Eure Lieblingsgedichte/Texte

Nun zum angesprochenen Til Lindemann, der manchen als Sänger von Rammstein bekannt ist. Viele wissen aber nicht, dass er u.A. auch einen Gedichtband namens "Messer" herausgebracht hat.
Aus diesem stammt auch folgendes Gedicht:

"Durch dick und dünn"

Wehen Liebeswinde flau
küsst Mann auch die fette Frau
die Seele tief im Wasser liegt
auch Frau nimmt alles was sie kriegt

Du bist jung
und ich bin nett
ich hab ein weiches Doppelbett
jedes Schiff braucht einen Hafen
warum willst du nicht an mir schlafen

Ich bin nicht jung
du bist nicht nett
ich bin hässlich du bist fett
doch im Sturm ist jeder Hafen gut
und morgen bist du ausgeruht
 
Der Vogel

Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.

Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frisst,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor...

Wilhelm Busch :winke:
 
Osterspaziergang :winke:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in raue Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen, finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behänd sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss in Breit' und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!


Johann Wolfgang von Goethe
 
Zuletzt bearbeitet:
Von der Liebe

O Liebe,
Was vor innig-süße Triebe
Hegstu nicht in deiner Brust!
Würden doch nur die Verächter
Einmahl unsrer Wollust Wächter,
Schwör ich bey Amoenens Gunst,
Daß sie erstlich selbst nicht wüsten,
Ob der Himmel zeitlich sey,
Und darnach vor Scham und Reu
Nur vom Zusehn sterben müsten.
Das thäten sie,
Das thäten deine Triebe,
O Liebe!

Johann Christian Günther (1695-1723)
 
Will dir den Frühling zeigen

Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.

Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten -
dürfen ihn einmal sehn.

Rainer Maria Rilke
 
Für alle, die die frühe neuhochdeutsche Sprache lieben:

Barbillchen/ die Zukker-dokke

Barbillchen/ die Zukker-dokke

Du süßbeliebtes Honig-kind/
Barbillchen/ Labnüß meiner Seelen/
der Indiens süsse Zukker-hölen
an Anmuht nicht zugleichen sind.
Ich wil es/ daß es alle wissen/
warum ich dich so offt muß küssen.

Der Zukker-trozz/ der Nektar-Wein/
der in den göldnen Demant-schaalen
springt bey der Götter Feyermahlen
macht/ daß sie ewig trunken sein/
weil deß Geschmakks/ des Zukker-süssen
sie nimmer mögen satt geniessen.

Dein unverglichner Labsal-Mund
ist solch' ein Nektar meinem Herzen/
für meiner Liebe Wermuht-Schmerzen.
Was auß Hymettens bunten Grund'
am Morgen die bemühte Biene
äzzt ab/ ist deiner Jugend grüne.

Süß ist der göldnen Haare Band/
süß deiner Stirne rund umfangen/
süß die Zinober-rote Wangen/
süß deiner Augen heller Brand.
Dem Lippen-tau/ dem Zukker-reichen
muß süsser Alakant auch weichen.

Dein Atem süsser/ denn Kaneel/
süß deines Halses schmale Länge/
süß deiner Brüste Perl-gepränge/
süß ihr' Inwohnerinn/ die Seel.
Süß deine Rede/ süß dein Lachen/
dein Schlaffen/ süsser/ ach! dein wachen.

Süß deine Kleider/ süß dein Rokk
das Fuppchen drein ist süß darneben/
du weist/ was du mir drauß gegeben.
Barbillchen/ süsse Zukker-dokk'
Ich schmekke dünkt mich/ noch die Gaben/
die auch die Todten können laben.

Das süsseste/ so an dir ist/
muß ich/ ungerne zwar/ verschweigen/
doch kan es über alles steigen/
was je die Sterblichen versüßt.
Die Süsse/ so es von sich giebet
macht Leib und Geist zugleich verliebet.

Man sagt wol/ daß was süssers nicht
sey/ als der sanffte Schlaaff zufinden?
das kan ich leicht daher entgründen:
als neulich uns verschwandt das Licht/
war mir das wachen also süsse/
daß ich den Schlaaff drum fahren liesse.

Kaspar Stieler (1632-1707)

[Zukker-dokke: dokke bzw. docke: junges Mädchen; puella]
 
Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir ...,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.


(Christian Morgenstern)
 
Wir sind trunken
Ich und Du.
Durch deine Augen
stürze ich mich
in dich -
verlier ich mich.
Dein Begehren
zu sehen,
in deinem Blick
unterzugehen,
Raum und Zeit
in der Unendlichkeit
zu spüren,
mich unentdeckten
Welten
hinzugeben,
bis zehntausend Tränen
unsere Liebe zerstören.


(@Monika Minder)
 
Wir sind trunken
Ich und Du.
Durch deine Augen
stürze ich mich
in dich -
verlier ich mich.
Dein Begehren
zu sehen,
in deinem Blick
unterzugehen,
Raum und Zeit
in der Unendlichkeit
zu spüren,
mich unentdeckten
Welten
hinzugeben,
bis zehntausend Tränen
unsere Liebe zerstören.


(@Monika Minder)


...sooo sehr schön,soooo traurig!
 
Ein Mensch hat einen andern gern,
Er kennt ihn, vorerst, nur von fern
Und sucht, in längerm Briefewechseln
Die Sache nun dahin zu drechseln,
Daß man einander bald sich sähe
Und kennen lernte aus der Nähe.
Der Mensch, erwartend seinen Gast,
Vor Freude schnappt er über fast.
Die beiden, die in manchem Briefe
Sich zeigten voller Seelentiefe,
Sie finden nun, vereinigt häuslich,
Einander unausstehlich scheußlich.
Sie trennen bald sich, gall- und giftlich -
Und machen's seitdem wieder schriftlich.


