Da habe ich es besser gehabt als Du. Zum einen bin ich erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges geboren, zum anderen bin ich in einer Familie aufgewachsen, welche Weihnachten auch unter dem Aspekt eines offen gelebten Glaubens gefeiert hat.
Advent und Weihnacht waren für mich in meiner frühen Kindheit immer eine sehr geheimnisvolle und aufregende Zeit. Das hat schon begonnen mit dem Schreiben eines Wunschzettels an das Christkind. Mein Vater hat das überwacht und dafür gesorgt, dass er nicht zu umfangreich ausfällt, schließlich war er Alleinverdiener für eine fünfköpfige Familie. Der Wunschzettel wurde dann in die damals noch üblichen doppelten Fenster gelegt, worauf das Warten begann, ob er wohl auch abgeholt werden würde. In der Tat war er dann ein paar Tage später weg, und statt dessen lag ein weihnachtlich gewickeltes Bonbon zwischen den Scheiben. Jubel.
Beginnend mit der Adventzeit hat meine Mutter begonnen, mit den Weihnachtskeksen anzufangen. Da gab es immer mehrere Sorten, und da die Kekse sehr beliebt und außerdem zu den Feiertagen immer die beiden Großmütter anwesend waren, wurde in der Menge nicht gespart, so dass es die ersten beiden Wochen des Advent bei uns immer wie in einer Backstube gerochen hat. Sehr zum Leidwesen der Kinder, denn trotz der Wohlgerüche gab es nur vereinzelte Kostproben der so nahen Köstlichkeiten.
Natürlich wurde auch der Nikolausabend gefeiert, und wenn auch bei uns weder Nikolo noch Krampus "persönlich" aufmarschiert sind, hat mein Vater im Vorzimmer mit Hilfe eines bereitwilligen Nachbarn sehr täuschend die Geräusche eines tapferen Abwehrkampfes gegen den Geißfüßigen nachgeahmt, und nachdem das Poltern und Kettenklirren vorbei war, durften die Kinder aus dem sicheren Wohnzimmer ins Vorzimmer gehen, und dort die hinterlassenen Gaben des Nikolo in Empfang nehmen.
Wenn ich sage "die Kinder", dann sollte ich erwähnen, dass der ganze Aufwand eigentlich wegen mir betrieben wurde ...
... ich war ja das Nesthäkchen der Familie, und meine Geschwister - bedingt durch den Verlauf der Weltgeschichte - waren ja sieben bzw. dreizehn Jahre älter als ich, und wussten über die schauspielerische Tätigkeit meines Vaters Bescheid.
Überhaupt war der ganze Advent bei uns daheim schon sehr eine familiäre Zeit. Mehr als sonst haben Eltern und Kinder die Sonntage gemeinsam verbracht, mit Spielen, aber auch mit dem Singen adventlicher Lieder, und wenn die Kinder dem Vater einen Schabernack spielen wollten, dann haben sie das Lied "Es wird scho glei dumpa" angestimmt, welches mein Herr Papa auf den Tod nicht ausstehen konnte
... dann hat er gewaltig in seinen nicht vorhandenen Bart gebrummelt, was denn "dumpa" für ein Wort sei, und überhaupt sei es unsinnig, schon im Advent "zum Heiland auf d' Nocht" zu kommen, wenn dieser noch gar nicht in der Krippe liege
... aber sein Unmut war schnell wieder verraucht, speziell wenn wir sein von ihm selbst in der englischen Gefangenschaft verfasstes Adventlied gesungen haben. Dann ruhten seine Augen voller Liebe auf uns, und wenn wir besonders schön gesungen haben, trat wohl auch die eine oder andere Träne in seine Augenwinkel.
Ach Gott, das war eine Zeit, die man mit Gold nicht aufwiegen kann, und wenn ich mich sehr oft daran erinnere, macht es mir immer wieder das Herz weit aus Dankbarkeit, dass es mir vergönnt war, in einem solchen Hort der Liebe und der Zusammengehörigkeit aufzuwachsen, und ich verneige mich vor meinen Eltern, die es geschafft haben, auch ohne viel Reichtum ihren Kindern etwas zu bieten, wovon diese ihr Leben lang zehren konnten und können.
