Eure Lieblingsgedichte/Texte

Das Schlimmste ist
die Suche nach dem Vertrauen.

Jede Anstrengung
es wiederzufinden
macht uns noch mißtrauischer.

Wir entdecken
dieses und jenes
aber es ist nicht das
was wir suchen.

Was wir suchen
ist die Bestätigung
unseres Mißtrauens.

Peter Turrini
 
und wieder mal Peter Turrini:)

Die Wahrheit ist:
Ich bin unfähig
zu lieben.

Ich kann nur nicht genug
von dieser Unfähigkeit kriegen.
 
Stimmungsbild

Graue Dämmerungen hangen
überm weiten Wiesenplan,
müd, mit rotgelaufnen Wangen
kommt der Tag im Westen an.

Atemlos dort sinkt er nieder
hinter Hängen goldumsäumt,
seine lichtermatten Lider
fallen mählich zu. - Er träumt. -

Träumt manch sonnig Traumgebilde,
Leis vom Himmel schwebt dahin
jetzt die Nacht und neigt sich milde,
Sterne lächelnd über ihn...

Rainer Maria Rilke, 1875-1926
 
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...Sie blieb wach und kontrollierte ihre Genüsse wie ein Posten die Geräusche der Nacht. Die körperliche Liebe war eine Forderung der Natur. Natascha erhob die Liebe fast zu einer revolutionären Pflicht und hatte fortab ein reines Gewissen. Tunda hatte sich weibliche Soldaten immer so vorgestellt. Diese Frau war wie aus Büchern gestiegen, ihrer literarisch bekräftigten Existenz ergab er sich mit Bewunderung und der demütigen Treue eines Mannes, der nach falschen Überlieferungen in einer entschlossenen Frau eine Ausnahme sieht und nicht die Regel.

Er wurde ein Revolutionär, er liebte Natascha und die Revolution.

Viele Stunden des Tages benutzte Natascha dazu, ihn und ihre Leute »politisch aufzuklären« und Tunda besondern Nachhilfeunterricht zu erteilen, weil er von der Revolution weniger verstand als die Arbeiter und Matrosen.

Es dauerte lange, ehe er es sich abgewöhnte, bei dem Wort »Proletariat« an Gründonnerstag zu denken. Er war mitten in der Revolution, und er vermißte noch die Barrikaden. Als seine Leute – denn er kommandierte sie jetzt – einmal die Internationale sangen, erhob er sich mit dem schlechten Gewissen eines Verräters, er schrie hurra mit der Verlegenheit eines Fremden, eines Gastes, der bei einem zufälligen Besuch ein Fest mitfeiern muß. Es dauerte lange, ehe er sich daran gewöhnte, nicht zu zucken, wenn ihn seine Kameraden Genosse nannten. Er selbst nannte sie lieber bei ihren Namen und wurde in der ersten Zeit verdächtigt.

»Wir sind im ersten Stadium der Weltrevolution«, sagte Natascha in jeder Nachhilfestunde, »Männer wie du gehören noch zur alten Welt, können uns aber gute Dienste leisten. Wir nehmen dich eben mit. Du verrätst die bürgerliche Klasse, der du angehörst, du bist uns willkommen. Aus dir kann ein Revolutionär werden, aber ein Bürger bleibst du immer. Du warst Offizier, das tödlichste Werkzeug in der Hand der herrschenden Klasse, du hast das Proletariat geschunden, du hättest erschlagen werden müssen. Sieh doch den Edelmut des Proletariats! Es erkennt an, daß du was von Taktik verstehst, es verzeiht dir, es läßt sich sogar von dir führen.«

»Ich führe es ja nur deinetwegen – weil ich dich liebe«, sagte der altmodische Tunda.

»Liebe! Liebe!« schrie Natascha. »Das kannst du deiner Braut erzählen! Ich verachte deine Liebe. Was ist das? Du kannst es nicht einmal erklären. Du hast ein Wort gehört, in euren verlogenen Büchern und Gedichten gelesen, in euren Familienzeitschriften! Liebe! Ihr habt euch das wunderbar eingeteilt: Da habt ihr das Wohnhaus, dort die Fabrik oder den Delikatessenladen, drüben die Kaserne, daneben das Bordell und in der Mitte die Gartenlaube. Ihr tut so, als wäre sie das Wichtigste in eurer Welt, in ihr schichtet ihr alles auf, was Edles, Erhabenes, Süßes in euch ist, und ringsum ist Platz für eure Gemeinheit. Eure Schriftsteller sind blind oder bestochen, sie glauben eurer Architektur, sie schreiben von Gefühlen statt von Geschäften, von Herz statt von Geld, sie beschreiben die kostbaren Bilder an den Wänden und nicht die Kontos in den Banken.«

»Ich habe nur Detektivromane gelesen«, warf Tunda schüchtern dazwischen.

