

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!

(Johann Wolfgang von Goethe)
 
Der leere Wunsch, die Zeit zwischen dem Begehren und dem Erwerben des Begehrten
vernichten zu können, ist Sehnsucht.

Immanuel Kant, deutscher Philosoph
 
Wenn ich romantisch wäre, so würde ich schreiben: "Meine Hoffnung soll mich leiten, durch die Tage ohne dich.
Und die Liebe soll mich tragen, wenn der Schmerz die Hoffnung bricht."
Da ich ja weder eine Romantikerin bin, noch verliebt ... ist es halt nur so ein Spruch...

Sandy,Cuvée aus Hexe,Engel und Teufel mit großartigen Abgang
 
Solange du dich bemühst, andere zu beeindrucken,
bist Du von dir selbst nicht überzeugt.
Solange du danach strebst, besser als andere zu sein,
zweifelst du an deinem Wert.
Solange du versuchst, dich größer zu machen, indem du andere klein machst,
hegst du Zweifel an deiner Größe.

Wer in sich ruht, muss niemandem etwas beweisen.
Wer um seinen Wert weiß, braucht keine Bestätigung.
Wer seine Größe kennt, lässt den anderen die ihre.

[unbekannt bzw. teilweise von Hans Kruppa]
 
Gesang zwischen dir und mir

siehst du den Abendstern?
ich sehe
hörst du den Wind?
ich höre
fühlst du die Ewigkeit?
ich fühle
und dein Name?
nenn mich Nacht
woher kommst du?
aus deiner Einsamkeit
wohin gehst du?
in deine Innigkeit
gib mir die Hand.

Friederike Mayröcker
 
Früher, da ich unerfahren

Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.


Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch mehr Kälber,
Und nun schätz ich, sozusagen,
Erst mich selber.

Wilhelm Busch
 
Es treibt der Wind

Es treibt der Wind
im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt,
wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus,
den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin -
bereit,
und wehrt dem Wind
und wächst entgegen
der einen Nacht der Heiligkeit.

Rainer Maria Rilke
 
Jedes Jahr, im März, kam er in die Stadt. Er tauschte Hörner, Felle, Geweihe gegen Munition, Tee, Tabak und Schnaps ein. Er nahm einige Zeitungen mit, um sich auf dem laufenden zu halten, glaubte aber weder den Nachrichten noch den Artikeln; selbst an den Inseraten zweifelte er. Seit Jahren ging er in ein bestimmtes Bordell, zu einer Rothaarigen, Jekaterina Pawlowna hieß sie. Wenn ein anderer bei dem Mädchen war, wartete Baranowicz, ein geduldiger Liebhaber. Das Mädchen wurde alt, es färbte seine silbernen Haare, verlor einen Zahn nach dem andern und sogar das falsche Gebiß. Jedes Jahr brauchte Baranowicz weniger zu warten, schließlich war er der einzige, der zu Jekaterina kam. Sie begann ihn zu lieben, das ganze Jahr brannte ihre Sehnsucht, die späte Sehnsucht einer späten Braut. Jedes Jahr wurde ihre Zärtlichkeit stärker, ihre Leidenschaft heißer, sie war eine Greisin, mit welkem Fleisch genoß sie die erste Liebe ihres Lebens. Baranowicz brachte ihr jedes Jahr die gleichen chinesischen Ketten und die kleinen Flöten, die er selbst schnitzte und auf denen er die Stimmen der Vögel nachahmte.


Joseph Roth - "Die Flucht ohne Ende"
 
Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
eine Kachel aus meinem Ofen schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei--verjährt--
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.

Die Zeit entstellt alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache in einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.


(Joachim Ringelnatz)
 
Liebeslied



Man muß schon Schnaps getrunken haben
Eh man vor deinem Leibe stand
Sonst schwankt man ob der trunken Gaben
Von schwachen Knien übermannt.

O du, wenn im Gesträuche kreisend
Der Wind die Röcke flattern läßt
Und man, das weiche Tuch zerreißend
Die Knie zwischen deine preßt.

Der Abendhimmel macht das Saufen
Sehr dunkel, manchmal violett.
In einem breiten weißen Bett.

Die Wiese schwankt nicht nur vom Trinken
Wenn man in deinen Knien liegt.
Der dunkle Himmel will versinken
Indem er sanft sich schneller wiegt.

Und deine weichen Knie schaukeln
Mein wildes herz in deine Ruh
Und zwischen Erd und Himmel schaukeln
Wir leichtgeschwellt der Hölle zu.


Bert Brecht
 
Erinnerung an die Marie A.

An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nurmehr: ich küßte es dereinst.

Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.


Bert Brecht 1927
 
Dein Bildnis wunderselig

Hab ich im Herzensgrund,
Das sieht so frisch und fröhlich
Mich an zu jeder Stund.

Mein Herz still in sich singet
Ein altes schönes Lied,
Das in die Luft sich schwinget
Und zu dir eilig zieht.

(Joseph Freiherr von Eichendorff)
 
Aber das Alter nahte mit grausamen und lautlosen Schritten und manchmal in tückischen Verkleidungen. Sie zählte die Tage, die an ihr vorbeirannen, und jeden Morgen die feinen Runzeln, zarthaarige Netze, in der Nacht um die ahnungslos schlafenden Augen vom Alter gesponnen. Ihr Herz aber war ein sechzehnjähriges Mädchenherz. Mit ständiger Jugend gesegnet, wohnte es mitten im alternden Körper, ein schönes Geheimnis in einem verfallenden Schloß. Jeder junge Mann, den Frau von Taußig in ihre Arme nahm, war der langersehnte Gast. Er blieb leider nur im Vorzimmer stehen. Sie lebte ja gar nicht; sie wartete ja nur! Einen nach dem andern sah sie davongehn, mit bekümmerten, ungesättigten und verbitterten Augen. Allmählich gewöhnte sie sich daran, Männer kommen und gehen zu sehen, das Geschlecht der kindischen Riesen, die täppischen Mammutinsekten glichen, flüchtig und dennoch von schwerem Gewicht; eine Armee von plumpen Toren, die mit bleiernen Fittichen zu flattern versuchten; Krieger, die zu erobern glaubten, wenn man sie verachtete, zu besitzen, während man sie verlachte, zu genießen, wenn sie kaum gekostet hatten; eine barbarische Horde, auf die man trotzdem wartete, solange man lebte. Vielleicht, vielleicht stand einmal ein einziger aus ihrer verworrenen und finsteren Mitte auf, leicht und schimmernd, ein Prinz mit gesegneten Händen. Er kam nicht! Man wartete, er kam nicht! Man wurde alt, er kam nicht! Frau von Taußig stellte dem nahenden Alter junge Männer entgegen wie Dämme. Aus Angst vor ihrem erkennenden Blick ging sie mit geschlossenen Augen in jedes ihrer sogenannten Abenteuer. Und sie verzauberte mit ihren Wünschen die törichten Männer für den eigenen Gebrauch. Leider merkten sie nichts davon. Und sie verwandelten sich nicht im geringsten.

Joseph Roth - Radetzkymarsch 1932
 
Sorry für meine geistige Unbedarftheit. Ich wusste nicht, dass Brecht auch so herrlich poetisch war. Sehr schön, zum dahinschmelzen.
 
Das ist die Sehnsucht

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.

(Rainer Maria Rilke)
 
Müde bin ich geh zu Ruh,
decke meinen Bierbauch zu,
Herrgott!Lass den Kater mein,
morgen nicht so schrecklich sein.
Bitte gib mir wieder Durst
Alles andere ist mir Wurscht.
 
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