Und dann natürlich der Heilige Abend selbst, die Krönung des Ganzen. Hat damit begonnen, das ich zu Mittag bei meiner Großmutter abgegeben wurde. Meine Abwesenheit wurde dazu genutzt, im Wohnzimmer den Christbaum aufzustellen und zu schmücken, was einer Familientradition folgend Aufgabe des männlichen Elternteils war. Mein Vater war ein äußerst musischer Mensch, mit einem geradezu bedauernswerten handwerklichen Talent, und wenn ich meiner Mutter glauben darf, dann sind speziell beim Aufstellen des Baumes auch einige weniger weihnachtliche Ausdrücke gefallen ...
.... trotzdem ist uns kein Baum jemals umgefallen, obwohl während meiner Kindheit keiner unter zweieinhalb Meter groß war, und geschmückt waren sie 1A.
Nun gut .... jedenfalls ist meine Großmutter dann am Nachmittag wieder mit mir in die elterliche Wohnung gegangen, wo auch die restliche Familie sowie die zweite Großmutter in der Küche versammelt waren. In der Küche deshalb, weil wir ja nicht ins Zimmer konnten, weil dort ja - wie meine Mutter geheimnisvoll erklärt hat - den Geräuschen nach schon das Christkind am Werk war.
Dann hat's meist noch eine kurze Zeit gedauert, bis ein zartes Glöckchen ein paar Mal angeschlagen hat. Das war das Zeichen, dass das Christkind fertig war, und das Zimmer betreten werden durfte. Während meine Mutter mich unter dem Vorwand, dass das Christkind gerade davon fliege, an das Küchenfenster gelockt hat, und ich kleiner Naseweis natürlich rundum Ausschau gehalten und mich geärgert habe, dass ich wieder einmal zu langsam war, ist mein Vater auf dem Weg über das Vorzimmer in die Küche gekommen, um sich der neugierigen Schar anzuschließen. Ach war das eine Freude, als der kleine Steirer, der damals noch ein kleiner Wiener war, zaghaft die Tür geöffnet hat, und vor sich den im Licht unzähliger Kerzen erstrahlenden geschmückten Christbaum gesehen hat. Und vor dem Baum, fein säuberlich aufgereiht (mein Vater war Buchhalter
) die Geschenke. Begonnen hat die Feier damit, dass mein Bruder das Weihnachtsevangelium vorgetragen hat. Dann wurde gemeinsam das Stille Nacht angestimmt (das war damals noch üblich, selbst zu singen), auch noch das eine oder andere Weihnachtslied wurde gesungen, und dann ..... nach ein paar besinnlichen Worten des Dankes, dass es uns vergönnt war, ein weiteres Weihnachtsfest zusammen zu feiern, ein kleiner familiärer Jahresrückblick quasi, dann ... endlich ..... hat mein Vater die Geschenke ausgeteilt. Wenn das restlos geschehen war, ging es an's große Auspacken, nicht ohne vorher die Kerzen am Baum zu löschen.
Da verging schon einmal einige Zeit, bis endlich die Mutter mahnte, es wäre Zeit, auch an's Essen zu denken. Das Essen zu Heiligabend war eher bescheiden, meist eine kalte Platte, die große "Ausspeisung" war erst für den Christtag vorgesehen. Dafür gab es nach dem Essen noch Kaffee und einen von den unvergessenen "Goldkuchen" meiner Mutter, von denen sie zu Weihnachten der großen Nachfrage wegen meist gleich drei gebacken hatte. Nach dem Essen blieb die Familie beisammen, bis es Zeit war, in die Mette zu gehen, welche gemeinsam besucht wurde. Nach der Mette hörte man noch ein wenig den Turmbläsern zu, welche ihre weihnachtlichen Melodien von der Plattform des Turmes aus in die Nacht schmetterten. Dann ging es wieder nach Hause ins warme Nest, und ein feierlich Tag hatte sein Ende gefunden.
So, das war die Weihnacht meiner frühen Kindheit. Wenn es Dich interessiert (und auch falls es andere interessieren sollte), kann ich noch von der Weihnacht meiner späten Kindheit, der Weihnacht meiner Jugend, und der Weihnacht meines erwachsenen Lebens erzählen. Das aber ein anderes Mal.