»Ja, Detektivromane! Wo die Polizei siegreich ist und der Einbrecher gefangen wird, oder wo ein Einbrecher nur deshalb siegreich ist, weil er ein Gentleman ist und den Frauen gefällt und einen Frack trägt. Wenn du nur meinetwegen bei uns bist, werde ich dich erschießen«, sagte Natascha.

»Ja, nur deinetwegen!« sagte Tunda.

Sie atmete auf und ließ ihn am Leben.

(Joseph Roth, "Die Flucht ohne Ende", 1927)
 
Weil Morgen der Tag des Waldes ist:

Der Wald

Gesehen hat´s der ganze Wald,
Wie du geküsst mich hast,
Die grünen Bäume jung und alt,
Die haben aufgepasst.

Die frommen Blumen, tief erschreckt -
Das Ärgernis war gross -
Sie haben schnell ihr Haupt versteckt
Ins deftig kühle Moos.

Gesehn hat´s der geschwätz´ge Wind,
Hat´s weiter auch gerauscht,
Und hinterm Busch hat, auch nicht blind,
Ein junges Reh gelauscht.

Und über uns der Eschenbaum
Nickt ernst dem Nachbar zu,
Wie wenn an längst verträumten Traum
Ihn mahnten ich und Du!

Gar tief errötend denk´ich dran,
Wenn ich zum Walde komm;
Sie sehn ja lle mich drum an,
Das Reh, die Vöglein fromm!

Was aber - ach, ich weiss es nicht -
Soll meine Antwort sein,
Wenn leis der Wald nun zu mir spricht:
Warum kommst du allein?

(Eugenie Engelhardt 1852 - 1927, deutsche Dichterin)
 
Frühlingsgedicht

Willkommen, schöner Jüngling!
Du Wonne der Natur!
Mit deinem Blumenkörbchen
Willkommen auf der Flur!

Ei! ei! da bist ja wieder!
Und bist so lieb und schön!
Und freun wir uns so herzlich,
Entgegen dir zu gehn.

Denkst auch noch an mein Mädchen?
Ei, Lieber, denke doch!
Dort liebte mich das Mädchen,
Und 's Mädchen liebt mich noch!
Fürs Mädchen manches Blümchen
Erbat ich mir von dir -
Ich komm' und bitte wieder,
Und du? - du gibst es mir?

Willkommen, schöner Jüngling!
Du Wonne der Natur!
Mit deinem Blumenkörbchen
Willkommen auf der Flur!

Friedrich Schiller, 1759-1805
 
Vormittag

Der Wind singt sein Schlaflied
mit träumendem Rauschen,
die Blätter umschmeichelt er weich.
Ich laß´ mich verführen, dem Lied zu lauschen,
und fühl´ mich den Gräsern gleich.

Es schauern die Lüfte
und kühlen mein heißes,
in Sehnsucht gehülltes Gesicht.
Die ziehenden Wolken verstreuen ihr weißes,
der Sonne gestohlenes Licht.

Die alte Akazie
verrieselt ihr Schweigen
in zitterndem Blättergewirr.
Die Düfte der Erde erheben sich, steigen
und fallen dann wieder zu mir.

Selma Meerbaum-Eisinger 1.8.1941
 
Wagen

Bald gehe ich vorüber,
schiebe das Leben vor mir her
wie einen leeren Wagen.
Ich rufe:
Vorsicht, ihr Vorübergehenden,
nicht an meine Träume stoßen!

Adnan Al-Sayegh
 


Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Matthias Sindelar.
Er stand auf grünem Platz inmitten,
weil er ein Mittelstürmer war

Er spielte Fußball, und er wußte
vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben mußte
vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.


Er spielte Fußball wie kein zweiter,
er stak voll Witz und Phantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter,
er spielte stets, er kämpfte nie.


Er warf den blonden Schopf zur Seite,
ließ seinen Herrgott gütig sein,
und stürmte durch die grüne Weite
und manchmal bis ins Tor hinein.


Es jubelte die Hohe Warte,
der Prater und das Stadion,
wenn er den Gegner lächelnd narrte
und zog ihm flinken Laufs davon.


