Eure Lieblingsgedichte/Texte

Meine Wahl

Gesetzt ich verliere dich
und habe dann zu entscheiden
ob ich dich noch ein Mal sehe
und ich weiß:
Das nächste Mal
bringst du mir zehnmal mehr Unglück
und zehnmal weniger Glück

Was würde ich wählen?

Ich wäre sinnlos vor Glück
dich wiederzusehen

Erich Fried
 
Wärst du ein Bächlein, ich ein Bach

Wärst du ein Bächlein, ich ein Bach,
So eilt ich dir geschwinde nach.
Und wenn ich dich gefunden hätt’
In deinem Blumenuferbett:
Wie wollt ich mich in dich ergießen

Und ganz mit dir zusammenfließen,
Du vielgeliebtes Mädchen du!
Dann strömten wir bei Nacht und Tage
Vereint in süßem Wellenschlage

Dem Meere zu.

Wilhelm Busch,1832-1908
 
Ich steh den ganzen Tag am Gartenzaun,
wackel lustig mit den Augenbrauen.
Dabei tu ich so als würd ich Erdbeeren pflücken,
aber ich guck heimlich Fraun.

Ich scharre mit den Füßen,
spitze meinen Mund zum Küssen.
Doch leider kann an dem Zaun keine vorbeigehen,
denn mein Garten ist nach hinten raus!

Aus "Gartenzaun", Helge Schneider
 
Friedrich Nietzsche:

ALLE LUST WILL EWIGKEIT

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Aus:
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-1891).
 
Des Reh is gstand'n auf da Lichtung
Sche für den Has in seina Richtung
Beim Schopf packt er d'Gelegenheit
Und hat si a no narrisch g'freit
Weil's gar so offen g'standen is
Des Hintertürl zum Paradies
Der Rammler is scho hoibat hin
Da fragt des Reh ... is a scho d'rin?
Da is eam dann recht schnö verganga
Des Reh tut ma gar zvü verlanga
So hat er gsagt und biagt um'd Kanten
I glaub i suach ma glei a Anten

Darksideomine, Forums-User
:hahaha:
 
Hui ... das freut mich aber ... wenn hier unter all den schönen texten auch einer von meinen steht :hurra:
 
Denn es gibt da eine Sache, die ich so sehr an dir schätze:
Durch dich ändert sich der Blick auf alles, denn dein Lächeln verdreht Köpfe.
Die Welt wird wieder bunt, wenn ich die Augen öffne.
Durch dich ändert sich der Blick auf alles, denn dein Lächeln verdreht Köpfe.

Nina Sonnenberg, alias Fiva MC
 
Eine Art Feindesliebe

Mitleid haben
auch mit denen
in denen das Leid
so schlecht wie keinen
Platz mehr gelassen hat
fuer ihr Mitleid

Erich Fried
 
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Maskenball im Hochgebirge

Eines schönen Abends wurden alle
Gäste des Hotels verrückt, und sie
rannten schlagerbrüllend aus der Halle
in die Dunkelheit und fuhren Ski.

Und sie sausten über weiße Hänge.
Und der Vollmond wurde förmlich fahl.
Und er zog sich staunend in die Länge.
So etwas sah er zum ersten Mal.

Manche Frauen trugen nichts als Flitter
Andre Frauen waren in Trikots.
Ein Fabrikdirektor kam als Ritter.
Und der Helm war ihm zwei Kopf zu groß.

Sieben Rehe starben auf der Stelle.
Diese armen Tiere traf der Schlag.
Möglich, daß es an der Jazzkapelle -
denn auch die war mitgefahren - lag.

Die Umgebung glich gefrornen Betten.
Auf die Abendkleider fiel der Reif.
Zähne klapperten wie Kastagnetten.
Frau von Cottas Brüste wurden steif.

Das Gebirge machte böse Miene.
Das Gebirge wollte seine Ruh.
Und mit einer mittleren Lawine
deckte es die blöde Bande zu.

Dieser Vorgang ist ganz leicht erklärlich.
Der Natur riß einfach die Geduld.
Andre Gründe gibt es hierfür schwerlich.
Den Verkehrsverein trifft keine Schuld.

Man begrub die kalten Herrn und Damen.
Und auch etwas Gutes war dabei:
Für die Gäste, die am Mittwoch kamen,
wurden endlich ein paar Zimmer frei.

Erich Kästner
 
Nur küssen

Drei Worte mit "nur"
sind mehr Glück für mich als fast alles
was wir im Leben sonst
tun dürfen oder tun müssen
Die drei Worte sind: "Dich nur küssen"

"Mich nur küssen
sonst nichts?
Ist das alles
was du an Glück
noch hast?"

