Euro-Retter verlieren die Nerven
Die EU reagiert empört auf die neue Herabstufung der portugiesischen Staatsanleihen: Brüssel überlegt, den Ratingagenturen die Bewertung der Krisenstaaten gesetzlich zu untersagen. Derweil zeichnet sich ab, dass sich die Lösung der Griechen-Krise weiter verzögert. von Peter Ehrlich Brüssel, Birgit Jennen, Madrid und André Kühnlenz Frankfurt
Die EU schlägt martialische Töne gegenüber den drei großen Ratingagenturen an und will versuchen, deren Macht zu brechen. Binnenmarktkommissar Michel Barnier erwägt, durch die geplante gesetzliche Regulierung der Agenturen die Ratings für Staaten auszusetzen, die internationale Finanzhilfen erhalten. Schon zur Lösung der Griechenland-Krise könnte die EU die Einstufungen der Agenturen ignorieren: So ist die Bundesregierung bereit, durch eine Laufzeitverlängerung griechischer Anleihen eine zeitlich begrenzte Herabstufung auf "teilweisen Zahlungsausfall" hinzunehmen.
Mit ihren Vorstößen reagiert die Politik auf eine Herabstufung Portugals durch Moody's. Die Agentur hatte dessen Kreditwürdigkeit um vier Stufen auf den Ramschstatus "Ba2" gesenkt. In der EU sorgte das für Empörung. Besonders verärgert sind Finanzpolitiker darüber, dass Portugal vorausgesagt wurde, wie Griechenland ein zweites Hilfsprogramm zu benötigen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, er könne nicht erkennen, was dieser Einschätzung zugrunde liege. Portugal liege "voll im Plan" oder sogar darüber. Das Land hat erst eine Tranche europäischer Hilfskredite erhalten und Einsparungen angekündigt, die über die mit EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) vereinbarten Pläne hinausgehen.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso äußerte den Verdacht, Europa werde nicht objektiv bewertet, weil alle Ratingagenturen ihren Sitz in den USA hätten. Schäuble sagte: "Wir müssen das Oligopol zu brechen versuchen." Barnier warnte die Agenturen indirekt vor einem Lizenzentzug durch die Marktaufsichtsbehörde ESMA. Sie sollten "extrem darauf achten, die EU-Regeln zu respektieren". Portugal stand unter Schock: "Das ist wie ein Schlag in den Magen", sagte Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. "Was wollen die Ratingagenturen von uns noch? Das wir Kopfstand machen?", fragte der Vorsitzende des Industrieverbands CIP, António Saraiva. Der frühere Industrieminister Luís Mira Amaral sprach von "Terrorismus".
Die Kritik an den Ratingagenturen illustriert ein Dilemma, in dem Regierungen und Banken derzeit bei der Euro-Rettung stecken: Sie ringen um eine Beteiligung privater Gläubiger an Griechen-Hilfen, bislang haben die Agenturen aber jedes Modell mit der Drohung abgelehnt, es löse einen teilweisen Zahlungsausfall aus. Auch beim Treffen des internationalen Bankenverbands IIF am Mittwoch in Paris gab es keine Einigung. Nach Angaben von IIF-Geschäftsführer Charles Dallara sind das französische Modell einer freiwilligen Laufzeitverlängerung und ein Schuldenrückkauf im Gespräch. Das zweite Hilfspaket für Athen wird sich deshalb verzögern: Beim letzten Treffen der Euro-Gruppe vor der Sommerpause kommende Woche würden die Grundzüge des Programms nicht stehen, hieß es in Brüssel.
Der deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen sagte Reuters TV, Deutschland werde nun seinen Vorschlag eines Umtauschs alter Anleihen in neue, länger laufende Bonds erneut in die Beratungen einbringen. Berlin hatte die Idee zunächst fallen gelassen, da die Ratingagenturen eine Herabstufung auf "Selective Default" angekündigt hatten. Standard & Poor's hat auch das französische Modell verworfen. Wenn ein Rating-Event also unvermeidbar sei, müsse es darum gehen, dies "auf einen sehr kurzen Zeitraum zu begrenzen", sagte Asmussen.
An den Märkten sorgte die Moody's-Einschätzung für Turbulenzen. Zum ersten Mal schätzten Anleger die Ausfallwahrscheinlichkeit der portugiesischen Anleihen höher ein als die irischer. Erstmals seit der Euro-Einführung warfen Schuldverschreibungen aus Lissabon mit zwei Jahren Restlaufzeit 15 Prozentpunkte mehr Zinsen ab als Bundesanleihen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich Portugals Gläubiger offenbar bereits darauf einstellen, ähnlich wie in Griechenland an einem möglichen zweiten Rettungspaket beteiligt zu werden.
http://www.ftd.de/politik/europa/:schulden-krise-euro-retter-verlieren-die-nerven/60075271.html
Die Top-Ökonomen
Möglicherweise müssen wir zum Finanzsystem aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückkehren. Beitrag von J. Bradford DeLong