(Herstellt Euch, Eugen Roth - könnt fast dem EF gewidmet sein :mrgreen:)
 
Ein Mensch erträumt, was er wohl täte,
wenn wieder er die Welt beträte.
dürft er zum zweiten Male leben,
wie wollt er nach dem Guten streben
Und streng vermeiden alles Schlimme!
Da ruft ihm zu die innre Stimme:
"Hör auf mit solchem Blödsinn, ja?!
Du bist zum zwölften Mal schon da!"

(Metaphysisches, auch Eugen Roth)
 
Und dann ist alles wieder still…
Und weißt du, was mein Leben will,
hast du es schon verstanden?
Wie eine Welle im Morgenmeer
will es, rauschend und muschelschwer,
an deiner Seele landen.

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

...vielleicht im nächsten Leben...
 
Novalis

[Hinüber wall ich]

Hinüber wall ich,
Und jede Pein
Wird einst ein Stachel
Der Wollust sein.
Noch wenig Zeiten,
So bin ich los,
Und liege trunken
Der Lieb im Schoß.
Unendliches Leben
Wogt mächtig in mir
Ich schaue von oben
Herunter nach dir.
An jenem Hügel
Verlischt dein Glanz –
Ein Schatten bringet
Den kühlenden Kranz.
O! sauge, Geliebter,
Gewaltig mich an,
Daß ich entschlummern
Und lieben kann.
Ich fühle des Todes
Verjüngende Flut,
Zu Balsam und Äther
Verwandelt mein Blut –
Ich lebe bei Tage
Voll Glauben und Mut
Und sterbe die Nächte
In heiliger Glut.​
 
Ein dicker Sack :haha:

Ein dicker Sack – den Bauer Bolte,
Der ihn zur Mühle tragen wollte,
Um auszuruhn, mal hingestellt
Dicht an ein reifes Ährenfeld –
Legt sich in würdevolle Falten
Und fängt ‘ne Rede an zu halten.
Ich, sprach er, bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack.
Ich bin‘s, der euch auf dieser Welt
In Einigkeit zusammenhält.
Ich bin‘s, der hoch vonnöten ist,
Daß euch das Federvieh nicht frißt;
Ich, dessen hohe Fassungskraft
Euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt euch tief, denn ich bin Der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär?
Sanft rauschen die Ähren:
Du wärst ein leerer Schlauch, wenn wir nicht wären.

Wilhelm Busch:daumen:
Aus der Sammlung Kritik des Herzens
 
Es lohnt sich doch

Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein
Und alles auf das Einfachste zu schrauben,
Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihn,
Dass andere ganz anders als wir glauben.

Und stimmte es, dass Leidenschaft Natur
Bedeutete im guten und im bösen,
Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur
Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen.

Joachim Ringelnatz
 
Johann Gottfried Herder :winke:

Lied des Lebens



Flüchtiger als Wind und Welle
Flieht die Zeit; was hält sie auf?
Sie genießen auf der Stelle,
Sie ergreifen schnell im Lauf;
Das, ihr Brüder, hält ihr Schweben,
Hält die Flucht der Tage ein.
Schneller Gang ist unser Leben,
Lasst uns Rosen auf ihn streun.



Rosen; denn die Tage sinken
In des Winters Nebelmeer.
Rosen; denn sie blühn und blinken
Links und rechts noch um uns her.
Rosen stehn auf jedem Zweige
Jeder schönen Jugendtat.
Wohl ihm, der bis auf die Neige
Rein gelebt sein Leben hat.



Tage, werdet uns zum Kranze
Der des Greises Schläf' umzieht
Und um sie in frischem Glanze
Wie ein Traum der Jugend blüht.
Auch die dunkeln Blumen kühlen
Uns mit Ruhe, doppelt-süß;
Und die lauen Lüfte spielen
Freundlich uns ins Paradies.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rilke

Einmal nahm ich

Einmal nahm ich zwischen meine Hände
dein Gesicht. Der Mond fiel darauf ein.
Unbegreiflichster der Gegenstände
unter überfließendem Gewein.

Wie ein williges, das still besteht,
beinah war es wie ein Ding zu halten.
Und doch war kein Wesen in der kalten
Nacht, das mir unendlicher entgeht.

O da strömen wir zu diesen Stellen,
drängen in die kleine Oberfläche
alle Wellen unsres Herzens,
Lust und Schwäche,
und wem halten wir sie schließlich hin?

Ach dem Fremden, der uns mißverstanden,
ach dem andern, den wir niemals fanden,
denen Knechten, die uns banden,
Frülingswinden, die damit entschwanden,
und der Stille, der Verliererin.

Aus den Gedichten an die Nacht
 
Geliebtsein heißt aufbrennen. Lieben ist: Leuchten mit unerschöpflichem Öle.
Geliebtwerden ist vergehen, Lieben ist dauern.

(Rainer Maria Rilke)
 
Heinrich Heine

Wie des Mondes Abbild zittert
In den wilden Meereswogen,
Und er selber still und sicher
Wandelt an dem Himmelsbogen:

Also wandelst du, Geliebte,
Still und sicher, und es zittert
Nur dein Abbild mir im Herzen,
Weil mein eignes Herz erschüttert.
 
Ein Biber sprach zur Beutelratte "Gestatten,dass ich Sie begatte?" "Bedaure!" Sprach die Beutelratte"Oben auf der Felsenplatte sitzt mein Beutelrattengatte und hat selber eine Latte!"
 
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