Nicht ganz.
Denk im Falle des Falles
an meine Worte zurück:
Denn ich sagte vorsichtig "fast"

Erich Fried, 1921-1988
 
" Schon im Bette drangen sich die Ideen zu Dir,
meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig,
dann wieder traurig, vom Schicksale abwartend,
ob es uns erhört - leben kann ich entweder nur
ganz mit Dir oder gar nicht, ja, ich habe beschlossen,
in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in
Deine Arme fliegen kann und mich ganz heimatlich
bei Dir nennen kann, meine Seele von Dir umgeben
ins Reich der Geister schicken kann - (...), nie eine
andre kann mein Herz besitzen, nie - nie - o Gott,
warum sich entfernen müssen, was man so liebt,
und doch ist mein Leben in W., so wie jetzt, ein
kümmerliches Leben. - Deine Liebe macht mich zum
Glücklichsten und Unglücklichsten zugleich - (...) -
Verkenne nie das treuste Herz deines Geliebten

ewig Dein
ewig mein​
ewig uns. "


Ludwig van Beethoven an seine "Unsterbliche Geliebte" im Juli 1806.
 
Willst du dein Herz mir schenken

Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an,
Dass unser beider Denken
Niemand erraten kann.
Die Liebe muss bei beiden
Allzeit verschwiegen sein,
Drum schließ die größten Freuden
In deinem Herzen ein.

Behutsam sei und schweige
Und traue keiner Wand,
Lieb' innerlich und zeige
Dich außen unbekannt.
Kein' Argwohn musst du geben,
Verstellung nötig ist.
Genug, dass du, mein Leben,
Der Treu' versichert bist.

Begehre keine Blicke
Von meiner Liebe nicht,
Der Neid hat viele Stricke
Auf unser Tun gericht.
Du musst die Brust verschließen,
Halt deine Neigung ein.
Die Lust, die wir genießen,
Muss ein Geheimnis sein.

Zu frei sein, sich ergehen,
Hat oft Gefahr gebracht.
Man muss sich wohl verstehen,
Weil ein falsch Auge wacht.
Du musst den Spruch bedenken,
Den ich zuvor getan:
Willst du dein Herz mir schenken,
So fang es heimlich an.

Unbekannter Dichter
 
Kennst du die Stelle zwischen wachen und schlafen?
Wo du dich noch an deine Träume erinnerst?
Dort werde ich dich immer lieben, Peter Pan.
Und dort warte ich darauf, dass du wiederkommst.

(Tinky alias Julia Roberts in "Hook")
 
Zuletzt bearbeitet:
Weißt du, ich will mich schleichen
leise aus lautem Kreis,
wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
blühen weiß.

Wege will ich erkiesen,
die selten wer betritt
in blassen Abendwiesen-
und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.

Rainer Maria Rilke, 1875-1926
 
Das ist mein Streit:
Sehnsuchtgeweiht durch alle Tage schweifen.
Dann, stark und breit, mit tausend Wurzelstreifen
tief in's Leben greifen
und durch das Leid weit aus dem Leben reifen,
weit aus der Zeit!

Rainer Maria Rilke, 1875-1926
 
Wie kommt's, daß du so traurig bist,
Da alles froh erscheint?
Man sieht dir's an den Augen an;
Gewiß! du hast geweint.

"Und hab' ich einsam auch geweint,
So ist's mein eigner Schmerz,
Und Tränen fließen gar so süß,
Erleichtern mir das Herz."

Die frohen Freunde laden dich:
O, komm an unsre Brust!
Und was du auch verloren hast,
Vertraure den Verlust.

"Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht,
Was mich, den Armen quält.
Ach nein, verloren hab' ich's nicht,
So sehr es mir auch fehlt."

So raffe den dich eilig auf,
Du bist ein junges Blut.
In deinen Jahren hat man Kraft
Und zum Erwerben Mut.

"Ach, nein, erwerben kann ich's nicht,
Es steht mir gar zu fern.
Es weilt so hoch, es blinkt so schön,
Wie droben jener Stern."

Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht,
Und mit Entzücken blickt man auf
In jeder heitern Nacht.

"Und mit Entzücken blick' ich auf
So manchen lieben Tag;
Verweinen laßt die Nächte mich,
So lang ich weinen mag."

Goethe
 
Beppo Straßenkehrer

Aus dem Buch "Momo" von Michael Ende

Er fuhr jeden Morgen lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden Fahrrad in die Stadt zu einem großen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof zusammen mit seinen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab und ihm eine bestimmte Straße zuwies, die er kehren sollte.

