Lesenswertes Interview mit der Psychologin Ulrike Schiesser im heutigen KURIER.
Kurzer Textauszug:
Lange wurde er herbeigesehnt, jetzt sorgt er für hitzige Debatten – auch jenseits der sozialen Medien. Ulrike Schiesser, Psychologin und Expertin für Sekten und Esoterik, erklärt, warum der neue Impfstoff gegen das Coronavirus zum dominantesten Inhalt von Verschwörungstheorien wurde und wie man Impfskeptikern jetzt begegnen sollte.
KURIER: Warum stürzen sich derzeit so viele Verschwörungstheoretiker auf das Thema Impfen?
Ulrike Schiesser: Durch Corona wird ein Phänomen sichtbar, das es schon viel länger gibt: eine Abkehr von Rationalität und Wissenschaft, vom Vertrauen in die Medizin. Vor allem in der Esoterikszene hat sich eine Medizinfeindlichkeit breitgemacht: Angehörige berichten uns oft von Kindern, die sechs Jahre alt sind und keine einzige Impfung erhalten haben. Verschwörungstheoretiker glauben, dass uns mit der Impfung Chips implantiert werden, die unfruchtbar machen oder das kritische Denken abstellen. Sie halten Impfen für das Endziel der Pandemie, die zu einer drastischen Bevölkerungsreduktion führen soll. Impfen ist aber grundsätzlich mit negativen Gefühlen behaftet, auch bei denen, die es für sinnvoll erachten.
Woran liegt das?
Bei einer Impfung ist nicht unmittelbar sichtbar, dass wir uns damit etwas Gutes tun. Wir sehen den positiven Effekt nicht mehr. Die Idee, sich eine Substanz einzuführen, die praktisch eine abgeschwächte Form des Krankheitserregers ist, widerstrebt unserem Instinkt. In unserer egozentrischen Gesellschaft wird der eigene Körper zum Tempel, nur das Gute und Edle darf eintreten. Die Verherrlichung des „Natürlichen“ versus des Chemischen ist Ausdruck einer selbstgefälligen Überflussgesellschaft. Dabei wäre es auch ganz natürlich, an Kinderlähmung zu sterben. Ich halte es auch für einen Riesenfehler in der Kommunikation, dass Impfen meist mit Spritzen und weinenden Kindern bebildert wird. Für Waldspaziergänge werbe ich ja auch nicht mit Spinnen und Bodeninsekten.
Welche Bilder bräuchte es?
Man sollte im Zusammenhang mit Impfungen gesunde, lachende Menschen zeigen. Im aktuellen Fall müsste man darstellen, welche Vision wir mit dieser Impfung verfolgen, nämlich, dass wir damit unseren Alltag, unsere Freiheit zurückbekommen: junge Leute auf einem Festival, Kinder, die Oma und Opa umarmen. Man erreicht die Menschen am besten mit Bildern. Ein kleiner Stich, und wir können einander wieder in den Armen liegen.