Bis eines Tages ein andrer Gegner
ihm jählings in die Quere trat,
ein fremd und furchtbar überlegener,
vor dem’s nicht Regel gab noch Rat.


Von einem einzigen harten Tritte
fand sich der Spieler Sindelar
verstoßen aus des Planes Mitte
weil das die neue Ordnung war.


Ein Weilchen stand er noch daneben,
bevor er abging und nachhaus.
Im Fußballspiel, ganz wie im Leben,
war’s mit der Wiener Schule aus.



Er war gewohnt zu kombinieren,
und kombinierte manchen Tag.
Sein Überblick ließ ihn erspüren,
daß seine Chance im Gashahn lag.



Das Tor, durch das er dann geschritten,
lag stumm und dunkel ganz und gar.
Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Mattihas Sindelar.

Friedrich Torberg (Der beste Schriftsteller unter den Wasserballern - Lutz Maurer)



Matthias Sindelar (* 10. Februar 1903 - 23. Januar 1939)
 
Was ist Leben?

Leben
das ist die Wärme
des Wassers in meinem Bad

Leben
das ist mein Mund
an deinem offenen Schoß

Leben
das ist der Zorn
auf das Unrecht in unseren Ländern

Die Wärme des Wassers
genügt nicht
Ich muß auch drin plätschern

Mein Mund an deinem Schoß
genügt nicht
Ich muß ihn auch küssen

Der Zorn auf das Unrecht
genügt nicht
Wir müssen es auch ergründen

und etwas
gegen es tun
Das ist Leben

Erich Fried
 
Därf ih's Dirndl liabn?

Ih bin jüngst verwichn
hin zan Pforra gschlichn:
"Därf ih 's Dirndl liabn?"
"Untasteh dih nit, bei meina Seel,
wonstas Dirndl liabst, so kimst in d' Höll!"


Bin ih vull Valonga
zu da Muata gonga:
"Därf ih 's Dirndl liabn?"
"O mei liaba Schotz, es is noh z'frua,
noch funfzehn Jahrln erst, mei liaba Bua!"


Woar in großn Nötn,
hon ih 'n Votan betn:
"Därf ih 's Dirndl liabn?"
"Duners Schlangl!", schreit er in sein Zurn,
"willst mein Steckn kostn, konst es tuan!"


Wos is onzufanga?
Bin zan Herrgott gonga:
"Därf ih 's Dirndl liabn?"
"Ei jo freili", sogt er und hot glocht,
"wegn an Büaberl hon ih 's Dirndl ja gmocht!"


Peter Rosegger,(1843-1918)
 
Liebe, wunderschönes Leben


Liebe, wunderschönes Leben,
Willst du wieder mich verführen,
Soll ich wieder Abschied geben
Fleißig ruhigem Studieren?

Offen stehen Fenster, Türen,
Draußen Frühlingsboten schweben,
Lerchen schwirrend sich erheben,
Echo will im Wald sich rühren.

Wohl, da hilft kein Widerstreben,
Tief im Herzen muss ich's spüren:
Liebe, wunderschönes Leben,
Wieder wirst du mich verführen!

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff,1788-1857
 
An den Mond
Schwester von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht;
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus tagverschloßnen Höhlen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich und nächt'ge Vögel auf.

Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite.
Hebe mich an deine Seite!
Gib der Schwärmerei dies Glück;
Und in wollustvoller Ruh
Säh der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter
Seines Mädchens Nächten zu.

Dämmrung, wo die Wollust thront,
Schwimmt um ihre runden Glieder.
Trunken sinkt mein Blick hernieder.
Was verhüllt man wohl dem Mond?
Doch was das für Wünsche sind!
Voll Begierde zu genießen,
So da droben hängen müssen;
Ei, da schieltest du dich blind.
Johann Wolfgang von Goethe
 
An den Knaben Elis


Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang.
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.

Laß, wenn deine Stirne leise blutet
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.

Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt
Und du regst die Arme schöner im Blau.

Ein Dornenbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.

Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,

Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,

Das letzte Gold verfallener Sterne.


(Georg Trakl, 1887-1914)
 
Morgenstund hat Gold im Mund

Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich ”Euer Gnaden.“

Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.

Joachim Ringelnatz,1883-1934
 
Morgens und abends zu lesen

Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Dass er mich braucht.

Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fuerchte von jedem Regentropfen
Dass er mich erschlagen koennte.

Bertolt Brecht
 
und die Sonne trug Trauer, vom Himmel fielen Tränen, der Wind schwieg
und die Tiere verstummten, denn es war ein Engel, der in Liebe starb.
 
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