Beppo liebte diese Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige Arbeit.
Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig:
Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich.
Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter:
Schritt - Atemzug - Besenstrich.

Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.
"Siehst du, Momo", sagte er dann zum Beispiel, "es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man."

Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort:
"Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen."

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter:
"Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten."
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte:
"Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein."

Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort:
"Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste."
Er nickte vor sich hin und sagte abschließend:
"Das ist wichtig."
 
Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Es war einmal eine kleine Frau, die einen staubigen Feldweg entlanglief. Sie war offenbar schon sehr alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.
Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegesrand saß, blieb sie stehen und sah hinunter. Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Decke mit menschlichen Konturen.
Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunter und fragte: "Wer bist du?"
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.
"Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"
"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"
"Ich..., ich bin traurig", sagte die graue Gestalt.
Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."
Die Traurigkeit seufzte tief.
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und auch verwundert darüber, dass ihr tatsächlich jemand zuhören wollte, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest. "Die Traurigkeit schluckte schwer.

"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: 'Papperlapapp, das Leben ist heiter.' und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: 'Gelobt sei, was hart macht.' und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: 'Man muss sich nur zusammenreißen.' und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: 'Nur Schwächlinge weinen.' und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir auch schon oft begegnet..."
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu."
Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel.
"Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin:
"Aber..., aber – wer bist eigentlich du?"

"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd. "Ich bin die Hoffnung."
 
Als ich mich selbst zu lieben begann, konnte ich erkennen, dass Qualen und emotionales Leiden nur Warnzeichen für mich sind, dass ich gegen meine eigene Wahrheit lebe.
Heute weiß ich, das ist authentisch sein.

Als ich mich selbst zu lieben begann, verstand ich, wie sehr es jemand verletzen kann,
wenn ich versuche, diesem Menschen meine Wünsche aufzuzwingen, obwohl ich wusste, dass die Zeit dafür nicht reif war und der Mensch nicht bereit
und obwohl ich selbst dieser Mensch war.
Heute nenne ich das Respekt.

Als ich mich selbst zu lieben begann, hörte ich auf, mich nach einem anderen Leben zu sehnen, und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Einladung zum Wachsen war.
Heute nenne ich das Reife.

Als ich mich selbst zu lieben begann, gab ich es auf, mir meine Zeit zu stehlen, und ich hörte auf, weiter riesige Projekte für die Zukunft zu entwerfen.
Heute mache ich nur das, was mir Spaß macht und Freude, was ich liebe und worüber mein Herz jubelt. Und ich mache das auf meine eigene Art und in meinem eigenen Rhythmus.
Heute nenne ich das Ehrlichkeit.

Als ich mich selbst zu lieben begann, verstand ich, dass ich in jeder Situation am richtigen Ort und zur richtigen Zeit bin und dass alles, was geschieht, richtig ist.
Deshalb kann ich ruhig sein.
Heute nenne ich das Selbstvertrauen.

Als ich mich selbst zu lieben begann, befreite ich mich von allem, was nicht gut für meine Gesundheit war, von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen und von allem, das mich nach unten zog und weg von mir selbst. Anfangs nannte ich das gesunden Egoismus.
Heute weiß ich, das ist Selbstliebe.

Als ich mich selbst zu lieben begann, hörte ich auf, immer recht haben zu wollen,
und seitdem habe ich mich weniger oft geirrt.
Heute entdecke ich, das ist Bescheidenheit.

Als ich mich selbst zu lieben begann, weigerte ich mich, weiter in der Vergangenheit zu leben
und mir Sorgen um meine Zukunft zu machen.
Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, in dem alles geschieht.
So lebe ich heute jeden Tag, Tag für Tag, und nenne es Erfüllung.

Als ich mich zu lieben begann, erkannte ich, dass mich mein Verstand durcheinander bringen und krank machen kann.
Als ich ihn mit meinem Herzen zusammenbrachte, wurde er aber ein wichtiger Verbündeter.
Diese Verbindung nenne ich heute Herzensweisheit.

Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten oder irgendwelchen Problemen mit uns selbst und anderen zu fürchten.
Selbst Sterne krachen aufeinander und aus ihrem Zusammenprall werden neue Welten geboren.
Heute weiß ich: So ist das Leben …

Charlie Chaplin, an seinem 70. Geburtstag, am 16. April 1959
 
Zwei Brüder gingen zusammen auf Wanderschaft. Eines Mittags legten sie sich im Wald nieder und ruhten aus. Als sie erwachten, bemerkten sie, dass neben ihnen ein Stein lag, auf dem etwas geschrieben war.
Zusammen buchstabierten sie und lasen: "Wer diesen Stein findet, der gehe in den Wald hinein gegen Sonnenaufgang. Im Wald wird ein Fluss kommen: Er schwimme durch diesen Fluss auf die andere Seite. Dann wird er eine Bärin mit ihren Jungen sehen. Er nehme der Bärin die Jungen weg und laufe, ohne sich umzusehen, gerade den Berg hinauf. Auf dem Berg wird er ein Haus sehen - und in diesem Haus wird er das Glück finden."
Die Brüder lasen, was da geschrieben stand, und der jüngere sagte: "Komm, gehen wir zusammen. Vielleicht durchschwimmen wir diesen Fluss, tragen die Bärenjungen in das Haus und finden zusammen das Glück."
Doch der ältere Bruder sagte: "Ich gehe nicht in den Wald wegen der Bärenjungen und rate es auch dir nicht. Erstens - niemand weiß, ob das, was hier auf dem Stein geschrieben steht, auch wahr ist; vielleicht ist alles nur zum Spaß geschrieben worden; vielleicht haben wir es auch nicht richtig verstanden. Zweitens - wir gehen in den Wald, und es wird Nacht. Wir finden den Fluss nicht; aber auch wenn wir den Fluss finden, wie sollen wir hinüberschwimmen? Vielleicht ist er breit und reißend? Drittens - wenn wir auch über den Fluss schwimmen: ist es etwa einfach, einer Bärin die Jungen wegzunehmen? Sie wird uns zerquetschen, und wir werden, statt unser Glück zu finden, für nichts und wieder nichts umkommen. Viertens - wenn es uns auch gelingt, der Bärin die Jungen wegzunehmen, können wir nie, ohne ausgeruht zu haben, den Berg hinauflaufen. Fünftens - die Hauptsache - es ist gar nicht gesagt, welches Glück wir in diesem Haus finden. Vielleicht erwartet uns dort ein Glück, welches wir überhaupt nicht brauchen können."
Der jüngere Bruder jedoch sprach: "Meiner Meinung nach ist es nicht so. Grundlos hätte man dies alles nicht auf einen Stein geschrieben. Und alles ist klar und eindeutig. Erstens - es wird kein Unglück geschehen, wenn wir es versuchen. Zweitens - wenn wir nicht gehen, liest ein anderer die Inschrift auf diesem Stein und findet das Glück, während wir nichts bekommen. Drittens - wenn man nicht arbeiten will und sich nicht bemühen will, erfreut einen nichts auf der Welt. Viertens - ich will nicht, dass man denkt, ich hätte irgendetwas gefürchtet."
Dazu sagte der ältere Bruder: "Das Sprichwort sagt: Das große Glück suchen, heißt das kleine verlieren; und ein anderes: Der Sperling in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach."
Der jüngere sagte: "Ich habe gehört: Fürchtest du die Wölfe, geh' nicht in den Wald; und außerdem: Unter einem liegenden Stein rinnt kein Wasser. Meiner Meinung nach sollten wir gehen."
Der jüngere Bruder ging also in den Wald, der ältere blieb da. Kaum war der jüngere Bruder in den Wald gegangen, kam er zum Fluss, durchschwamm ihn und sah gleich am Ufer die Bärin. Er packte die Jungen, lief, ohne sich umzudrehen, den Berg hinauf, und kaum war er oben, da kam ihm das Volk entgegen, setzte ihn in eine Kutsche, fuhr ihn in die Stadt und machte ihn zum Zaren. Er herrschte fünf Jahre. Im sechsten Jahr kam ein anderer Zar, um mit ihm Krieg zu führen. Dieser eroberte die Stadt und vertrieb ihn. Nun ging der jüngere Bruder wieder auf die Wanderschaft und kam zum älteren Bruder. Der lebte in einem Dorf und war weder arm noch reich. Die Brüder freuten sich, als sie sich sahen, und erzählten sich alles.
Der ältere Bruder sprach: "Ich habe also doch recht gehabt! Ich habe die ganze Zeit über still und gut gelebt, während du Zar warst und viel Elend gesehen hast."
Aber der jüngere Bruder sagte: "Ich bereue nicht, dass ich damals in den Wald und auf den Berg gegangen bin; auch wenn es mir jetzt schlecht geht, so bleiben mir doch die Erinnerungen an mein Leben, und du hast nicht einmal die."

Leo Tolstoi, russischer Schriftsteller, 1828 - 1910
 
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